Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Stream of consciousness<br />
der regisseur roger vontobel über<br />
noch ungeordnete Gedanken vor<br />
dem ersten probentag.<br />
die labdakiden. lange vor dem ersten<br />
Probentag. ein berg von einem<br />
Stück. wie beginnen? Zwei textstellen<br />
während der Vorbereitung:<br />
„lass nicht ab, mein Zorn, lass<br />
nicht ab, und ihn, der großes sinnt,<br />
schlage nieder, miss dich mit ihm,<br />
zerfleische ihn selbst mit deinen<br />
händen. du suchst dem alkiden<br />
einen ebenbürtigen?! Keiner ist es,<br />
außer ihm selbst: so führe er fortan<br />
Kriege mit sich selbst! ... nun soll<br />
der Krieg beginnen: hell wird der tag,<br />
und in safranfarbigem aufgang tritt<br />
titan leuchtend hervor.“<br />
das unauswegliche, geradzu unmögliche<br />
in den worten Senecas, die<br />
er als Juno im Prolog seinem Stück<br />
„hercules“ voranstellt, in Kombination<br />
mit folgendem Zitat aus Kleists<br />
Penthesilea:<br />
„wenn du dem wind, der von den<br />
bergen weht, willst horchen, Kannst<br />
du den donnerruf der Königin, gezückter<br />
waffen Klirren, rosse wiehern,<br />
drommeten, tuben, Zimbeln<br />
und Posaunen, des Krieges ganze<br />
eh’rne Stimme hören.“<br />
Zusammen ergeben sie für mich den<br />
drang und die notwendigkeit Fragen<br />
zu stellen – theatral Fragen zu stellen<br />
– an menschen, über menschen,<br />
durch menschen. und vor allem wegen<br />
menschen. denn um menschen<br />
geht es immer in erster linie. um<br />
menschen und ihre geschichte, ihre<br />
Biografie – oder wie es die Griechen<br />
und nach ihnen viele mehr nannten:<br />
Schicksal.<br />
„tun. leiden. lernen“, heißt es in<br />
der „Orestie“, die ich 2008 in essen<br />
inszeniert habe. auch damals antike.<br />
und passend. denn tun tun wir alle,<br />
leiden auch manchmal wegen unseres<br />
tuns, und lernen können wir<br />
daraus, indem wir die Fragen an die<br />
beiden vorherigen tätigkeiten stellen<br />
und sie verknüpfen – und schon sind<br />
wir wieder beim motto der griechen,<br />
der älteren generation von griechen<br />
zumindest.<br />
ach ja, und eigentlich meine lieblingsstelle<br />
aus dem „Philotas“ von<br />
lessing, die muss auch immer irgendwie<br />
noch am anfang mal im<br />
Kopf rumgeistern:<br />
„was wollte ich also sagen? So<br />
einen guten einfall nun, wollte ich<br />
sagen, als das glück oft in das albernste<br />
gehirn wirft, so einen habe<br />
ich jetzo ertappt. bloß ertappt; von<br />
dem meinigen ist nicht das geringste<br />
dazu gekommen. denn hätte mein<br />
Verstand, meine Erfindungskraft einigen<br />
anteil daran, würde ich ihn<br />
nicht gern mit dir überlegen wollen?<br />
aber so kann ich ihn nicht mit dir<br />
überlegen; er verschwindet, wenn ich<br />
ihn mitteile, so zärtlich, so fein ist er,<br />
ich getraue mir ihn nicht in worte zu<br />
kleiden; ich denke ihn nur, wie mich<br />
der Philosoph gott zu denken gelehrt<br />
hat, und aufs höchste könnte ich dir<br />
nur sagen, was er nicht ist.“<br />
So, und dann fangen wir mal an, das<br />
bevorstehende neue Stück zu lesen –<br />
erster Schritt: buchdeckel umklappen<br />
...<br />
roGEr vontobEl<br />
geboren 1977, aufgewachsen in Zürich<br />
und Johannesburg, gehört derzeit zu<br />
den wichtigen Regisseuren seiner Generation.<br />
In seinen Inszenierungen sucht<br />
er immer wieder sehr genau nach einem<br />
eigenen ästhetischen Zugriff für den<br />
vorliegenden, meist literarischen Stoff.<br />
2006 war er zum „Young Directors<br />
