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Nr. 17 - September / Oktober 2008

Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon Paris: die Sainte-Chapelle Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim Provence: Cordes-sur-ciel Rezept: mousse au chocolat

Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon
Paris: die Sainte-Chapelle
Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim
Provence: Cordes-sur-ciel
Rezept: mousse au chocolat

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Kulturschock<br />

Liebgemeinte Ohrfeigen<br />

Zugegeben, als Hamburger genießt man nicht den Ruf,<br />

ein aufgeschlossener und zuvorkommend-höflicher<br />

Mensch zu sein. Dass der Hamburger diesen Ruf zu<br />

Unrecht hat und dass seine Freundlichkeit als solche von seinen<br />

(Lands-)leuten nicht immer erkannt wird, daran habe ich<br />

mich gewöhnt. Von diesen regionalen Unterschieden in<br />

Deutschland nämlich einmal abgesehen, hielt ich mich immer<br />

für einen höflichen und freundlichen Menschen. Bis ich nach<br />

Frankreich zog. Von da an kam ich mir vor wie ein mürrischer<br />

Stiesel, der seine Mitmenschen ständig vor den Kopf stößt.<br />

Dass einen die Verkäuferinnen in Frankreich wortreich<br />

und höflich nach dem Begehr fragen, dass sie beim Verpacken<br />

der Ware noch ein bisschen schwatzen und dass sie<br />

einen mit den besten Wünschen für den Tag verabschieden<br />

– das ist überall bekannt und schon beinahe sprichwörtlich.<br />

Dass die französische Höflichkeit über dieses kundenfreundliche<br />

Verhalten noch weit hinausgeht, habe ich erst langsam<br />

begriffen.<br />

Dabei war das erste, was ich lernen musste, die Tatsache,<br />

dass ein einfaches « non » als Antwort auf eine einfache Frage<br />

für einen Franzosen nicht genügt. Man sagt nicht « non »,<br />

wenn man auf der Straße gefragt wird, ob man eine Zigarette<br />

habe. Nein, man bleibt stehen, man bedauert, dass man<br />

keine Zigaretten hat, man entschuldigt sich, dass man nicht<br />

helfen könne, und man wünscht wortreich einen guten Tag.<br />

All das ist in meinem – durchaus freundlichen – « non » enthalten.<br />

Dachte ich jedenfalls. Das entsetzte Gesicht meines<br />

Gegenübers sagte mir aber stets etwas Anderes.<br />

Anfangs beachtete ich diese Reaktionen meiner Gesprächpartner<br />

nicht weiter und bemerkte nur manchmal mit<br />

Verwunderung, dass einige beinahe gekränkt reagierten und<br />

sich – in aller Höflichkeit selbstverständlich – zurückzogen.<br />

Bis mir eine Situation vor Augen führte, was ich mit meinem<br />

deutschen « non » eigentlich anrichtete.<br />

Ich ging mit einem Bekannten, einem Franzosen, durch<br />

die Stadt, wo an diesem Tag unzählige in bunte Kostüme<br />

verkleidete Studenten Kunststückchen machten und die<br />

Passanten um Geld baten. Mein Begleiter erklärte mir, dass<br />

es Tradition hier sei, für die Jahresabschlussfeier der Studenten<br />

die Bevölkerung zu Spenden aufzurufen. Die Leute<br />

waren auch ganz offen und ich sah viele, die bereitwillig ihre<br />

Geldbörse zückten. Auch wir waren schon einige Male angesprochen<br />

worden und hatten ein bisschen Kleingeld gegeben.<br />

Nun kam wieder ein junger Mann und bat um eine Spende.<br />

Mein Begleiter erklärte ihm wortreich, dass wir schon einiges<br />

gespendet hätten, dass wir jetzt kein Kleingeld mehr hätten,<br />

dass er ihnen noch viel Erfolg wünsche und einen schönen<br />

Tag, eine schöne Feier und überhaupt ein schönes Leben und<br />

so weiter. Der junge Mann bedankte sich ebenso wortreich<br />

und wendete sich dann an mich: « Möchten Sie etwas spenden?<br />

» In bestem Gewissen, dass mein Begleiter längst alles<br />

gesagt hatte, was zu sagen war, schüttelte ich freundlich den<br />

Kopf und sagte nur… « Non! ». Und das saß. Der arme Student<br />

schaute mich mit großen Augen an, machte entsetzt einen<br />

Schritt zurück, drehte sich wortlos um und verschwand.<br />

Mein « Non! » muss wie eine Ohrfeige gewirkt haben.<br />

Seitdem achtete ich darauf und tatsächlich: Die Bettler,<br />

die Leute, die nach einer Zigarette oder nach dem Weg fragten,<br />

und denen ich nur ein kurzes « non » entgegenbrachte,<br />

schauten mich alle irritiert an und wendeten sich schnell ab.<br />

Ich stellte fest, dass ich durch Frankreich lief und dabei ständig<br />

Ohrfeigen verteilte.<br />

Es brauchte nicht lange, um mich an die vielen Worte des<br />

Neinsagens zu gewöhnen. Schließlich machten auch meine<br />

Sprachkenntnisse einige Fortschritte und so wurde aus meinem<br />

kurzen, knappen und sehr deutschen « nein » ein etwa<br />

einminütiges und sehr französisches « non ». Und tatsächlich,<br />

der Redeschwall, den ich da leistete, hatte auch etwas angenehm<br />

Kommunikatives.<br />

Dabei wunderte mich immer, dass auch die jungen Leute<br />

diese Art von Höflichkeit an den Tag legten. Auch die ach<br />

so coolen Teenager antworteten so ausführlich und höflich<br />

auf eine Frage nach dem Weg, dass ich mir die Augen reiben<br />

musste. War das denn die Möglichkeit? Wenn ich da an die<br />

maulfaulen Kids in der Hamburger U-Bahn dachte!<br />

Die größten Momente französischer Höflichkeit blieben<br />

aber immer die kleinen Alltagssituationen, in denen ich aus<br />

Versehen Leute anrempelte. Ein sofortiges « Oh Pardon! »<br />

war mir garantiert. Wohlgemerkt, ich war derjenige, der die<br />

anderen angestoßen hatte! Mit Verblüffung stellte ich fest,<br />

dass dieses zuvorkommende Verhalten die Regel und nicht<br />

die Ausnahme war. Stieß ich jemanden mit meinem Einkaufswagen<br />

an, berührte ich jemanden mit dem Ellbogen,<br />

rempelte ich jemanden mit meiner Einkaufstasche an – immer<br />

bekam ich ein erschrecktes « Pardon! » zu hören und einen<br />

besorgten Blick, ob mir denn nichts geschehen sei. Diese<br />

Eigenheit der Franzosen hat mich immer sehr fasziniert<br />

und ich begann sie mit der Zeit zu übernehmen. Manchmal<br />

machte ich sie mir auch zunutze. In Zeiten, in denen ich<br />

mich als Ausländer in Frankreich fremd und alleine fühlte<br />

und unter einer Art Heimweh litt, habe ich manchmal mit<br />

Absicht jemanden leicht angerempelt, mit dem Einkaufswagen<br />

zum Beispiel, und erfreute mich der sofortigen, wenn<br />

auch kurzen Aufmerksamkeit, die mir geschenkt wurde. Das<br />

Heimweh wurde dadurch gleich gelindert – wenn auch ganz<br />

sicher nicht das nach der deutschen Höflichkeit.<br />

44 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong>

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