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Nr. 17 - September / Oktober 2008

Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon Paris: die Sainte-Chapelle Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim Provence: Cordes-sur-ciel Rezept: mousse au chocolat

Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon
Paris: die Sainte-Chapelle
Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim
Provence: Cordes-sur-ciel
Rezept: mousse au chocolat

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tet. Goethe ließ sich von Weyland nicht lange<br />

zum Aufenthalt in Sesenheim überreden.<br />

In bester und standesgemäßer Manier wurden<br />

die beiden « Kandidaten » (Studenten kurz<br />

vor dem Ende ihrer Universitätsausbildung) von<br />

der Familie empfangen. Nur die erste Begegnung<br />

mit Friederike zögerte sich hinaus. Das<br />

Mädchen musste mehrfach gerufen werden und<br />

als man begann, sich Sorgen zu machen, wurde<br />

sogar überlegt, einen Suchtrupp loszuschicken.<br />

So jedenfalls schildert Goethe die Szene aus<br />

jahrzehntelanger Rückschau in « Dichtung<br />

und Wahrheit » und ihr dramaturgischer Spannungsbogen<br />

bis zur ersten Begegnung lässt uns<br />

heute eher an Dichtung als an Wahrheit glauben.<br />

Denn ein Suchtrupp musste dann doch<br />

nicht ausgeschickt werden, denn schließlich trat<br />

die schöne Maid gesund und munter ins Zimmer<br />

und es «... ging fürwahr an diesem ländlichen<br />

Himmel ein allerliebster Stern auf », wie<br />

sich der alte Goethe erinnerte.<br />

Wer heute in das Elsass fährt, besucht zumeist<br />

die Hauptstadt Straßburg und das südliche<br />

Elsass mit seinen lieblichen Landschaften,<br />

den guten Weinbergen und den berühmten<br />

Kunstschätzen, wie zum Beispiel in Colmar.<br />

Das nördliche Departement der Region, das an<br />

landschaftlichen Reizen auf den ersten Blick<br />

nicht so viel zu bieten hat wie die südliche<br />

Schwester, wird von den Touristen meist nur<br />

durchfahren, bestenfalls wird kurz in einem der<br />

Töpferdörfer wie Soufflenheim oder Betschdorf<br />

angehalten. Die Gegend nördlich von Straßburg<br />

wird von flachen Ebenen dominiert, in der schmucke<br />

und herausgeputzte Dörfer das Auge bei der Durchfahrt<br />

erfreuen. Zum Aussteigen verführen sie meist nicht.<br />

In Sesenheim sollte der Besucher aber für einen Moment<br />

anhalten. Zum einen, weil Literatur- und Geschichtsbegeisterte<br />

an Schauplätzen der Liebe Goethes zu Friederike<br />

Brion lustwandeln können, zum anderen aber auch, weil<br />

man hier bestaunen kann, was ein gutes Marketing aus einer<br />

kleinen Episode alles machen kann. Denn Sesenheim,<br />

das mögen die Bewohner dort verzeihen, ist nicht unbedingt<br />

eine Reise wert. Zumindest nicht mehr oder weniger<br />

als die vielen anderen Dörfer der Region wie Drusenheim<br />

oder Bischwiller. Trotzdem kommen jährlich tausende<br />

Touristen in den verschlafenen Ort, in dem die mittägliche<br />

Abfahrt des Schulbusses nach Unterrichtsende das einzige<br />

größere Ereignis des Tages zu sein scheint. Wäre da nicht<br />

die sagenumwobene Geschichte von der Liebe des jungen<br />

Goethe und der schönen Friederike.<br />

Deswegen kann man in Sesenheim ein tempelartiges<br />

Goethe-Memorial besichtigen und andächtig dem Dichterfürsten<br />

gedenken sowie eine kleine Ausstellung zu seinem<br />

Sesenheimer Aufenthalt auf der Rückseite des Memorials<br />

besuchen. Außerdem ist auf der Straße eine Goethe-<br />

Mitten im Dorf : das Goethe-Memorial.<br />

Scheune ausgeschildert. Eine Scheune? Ja, wenige Schritte<br />

vom Memorial entfernt befindet sich, inmitten eines Privatgrundstücks,<br />

die Goethe-Scheune. Sie hat nicht mehr mit<br />

dem Dichter zu tun, als dass sie wohl das einzige Gebäude<br />

in Sesenheim ist, dessen Zustand sich seit jenen Zeiten nicht<br />

verändert hat. Des Dichters Auge mag also des Öfteren auf<br />

ihr geruht haben und wer weiß, vielleicht nutzte er sie sogar<br />

zu manchem Stelldichein mit Friederike?<br />

Schließlich findet der Besucher noch den Hinweis zu einer<br />

Friederiken-Ruh. Vielleicht das Grab der Pfarrerstochter?<br />

Entlang der Hauptstraße und geführt durch ein Schild<br />

am Marktplatz, auf dem die Goethe-Sehenswürdigkeiten<br />

als Rundweg eingezeichnet sind, ist ein kleiner baumumstandener<br />

Hügel auszumachen. Auf ihm aber nur ein Holzgeländer<br />

und ein großer Stein, der an Friederike Brion erinnert.<br />

Hier sollen Goethe und Friederike in der Nacht der<br />

ersten Begegnung lange Gespräche geführt haben. Hier soll<br />

aus dem ersten Schwärmen der Funke ernsteren Verliebens<br />

übergesprungen sein. Hier also, der Legende nach, begann<br />

die Romanze so eigentlich.<br />

Nach dem ersten Aufenthalt im Sesenheimer Pfarrhof<br />

besuchte Goethe regelmäßig die Familie. Bis in den<br />

Frühsommer <strong>17</strong>71 wechselten lange Gespräche mit Friederikes<br />

Vater und lange Spaziergänge mit Friederike einander<br />

ab. Goethe bezeichnete Sesenheim damals als seinen<br />

« Mittelpunkt der Welt ». Er begann wieder zu dichten.<br />

Im Zyklus « Sesenheimer Lieder » sind wunderschöne<br />

und zarte Gedichte vereint, deren Leichtigkeit und Poesie<br />

O liebliche Friedrike,<br />

Dürft ich nach dir zurück,<br />

In einem deiner Blicke<br />

Liegt Sonnenschein und Glück.<br />

Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong> · 65

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