Project“ der Salzburger Festspiele eingeladen<br />
und wurde von den Kritikern der<br />
Zeitschrift „Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur<br />
des Jahres gewählt. Seit<br />
der Spielzeit 2005/06 arbeitet er regelmäßig<br />
am <strong>Schauspielhaus</strong> Hamburg,<br />
an den Münchner Kammerspielen<br />
und am Schauspiel Essen, wo er „Das<br />
Goldene Vlies“ von Franz Grillparzer,<br />
„Die Orestie“ des Aischylos und zuletzt<br />
Ibsens „Peer Gynt“ inszeniert hat. Ab<br />
der Spielzeit <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> wird er Hausregisseur<br />
am <strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Bochum</strong>.<br />
55<br />
Die LabDakiDen<br />
Eine Politsaga – Ödipus,<br />
Sieben gegen Theben und Antigone<br />
von Sophokles und Aischylos<br />
Premiere am 9. Oktober <strong>2010</strong> im <strong>Schauspielhaus</strong><br />
Sie sind die herrscherfamilie thebens, benannt nach ihrem<br />
Stammvater, labdakos. Von generation zu generation<br />
geben sie die macht in der Stadt weiter, aber auch den<br />
blutigen Fluch, der ihre herrschaft keine glückliche sein<br />
lässt: laios, der Sohn des labdakos, wird von seinem Sohn<br />
Ödipus getötet, der dann, die eigene Schuld nicht kennend,<br />
mit seiner mutter iokaste vier Kinder zeugt: antigone und<br />
Ismene, Eteokles und Polyneikes. Kaum ist der Frevel entdeckt,<br />
bringt sich iokaste um und Ödipus geht ins exil. die<br />
nächste generation ist am Zug, doch sie ist nicht erfolgreicher:<br />
Polyneikes und Eteokles verwickeln die Stadt in einen<br />
blutigen bürgerkrieg, an dessen ende beide tot vor den<br />
Stadtmauern liegen. antigone, die Schwester, will einen<br />
von ihnen begraben, was gegen die gesetze ihres Onkels<br />
Kreon verstößt. der ist nun verzweifelt darum bemüht,<br />
recht und Ordnung wiederherzustellen und wenigstens<br />
etwas vom ruf der Familie zu retten. eine wuchtige Sage<br />
über die Kraft und Zerstörung von Politik und die beispielhaften<br />
Verwicklungen einer beispiellosen Familie – erzählt<br />
in drei großen antiken Stücken, inszeniert in einer Fassung<br />
für einen abend.<br />
Regie: Roger Vontobel<br />
Bühne: Claudia Rohner<br />
Kostüme: Nadine Grellinger<br />
Dramaturgie: Anna Haas, Thomas Laue<br />
mit: manuela alphons, matthias eberle, Jonas gruber,<br />
Paul herwig, barbara hirt, dieter hufschmidt, Katharina<br />
linder, dimitrij Schaad, michael Schütz, lena Schwarz,<br />
Philipp weigand<br />
Die Jungfrau von<br />
orLeans<br />
von Friedrich Schiller<br />
Premiere im Juni <strong>2011</strong> in den Kammerspielen<br />
Sie fragt sich nicht, woran sie glauben soll. Sie glaubt. eine<br />
göttliche Stimme hat ihr befohlen, Frankreich von den englischen<br />
invasoren zu befreien. dabei ist Johanna ein mädchen<br />
vom land. unbeirrt folgt sie ihrem göttlichen auftrag<br />
und führt das französische heer, dessen verzagender Führer,<br />
der französische König Karl, kurz vor der Kapitulation<br />
stand, von Sieg zu Sieg. Souverän bewegt sie sich auf dem<br />
männlichen Schlachtfeld von Krieg, macht und Politik.<br />
ihr glaube ist unerschütterlich, doch plötzlich gerät sie<br />
ins Straucheln: im Zweikampf mit dem engländer lionel<br />
verliebt sie sich – in den Feind. Völlig überrascht sieht sich<br />
die scheinbar unbesiegbare Jungfrau mit einer macht konfrontiert,<br />
vor der sie ihre waffen strecken muss. woran soll<br />
sie noch glauben? an ihren „Schlachten gott“, an die<br />
macht der liebe, an sich selbst?<br />
Regie: Roger Vontobel<br />
Bühne: Claudia Rohner