Nr. 17 - September / Oktober 2008
Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon Paris: die Sainte-Chapelle Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim Provence: Cordes-sur-ciel Rezept: mousse au chocolat
Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon
Paris: die Sainte-Chapelle
Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim
Provence: Cordes-sur-ciel
Rezept: mousse au chocolat
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Frankreich Heute Tuilerien<br />
das Palais des Tuileries, der Justizpalast<br />
und das Rathaus gingen in Flammen<br />
auf.<br />
Die Tuilerien traf es am 22. Mai<br />
1871. Kommunarden bestrichen die<br />
Mauern mit Petroleum, Schießpulver<br />
und Teer und entzündeten mit dem<br />
explosiven Gemisch ein Feuer, das<br />
einen großen Teil des Gebäudekomplexes<br />
zerstörte. Einige Brandsätze<br />
wurden selbst in den Salons des Palastes<br />
gelegt, damit das Feuer auch ganze<br />
Arbeit leisten würde. Noch heute ist<br />
nicht ganz klar, ob es sich bei diesen<br />
Ereignissen um die überstürzte Tat<br />
einiger versprengter Kommunarden<br />
oder um die kollektive Entscheidung<br />
der Revolutionsführung handelte.<br />
Sicher ist nur: Nach drei Tagen Flammenherrschaft<br />
war ein großer Teil<br />
des Palastes abgebrannt, mehr als 266<br />
Quadratmeter Fassade waren vernichtet,<br />
darunter der Pavillon de Flore an<br />
der Seine-Seite und der Pavillon de<br />
Marsan an der Rue de Rivoli. Vom<br />
berühmten Gebäude war nur noch der<br />
Louvre übrig geblieben.<br />
Schon 1872 zirkulierte eine Petition,<br />
in der der Wiederaufbau des<br />
Tuilerien-Palastes gefordert wurde.<br />
Zehn Jahre später setzte sich Jules Ferry,<br />
Minister für Bildung und Kunst,<br />
Sonnenbaden in den Tuilerien.<br />
ernsthaft vor dem Senat für einen<br />
Abriss der Brandruinen und einen<br />
Wiederaufbau ein. Doch Jules Ferry<br />
blieb nicht genügend Zeit, das Projekt<br />
zu einem guten Ende zu führen, und<br />
so verschwanden die Pläne wieder in<br />
den Schubladen. Nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg ist der Wiederaufbau<br />
mehrere Male diskutiert worden, und<br />
auch General de Gaulle befasste sich<br />
mit der Idee. Aber erst der Präsident<br />
der Nationalversammlung, Philippe<br />
Séguin, studierte 1994 die Vorschläge<br />
genauer und im Jahr 2002 war es der<br />
Kulturminister Jean-Jacques Aillagon,<br />
der sich sehr interessiert zeigte. Durch<br />
seine Initiative wurde im Journal Officiel<br />
de la République (dt. Amtliches<br />
Anzeigenblatt) die Bildung einer Untersuchungskommission<br />
bekannt gegeben.<br />
Damit wurde die Sache zu einem<br />
offiziellen Vorgang. Diese Kommission<br />
übergab 2007 dem Kulturministerium<br />
ihren Bericht – und befürwortete das<br />
Projekt.<br />
Besonders ein Mann streitet seit<br />
langem mit besonderem Einsatz für die<br />
Restaurierung der Tuilerien und glaubt<br />
mehr daran als jeder andere. Alain<br />
Boumier, pensionierter Bauingenieur,<br />
kämpft als Liebhaber des Empire-Stils<br />
seit 15 Jahren für das Projekt, zuletzt<br />
als Vorsitzender des Nationalen Komitees<br />
zum Wiederaufbau der Tuilerien.<br />
Für ihn ist ganz klar: « Man kann die<br />
französische Geschichte ohne die Tuilerien<br />
nicht begreifen. » Deswegen ist<br />
