Nr. 17 - September / Oktober 2008

Unterwegs in Frankreich Elsass
Gœthes amour fou
in Sesenheim
Auf dem Weg ins nordelsässische Sesenheim.
Im Norden von Straßburg liegt das beschauliche
Dörfchen Sesenheim, das mit dem Auto
in weniger als 20 Minuten von der elsässischen
Metropole aus zu erreichen ist. Vor 200
Jahren war das ein strammer Halbtagesritt.
Den unternahm im Herbst 1770 und in der ersten
Jahreshälfte 1771 des Öfteren ein gewisser
Studiosus Goethe, der in Sesenheim die
anregenden Gespräche mit dem Pfarrer Brion
suchte. Und die Nähe zu seiner anmutigen
Tochter Friederike. Eine Fahrt auf den Spuren
einer der berühmtesten Romanzen der Literaturgeschichte.
Der junge Goethe, der seit April 1770 in Straßburg
seine Studien der Rechtswissenschaft fortsetzte,
genoss im Elsass ein munteres Studentenleben.
Dazu gehörten neben den ungeliebten (und häufig gemiedenen)
Vorlesungen an der Universität Wirtshausbesuche,
Streifzüge durchs Elsass und anregende Diskussionen im
großen Freundes- und Bekanntenkreis. Zu diesem zählte
auch Friedrich Leopold Weyland, mit dem Goethe im Sommer
1770 eine weite Wanderung zu Pferd durch das nördliche
Elsass und die angrenzenden deutschen Länder unternahm.
Auf der Rückreise drängte ihn Weyland zu einer
Zwischenstation in Sesenheim (frz. Sessenheim), wo er mit
der Familie des Pfarrers gut befreundet war.
Vor allem wollte er Goethe Friederike vorstellen, von der
er schwärmte. Dieser Typ eines gebildeten, aufgeweckten
aber sittsamen Landmädchens, das mit sich, dem Leben und
der Natur im Reinen und dazu noch von einer frischen und
anmutigen Schönheit war, traf so ganz das Schönheitsideal
des späten 18. Jahrhunderts. Frankreich stand in jenen Jahren
ganz unter dem Eindruck der Schriften von unter anderen
Rousseau, in denen das Leben auf dem Lande idealisiert
wurde. Der Drang nach einem einfachen und ungekünstelten
Leben in der Natur war in bürgerlichen Kreisen weit verbrei-
64 · Frankreich erleben · September / Oktober 2008