Top100 Kufstein 2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
top 100 KUFSTEIN | INDUSTRIE<br />
eine wichtige Transit- und Mautstelle.<br />
Auch der Handel und das Gewerbe<br />
erblühten in dieser politisch relativ ruhigen<br />
Zeit. Das änderte sich mit dem<br />
Besonders gewinnbringend für die<br />
Region in <strong>Kufstein</strong> erwies sich die<br />
Ansiedlung der Biochemie GmbH<br />
in Kundl. Sie wurde 1946 von einer<br />
Brauerei, der Österreichischen Brau<br />
AG Linz, in Innsbruck gegründet. Ihr<br />
Unternehmensziel war es, Penicillin<br />
eigenständig herzustellen. Penicillin<br />
wurde 1928 in London entdeckt und<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg in den<br />
USA industriell hergestellt. Man wollte<br />
also eine notwendige sowie schwer zu<br />
erwerbende Mangelware produzieren.<br />
der start<br />
Die Ausgangsbedingungen dafür waren<br />
katastrophal: 500.000 Schilling<br />
Stammkapital, ein aus Frankreich<br />
importierter und wenig leistungsfähiger<br />
Pilzstamm zur Herstellung<br />
des Penicillins und ein dürftig ausgestattetes<br />
Entwicklungslabor in<br />
Innsbruck. Darum übersiedelte<br />
man bald in eine stillgelegte Brauerei<br />
in Kundl. Dabei wurde selbst<br />
das Braupersonal übernommen, da<br />
das verwandte Braugewerbe ja auch<br />
jene hygienische Arbeitsweise erforderte,<br />
die im biochemischen Erzeugungsvorgang<br />
des Antibiotikums<br />
entscheidend ist. Außerdem hatten<br />
die Mitarbeiter Übung im Umgang<br />
mit technischen Einrichtungen. Zu<br />
Beginn wurden sogar aus Frankreich<br />
importierte Behälter für V2-Raketen<br />
der deutschen Wehrmacht, die in<br />
Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs,<br />
als 1703 Kurfürst Max Emanuel von<br />
Bayern als Bundesgenosse Frankreichs<br />
in Tirol eindrang. Doch bereits ein<br />
Das Wunder von Kundl<br />
Biochemie: Die Entdeckung von oral einnehmbarem Penicillin ermöglichte die rasante<br />
Entwicklung der Biochemie Kundl GmbH zu einem Tiroler Musterbetrieb mit Weltformat<br />
– die Sandoz GmbH im Rahmen der Novartis Unternehmensgruppe.<br />
„Das kleine, bisher kaum<br />
beachtete Penicillinwerk in<br />
Kundl wurde zum Mittelpunkt<br />
internationalen<br />
wissenschaftlichen Interesses<br />
auf dem Gebiet der<br />
Penicillinforschung und ist<br />
es bis heute geblieben.“<br />
Jahr später zogen die Bayern wieder ab.<br />
Kuf stein wurde durch den Ilbesheimer<br />
Vertrag Österreich zuerkannt. Noch ein<br />
letztes Mal wurde es 1805 im Zuge des<br />
einem Bergwerkstollen in Schwaz<br />
gefunden wurden, als Rührgefäße<br />
verwendet. Penicillin wurde damals<br />
noch fast ausschließlich injiziert oder<br />
als Pilz oberflächenkultur mit einer<br />
infizierten Wunde in Berührung gebracht.<br />
Ein säurestabiles Penicillin,<br />
das in Form von Tabletten durch<br />
den Magen aufgenommen werden<br />
konnte, kannte man damals nicht.<br />
Das flüssige, gelbfärbige Penicillin<br />
war jedoch aufgrund der schlechten<br />
Produktionsbedingungen sehr infektionsanfällig.<br />
Dem Chemiker Dr.<br />
Hans Magreiter und dem Biologen<br />
Dr. Ernst Brandl gelang es jedoch<br />
tatsächlich, säurestabiles Penicillin<br />
zu entwickeln, das erstmals eine<br />
Einnahme in Tablettenform ermöglichte.<br />
Das war bisher selbst Industriegiganten<br />
nicht gelungen. Eine<br />
Weltsensation! Das Präparat wurde<br />
Penicillin-V nach Brandls Bezeichnung<br />
„V für vertraulich“ genannt.<br />
Später wurde dieses „V“ für „Victory“<br />
gelesen. Nach dem Abschluss der<br />
Entwicklungsarbeiten erfolgte die<br />
Anmeldung zum Patent, in Österreich<br />
und in 26 anderen Ländern.<br />
„Das kleine, bisher kaum beachtete<br />
Penicillinwerk in Kundl wurde zum<br />
Mittelpunkt internationalen wissenschaftlichen<br />
Interesses auf dem Gebiet<br />
der Penicillinforschung und ist es<br />
bis heute geblieben.“ Das Unternehmen<br />
expandierte rasch, sowohl im<br />
Bereich der Produktion als auch in<br />
der Zahl der Beschäftigten. Die Brau<br />
AG gab die Führung und Kapitalmehrheit<br />
an dem branchenfremden<br />
Unternehmen im Jahre 1964 an die<br />
Sandoz AG in Basel ab, die als Alleineigentümerin<br />
die Biochemie Kundl<br />
zu einem selbstständigen Tiroler Musterbetrieb<br />
von Weltformat führte.<br />
2003 wurde die Biochemie GmbH<br />
in Sandoz GmbH umbenannt. Kundl<br />
ist heute ein zentraler Entwicklungsund<br />
Produktionsstandort der Novartis-Gruppe<br />
und Sitz der Sandoz<br />
GmbH. Es beschäftigt 4.300 Mitarbeiter,<br />
das Firmengelände umfasst<br />
heute 28,3 Hektar und ihr Schwerpunkt<br />
liegt immer noch in der Herstellung<br />
von Antibiotika-Wirkstoffen<br />
und Antibiotika-Fertigformen.<br />
5<br />
König, Biochemie Kundl, in: Helmut Alexander,<br />
Geschichte der Tiroler Industrie. Aspekte einer wechselvollen<br />
Entwicklung, 1992, S. 201ff.<br />
24<br />
ECHO TOP 100 UNTERNEHMEN IM BEZIRK KUFSTEIN <strong>2018</strong>