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schon über siebzig und stand frühmorgens um fünf Uhr auf: „Alte Leute brauchen<br />
n<strong>ich</strong>t so viel Schlaf!“ und: „Morgenstund' hat Gold im Mund!“<br />
Wer den blöden Spruch erfunden hat, der soll an seinem Gold ersticken!<br />
Dafür machte sie mir regelmäßig abends um acht Uhr das L<strong>ich</strong>t aus. „Wir gehen jetzt<br />
alle ins Bett. Wir müssen Strom sparen!“<br />
Eines Tages kam <strong>ich</strong> mittags von der Arbeit nach Hause und fand alle Rollläden<br />
heruntergelassen, im Haus waren alle Lampen hell erleuchtet.<br />
„Was ist denn hier los, Oma? Der Krieg ist seit über vierzig Jahren vorbei, wir<br />
benötigen keine Verdunkelung!“<br />
Aber Oma war humorlos wie ein Torwart kurz vor dem Elfmeterschießen. „Ich habe<br />
Fenster geputzt und es fing an zu regnen!“<br />
Oma putzte alle drei Tage Fenster!<br />
„Ich denke, wir müssen Strom sparen!“<br />
Mein schüchterner Versuch, sie auf ihre eigenen Worte hinzuweisen schlug fehl. Bei<br />
Oma gab es keine Logik und keine Eins<strong>ich</strong>t. Ihre Toleranzgrenze war gle<strong>ich</strong> null. Sie<br />
legte s<strong>ich</strong> beleidigt weinend ins Bett und grübelte über den <strong>An</strong>t<strong>ich</strong>rist, diesem<br />
undankbaren Enkel.<br />
Oma kochte – zugegeben – gut. Aber wehe, man würdigte dieses n<strong>ich</strong>t genügend<br />
indem man s<strong>ich</strong> bis zum Platzen voll stopfte. Gab <strong>ich</strong> nach vier Tellern Suppe<br />
keuchend und mit hochrotem Kopf auf, fauchte sie: „Aha, es schmeckt dir also n<strong>ich</strong>t<br />
bei mir!“<br />
Hatte sie m<strong>ich</strong> dann genug gemästet hieß es: „Du bist ganz schön dick geworden.<br />
Müsstest mal wieder abnehmen!“<br />
Ja, das war Oma.<br />
Nun zurück zum Konfirmationsessen. Die Vorsuppe war heiß, so wie sie sein sollte.<br />
Oma beäugte sie misstrauisch und stellte dann fest: „Die Suppe ist schon kalt!“<br />
„Probiere sie erst einmal!“, sagte Mona Marie.<br />
„Kalte Suppe esse <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t!“<br />
„Dann lass es bleiben!“, tönte jemand von den anderen dreißig Gästen.<br />
<strong>An</strong>schließend ließ s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr feststellen, wer es war.<br />
Oma überhörte offenbar die Provokation, fing an zu löffeln und verbrannte s<strong>ich</strong> den<br />
Mund.<br />
Unser Freund Erhard, ein lang aufgeschossener Mann in den Fünfzigern, saß ihr<br />
gegenüber und verschluckte s<strong>ich</strong>. Er war dünn wie Kaffee auf einer Sozialstation und