Boropa SpIELZEITMaGaZIn 2010/2011 - Schauspielhaus Bochum
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Phönix aus<br />
der Kohle<br />
Sein Vater arbeitete für<br />
einen groSSen Stahlkonzern.<br />
alS kind war<br />
daS ruhrgebiet, daS er<br />
nur Von fotoS kannte,<br />
für ihn ein idyll, ein<br />
arkadien, daS weit weg<br />
in unerreichbarer ferne<br />
lag. Später hat er eS<br />
mehrere male beSucht –<br />
alS touriSt. der in bombay<br />
lebende indiSche<br />
JournaliSt und lyriker<br />
ranJit hoSkote über die<br />
lektionen einer untergegangenen<br />
welt.<br />
TExT: RANJIT HOSKOTE<br />
Die Industrie verschwindet, Ruinen<br />
bleiben. Es herrscht Stille, doch diese<br />
ist ein nicht weniger starker Ausdruck<br />
des menschlichen Geistes als die Fabrikhallen,<br />
Schornsteine und Raffinerien,<br />
die einst im Rhythmus des<br />
Fließbands surrten und dröhnten.<br />
Ich laufe durch die Kokerei Hansa in<br />
Dortmund, im Herzen des Ruhrgebiets.<br />
Wo auch immer ich hinblicke,<br />
entdecke ich wiedererwachende Natur,<br />
die sich zurückerobert, was der<br />
Mensch ihr nahm. Hier und da gibt<br />
es Protest.<br />
Doch der Wald kehrt nach langen<br />
Jahren des unterirdischen Exils triumphierend<br />
zurück. Gras bedeckt die<br />
ausgetretenen Pfade einer Kühlanlage<br />
mit einem groben Teppich. Gestrüpp<br />
RANJIT HOSKOTE — PHÖNIx AUS DER KOHLE<br />
bricht aus Scharnieren und Säulen<br />
hervor und erringt die Herrschaft<br />
über Werkzeuglager. Kletterpflanzen<br />
ranken sich zu Vorhängen, die ehemalige<br />
Fertigungsstätten vor neugierigen<br />
Blicken schützen. Die Anzeigenadel<br />
eines Druckventils wehrt<br />
sich hartnäckig gegen den Verfall.<br />
Ein verlassener Kohlewaggon steht<br />
wie ein Fels in der Brandung der Zeit.<br />
Rostige Rauchabzüge vor verhangenem<br />
Himmel. Schrott – Kettenräder,<br />
Triebwerke, Riemen, Erzkübel – leistet<br />
schweigend, doch nachdrücklich<br />
Widerstand gegen das Kommando<br />
der Windböen. Noch lange nachdem<br />
die Kokereiarbeiter die letzte Schicht<br />
gefahren, ihre Blaumänner ausgezogen<br />
und den Heimweg angetreten<br />
haben, liegt der Geruch geschmolzenen<br />
Teers auf den Mauern und in der<br />
Luft.<br />
Relikte erinnern an die Jahrhunderte,<br />
in denen die Fabriken, Minen<br />
und Kohleverarbeitungsanlagen im<br />
Ruhrgebiet lebendig waren und von<br />
der Arbeit, dem Lärm, der Hoffnung<br />
und den Träumen tausender Männer<br />
und Frauen widerhallten, die in der<br />
Ferne des Baltikums, an der Atlantikküste,<br />
im östlichen Mittelmeerraum,<br />
ja selbst in der Pazifikregion den Ruf<br />
der Täler am Nordrhein vernommen<br />
hatten und ihm gefolgt waren.<br />
Der Regen spielt Verstecken mit<br />
uns. Es herrscht Frieden, so lange<br />
wir im Auto sitzen. Sobald wir aussteigen,<br />
lockt er uns jedoch in einen<br />
Hinterhalt. Wir passieren Dortmund,<br />
<strong>Bochum</strong> und Essen. Überall<br />
prägen stillgelegte Zechen das Bild<br />
der Landschaft. Bahndämme werden<br />
114<br />
von Birkenwäldern überwuchert. Auf<br />
Fabrikgeländen wachsen Pappeln<br />
und Linden, hinter denen das Panorama<br />
der Kühltürme zu verschwinden<br />
beginnt. Der Phoenix hat sich<br />
gut in Position gebracht: Er ist jetzt<br />
das Wappentier der Region.<br />
Die Industrie ging, und es kam<br />
die virtuelle Ökonomie: IT, internationale<br />
Finanzdienste und der<br />
Heritage-Tourismus des postindustriellen<br />
Zeitalters besetzten die geräumten<br />
Brachen. Vor ein paar Jahren<br />
führten mich Freunde zu einem<br />
Aussichtspunkt, von dem wir auf ein<br />
riesiges Gelände blickten. Es war ein<br />
Schlachtfeld, übersäht von Wunden,<br />
die die Schaufelräder und Raupenketten<br />
geschlagen hatten. Hier hatte<br />
sich einst das größte Stahlwerk Dortmunds<br />
befunden. Nach der Demontage<br />
wurde es in Einzelteilen in eine<br />
chinesische Billiglohnprovinz verschifft.<br />
Künftige Generationen werden<br />
am alten Standort durch einen<br />
Park schlendern und neben einem<br />
künstlichen See relaxen. Nicht wenig<br />
symbolträchtig trägt der neue Komplex<br />
den Namen der großen Ikone<br />
der Wiederauferstehung: Phoenix.<br />
eS war, alS hätte ich einen<br />
riSS im koSmiSchen<br />
gewebe Von zeit und<br />
raum entdeckt.<br />
Als ich in den 1970er Jahren in Goa<br />
und Bombay aufwuchs, waren Dortmund,<br />
<strong>Bochum</strong> und Essen die ersten<br />
Ortsnamen, die ich hörte. Mein<br />
Vater arbeitete für Tata, eines der<br />
größten indischen Unternehmen,<br />
Hersteller von Autos, Baumaschinen<br />
und Stahl.<br />
Zu meinen frühesten Erinnerungen<br />
gehören Fotos von riesigen Fabriken<br />
und Produktionsanlagen im<br />
Ruhrgebiet, zu dem der Tata-Konzern<br />
enge Beziehungen pflegte. Als ich<br />
2003 zum ersten Mal nach Dortmund<br />
kam, um einen Urlaub bei<br />
meinem Freund, dem Dichter und<br />
Übersetzer Jürgen Brôcan, zu verbringen,<br />
erschienen mir die Architektur<br />
und die Topografie der Stadt ungeheuer<br />
vertraut. Es war, als hätte ich