es für ihn auch undenkbar, dass die<br />
Französische Republik sein Engagement<br />
nicht würdigen und den Palast<br />
nicht wieder in seinen ursprünglichen<br />
Zustand versetzen könne.<br />
Zu einer Zeit, als sich jedermann<br />
mit dem Zustand<br />
der Tuilerien abgefunden<br />
hatte und keiner mehr an<br />
einen Wiederaufbau dachte,<br />
begann er mit einem<br />
unermüdlichen Eifer, der<br />
einen jeden Lobbyisten<br />
zur Ehre gereicht hätte,<br />
die zuständigen Stellen<br />
von der Notwendigkeit des<br />
Projektes zu überzeugen.<br />
Im Jahr 2005 gründete er<br />
das Komitee zum Wiederaufbau<br />
der Tuilerien, unterstützt durch<br />
die Académie du Second Empire, eine<br />
reichlich traditionell-konservative Gelehrtenvereinigung,<br />
die man in Frankreich<br />
eher zum Kreise der (immer noch<br />
existierenden) Royalisten zählt. Fragt<br />
man Alain Boumier danach, sagt er<br />
von sich, er sei weder royaliste noch<br />
bonarpartiste (Republikaner), sondern<br />
einfach Franzose und er zitiert gerne<br />
den Schriftsteller Maurice Druon,<br />
Mitglied der Académie Francaise: « Es<br />
handelt sich hier nicht um eine Frage<br />
von Parteien, sondern um eine Frage<br />
des Vaterlands » (Im Französischen ein<br />
Wortspiel: parti versus patrie).<br />
Doch die Pariser wissen von alledem<br />
nichts. Die ganzen Diskussionen<br />
fanden sozusagen hinter ihren Rücken<br />
statt, hinter verschlossenen Türen, in<br />
den Sphären der hohen Beamtenapparate,<br />
die dem Blick der Öffentlichkeit<br />
meist verschlossen bleiben – oder für<br />
die sich die Öffentlichkeit selten interessiert.<br />
Das Projekt des Tuilerien-Wiederaufbaus<br />
entbehrt nicht einer gewissen<br />
Ähnlichkeit mit den Vorgängen um<br />
den Wiederaufbau des Stadtschlosses<br />
in Berlin. Beide Gebäude liegen in den<br />
historischen Zentren der Hauptstädte,<br />
beide haben eine große historische<br />
Bedeutung und beide haben große<br />
stadtplanerische Konsequenzen. Die<br />
Zeitschrift Le Devoir aus Québec<br />
schrieb dazu kürzlich: « Das Palais<br />
des Tuileries würde das Karree des<br />
Louvre wieder verschließen und somit<br />
den Blick vom Louvre auf die<br />
Champs-Elysées. Das Berliner Stadtschloss<br />
beeinflusst in ähnlicher Weise<br />
die Achse Brandenburger Tor - Unter<br />
den Linden. » Beide Projekte griffen<br />
in heutige Stadtlandschaften ein, aber<br />
beide rekonstruierten auch gleichzeitig<br />
ihre historischen Wurzeln.<br />
Der Vorsitzende des Fördervereins<br />
zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses,<br />
Wilhelm Boddien, auch<br />
er eher für konservative Äußerungen<br />
bekannt, ist engagierter Befürworter<br />
der Rekonstruktion der Tuilerien. Für<br />
ihn bedeutet der Wiederaufbau des<br />
Berliner Stadtschlosses und der Pariser<br />
Tuilerien einen « großen symbolischen<br />
und spektakulären Akt der Wiederaneignung<br />
des historischen und kulturellen<br />
Raums in Europa. » Alain Boumier<br />
würde sich sicher nicht anders ausdrücken.<br />
Die beiden Männer ähneln<br />
sich nicht nur in ihren Meinungen,<br />
sondern auch in ihrem unnachgiebigen<br />
Engagement. Allerdings war nur der<br />
Berliner, bis heute jedenfalls, darin<br />
erfolgreich.<br />
54 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong>