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Top100 Kufstein 2018

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top 100 KUFSTEIN | INDUSTRIE<br />

eine wichtige Transit- und Mautstelle.<br />

Auch der Handel und das Gewerbe<br />

erblühten in dieser politisch relativ ruhigen<br />

Zeit. Das änderte sich mit dem<br />

Besonders gewinnbringend für die<br />

Region in <strong>Kufstein</strong> erwies sich die<br />

Ansiedlung der Biochemie GmbH<br />

in Kundl. Sie wurde 1946 von einer<br />

Brauerei, der Österreichischen Brau<br />

AG Linz, in Innsbruck gegründet. Ihr<br />

Unternehmensziel war es, Penicillin<br />

eigenständig herzustellen. Penicillin<br />

wurde 1928 in London entdeckt und<br />

seit dem Zweiten Weltkrieg in den<br />

USA industriell hergestellt. Man wollte<br />

also eine notwendige sowie schwer zu<br />

erwerbende Mangelware produzieren.<br />

der start<br />

Die Ausgangsbedingungen dafür waren<br />

katastrophal: 500.000 Schilling<br />

Stammkapital, ein aus Frankreich<br />

importierter und wenig leistungsfähiger<br />

Pilzstamm zur Herstellung<br />

des Penicillins und ein dürftig ausgestattetes<br />

Entwicklungslabor in<br />

Innsbruck. Darum übersiedelte<br />

man bald in eine stillgelegte Brauerei<br />

in Kundl. Dabei wurde selbst<br />

das Braupersonal übernommen, da<br />

das verwandte Braugewerbe ja auch<br />

jene hygienische Arbeitsweise erforderte,<br />

die im biochemischen Erzeugungsvorgang<br />

des Antibiotikums<br />

entscheidend ist. Außerdem hatten<br />

die Mitarbeiter Übung im Umgang<br />

mit technischen Einrichtungen. Zu<br />

Beginn wurden sogar aus Frankreich<br />

importierte Behälter für V2-Raketen<br />

der deutschen Wehrmacht, die in<br />

Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs,<br />

als 1703 Kurfürst Max Emanuel von<br />

Bayern als Bundesgenosse Frankreichs<br />

in Tirol eindrang. Doch bereits ein<br />

Das Wunder von Kundl<br />

Biochemie: Die Entdeckung von oral einnehmbarem Penicillin ermöglichte die rasante<br />

Entwicklung der Biochemie Kundl GmbH zu einem Tiroler Musterbetrieb mit Weltformat<br />

– die Sandoz GmbH im Rahmen der Novartis Unternehmensgruppe.<br />

„Das kleine, bisher kaum<br />

beachtete Penicillinwerk in<br />

Kundl wurde zum Mittelpunkt<br />

internationalen<br />

wissenschaftlichen Interesses<br />

auf dem Gebiet der<br />

Penicillinforschung und ist<br />

es bis heute geblieben.“<br />

Jahr später zogen die Bayern wieder ab.<br />

Kuf stein wurde durch den Ilbesheimer<br />

Vertrag Österreich zuerkannt. Noch ein<br />

letztes Mal wurde es 1805 im Zuge des<br />

einem Bergwerkstollen in Schwaz<br />

gefunden wurden, als Rührgefäße<br />

verwendet. Penicillin wurde damals<br />

noch fast ausschließlich injiziert oder<br />

als Pilz oberflächenkultur mit einer<br />

infizierten Wunde in Berührung gebracht.<br />

Ein säurestabiles Penicillin,<br />

das in Form von Tabletten durch<br />

den Magen aufgenommen werden<br />

konnte, kannte man damals nicht.<br />

Das flüssige, gelbfärbige Penicillin<br />

war jedoch aufgrund der schlechten<br />

Produktionsbedingungen sehr infektionsanfällig.<br />

Dem Chemiker Dr.<br />

Hans Magreiter und dem Biologen<br />

Dr. Ernst Brandl gelang es jedoch<br />

tatsächlich, säurestabiles Penicillin<br />

zu entwickeln, das erstmals eine<br />

Einnahme in Tablettenform ermöglichte.<br />

Das war bisher selbst Industriegiganten<br />

nicht gelungen. Eine<br />

Weltsensation! Das Präparat wurde<br />

Penicillin-V nach Brandls Bezeichnung<br />

„V für vertraulich“ genannt.<br />

Später wurde dieses „V“ für „Victory“<br />

gelesen. Nach dem Abschluss der<br />

Entwicklungsarbeiten erfolgte die<br />

Anmeldung zum Patent, in Österreich<br />

und in 26 anderen Ländern.<br />

„Das kleine, bisher kaum beachtete<br />

Penicillinwerk in Kundl wurde zum<br />

Mittelpunkt internationalen wissenschaftlichen<br />

Interesses auf dem Gebiet<br />

der Penicillinforschung und ist es<br />

bis heute geblieben.“ Das Unternehmen<br />

expandierte rasch, sowohl im<br />

Bereich der Produktion als auch in<br />

der Zahl der Beschäftigten. Die Brau<br />

AG gab die Führung und Kapitalmehrheit<br />

an dem branchenfremden<br />

Unternehmen im Jahre 1964 an die<br />

Sandoz AG in Basel ab, die als Alleineigentümerin<br />

die Biochemie Kundl<br />

zu einem selbstständigen Tiroler Musterbetrieb<br />

von Weltformat führte.<br />

2003 wurde die Biochemie GmbH<br />

in Sandoz GmbH umbenannt. Kundl<br />

ist heute ein zentraler Entwicklungsund<br />

Produktionsstandort der Novartis-Gruppe<br />

und Sitz der Sandoz<br />

GmbH. Es beschäftigt 4.300 Mitarbeiter,<br />

das Firmengelände umfasst<br />

heute 28,3 Hektar und ihr Schwerpunkt<br />

liegt immer noch in der Herstellung<br />

von Antibiotika-Wirkstoffen<br />

und Antibiotika-Fertigformen.<br />

5<br />

König, Biochemie Kundl, in: Helmut Alexander,<br />

Geschichte der Tiroler Industrie. Aspekte einer wechselvollen<br />

Entwicklung, 1992, S. 201ff.<br />

24<br />

ECHO TOP 100 UNTERNEHMEN IM BEZIRK KUFSTEIN <strong>2018</strong>

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