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hörte auf mit dem Stuhl zu wippen und blickte m<strong>ich</strong> anerkennend an. Ich machte eine<br />
wirkungsvolle Pause, um ihre Erwartung ins Maßlose steigen zu lassen<br />
„Das Klügste wäre, eine Autorenvorlesung zu besuchen und mit Fachleuten in<br />
Kontakt zu treten.“<br />
Das Literaturforum<br />
Voller Spannung hatten wir ihn erwartet, jenen ersten Abend im Literaturforum, der in<br />
einem uns unbekannten Kindergarten stattfand. Das Treffen begann völlig<br />
unliterarisch, weil wir den Eingang n<strong>ich</strong>t fanden, oder n<strong>ich</strong>t zu finden glaubten. Er war<br />
näml<strong>ich</strong> noch verschlossen, als wir ankamen.<br />
.<br />
Während wir herumirrten, tauchte vor uns im Dunkeln ein Mann auf, der größtenteils<br />
aus einem schwarzen Bart zu bestehen schien, und bei dem <strong>ich</strong> zunächst einen<br />
Sprengstoffgürtel vermutete. Er entpuppte s<strong>ich</strong> aber als gle<strong>ich</strong>gesinnt und suchte<br />
auch nur den Eingang ins kulturgetränkte Vergnügen.<br />
Kurze Zeit später hatten s<strong>ich</strong> dann alle gefunden, und die Runde begann nach<br />
einigem Stühle rücken mit dem, was sie hierher geführt hatte. Außerdem wurde die<br />
Tür abgeschlossen, damit niemand mehr entfliehen konnte. Meine Erwartungen<br />
stiegen ins Maßlose und die erste Erzählung wurde vorgelesen. Sie war perfekt, gut<br />
durchdacht, und der Sound spiegelte die Lebensweise und Perspektivlosigkeit der<br />
Handelnden einfühlsam wieder. Jedenfalls klang das für meine profanen Ohren so.<br />
N<strong>ich</strong>t aber für die Re<strong>ich</strong> Ranicki-Verschnitte, die s<strong>ich</strong> hier in Scharen profilieren<br />
wollten. Sie meinten, der Text hätte noch stellenweise gekürzt, also bis zur<br />
Unkenntl<strong>ich</strong>keit zusammengehauen werden müssen. Überhaupt wären einige<br />
Passagen völlig fehl am Platz und sie hätten das so oder so geschrieben.<br />
Erstaunl<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> sagte lieber n<strong>ich</strong>ts mehr und beschränkte m<strong>ich</strong> aufs Zuhören und<br />
Beobachten.<br />
Dann las Little Shakespeare, so taufte <strong>ich</strong> den distinguierten Herrn, mit tragender<br />
Stimme einen englischen Text vor. Wahrscheinl<strong>ich</strong> traute s<strong>ich</strong> niemand zuzugeben,<br />
dass er n<strong>ich</strong>t genügend Englisch verstand, also folgten allgemeine<br />
Begeisterungsstürme.<br />
Wie dem auch sei, Mona Marie meinte hinterher respektlos, dass sein Englisch in<br />
ihren Ohren gerauscht hätte und ihre Schwester Mary Lee ihn wahrscheinl<strong>ich</strong> mit<br />
ihrem Peacemaker vom Hof jagen würde und Onkel Corky, mit einer Rifle fuchtelnd,<br />
den erneuten Krieg gegen eindringende Engländer ausrufen würde. Immerhin war<br />
Mona Marie Amerikanerin und ihr fünf oder sechs Mal Urgroßvater hatte „The<br />
Declaration of Independence“ gle<strong>ich</strong> unter Benjamin Franklin unterschrieben. Dabei<br />
fiel mir dann nebenbei ein, dass <strong>ich</strong> die vorgelesene Story just am vergangenen<br />
Samstag als Film im Fernsehen gesehen hatte. Jedenfalls fiel sie sehr ähnl<strong>ich</strong> aus -<br />
mit Liam Neeson in der Hauptrolle.<br />
Eine etwas gesetzte Dame rezitierte dann ein Ged<strong>ich</strong>t, in dem s<strong>ich</strong> Torten und<br />
Kuchen unterhielten und Kinder mit mutierten Clowns durch die Luft wirbelten.