Nr. 17 - September / Oktober 2008
Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon Paris: die Sainte-Chapelle Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim Provence: Cordes-sur-ciel Rezept: mousse au chocolat
Burgund: Morvan, Bibracte, Guédelon
Paris: die Sainte-Chapelle
Elsass: Goethes amour fou in Sesenheim
Provence: Cordes-sur-ciel
Rezept: mousse au chocolat
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Unterwegs in Frankreich Elsass<br />
Die Kirche hat seit dem 18. Jahrhundert viele Umbauten erfahren.<br />
Dörfliche Idylle mit Goethe-Scheune.<br />
erahnen lassen, welch Monate voll Glück Goethe in Sesenheim<br />
erlebt haben muss. Den 22-jährigen Studenten und<br />
die 19-jährige Friederike verband bald eine Beziehung, die<br />
von der Außenwelt, aber sicher auch von Friederike selber,<br />
als sehr ernst angesehen wurde. Die Hochzeitsglocken<br />
wollten gar manche schon hören, zumal Goethe kurz vor<br />
dem Abschluss seines Studiums und somit kurz vor der ersten<br />
Anstellung stand.<br />
Derselbige aber fühlte sich bald eingeengt. Schon während<br />
der Arbeit an seiner Promotion bestand der Kontakt<br />
nach Sesenheim hauptsächlich aus langen Briefen, die Besuche<br />
wurden seltener. Im Sommer <strong>17</strong>71 wollte der frischgebackene<br />
Absolvent der Rechtswissenschaft nach Frankfurt<br />
zurückkehren – und zwar ohne eine Ehefrau. Berüchtigt ist<br />
die Verabschiedung von Friederike, der er vom Pferde aus gerade<br />
mal geneigt war, die Hand herunterzureichen. Die Maid<br />
ward zurückgelassen und dem Dichter schmerzte das Herz,<br />
die tränenvollen Augen seiner doch so Angebeteten sehen zu<br />
müssen. Eine Woche später, von Frankfurt aus, kommt dann<br />
der Brief mit der endgültigen Lösung der Verbindung.<br />
Das Sesenheimer Pfarrhaus steht längst nicht mehr,<br />
schon damals war ein Um- oder Neubau der altersschwachen<br />
Pfarre häufiges Gesprächsthema zwischen Goethe<br />
und Friederikes Vater. Auch die Brionsche Kirche hat in<br />
den letzten 200 Jahren mehrere Umbauten erlebt, so dass<br />
nur noch wenig an das Original erinnert. Wozu also nach<br />
Sesenheim reisen, außer um auf dem gleichen Boden zu stehen,<br />
über den auch des Dichters Füße schritten? Abgesehen<br />
von dem Mythos der Liebesgeschichte wären andere Orte<br />
doch sicherlich beeindruckender dafür.<br />
Eine Fahrt nach Sesenheim lohnt sich aber dennoch und<br />
das liegt an der Auberge Au Bœuf. Dieser Gasthof liegt<br />
gleich gegenüber der Brionschen Kirche, wenige Schritte<br />
vom Marktplatz und dem Goethe-Tempel entfernt. In den<br />
1950er-Jahren begann ihr Besitzer mit einer bewundernswerten<br />
Akribie alles zu sammeln, was mit Goethe und der<br />
Liebschaft von Sesenheim zusammenhängt. Aus den Exponaten<br />
entstand ein kleines Museum in den Hinterstuben<br />
des Gasthauses, das heute von den Nachfahren liebevoll gepflegt<br />
und erweitert wird. Wenn man Glück und die Wirtin<br />
gerade nicht zu viel zu tun hat, bekommt der Gast sogar<br />
eine kleine Privatführung durch die Vitrinen mit Original-<br />
Handschriften von Goethe, Friederike und dem Pfarrer<br />
Brion. Dieses sympathische Privatmuseum lässt mit seinen<br />
Devotionalien der Goethe-Verehrung mehr von der Zeit der<br />
Sesenheimer Liebschaft erahnen als die Goethe-Scheune,<br />
das Memorial und die Friederiken-Ruh zusammen.<br />
Friederike übrigens war nach der unrühmlichen Trennung<br />
durch Goethe eine gebrochene Frau. Sie trauerte<br />
noch Jahre ihrer Liebe nach und auch das spätere Werben<br />
des Dichters Jakob Michael Heinrich Lenz, den Goethe in<br />
Sesenheim eingeführt hatte und der dem Charme Friederikens<br />
sofort erlegen war, hatte keinen Erfolg. Pikanterweise<br />
sah Goethe Lenz damals als den einzigen seiner Kollegen<br />
an, der ihm an Geist und Talent überlegen sein konnte,<br />
und es wird kolportiert, dass Goethe später in Weimar die<br />
Lenzschen Gedichte absichtlich schlecht besprochen habe,<br />
um den Konkurrenten aus dem Weg zu haben. Möglicherweise<br />
war es Goethe also ganz recht, dass Lenz die Brion<br />
nicht bekommen hat. Denn der Schmerz und die Schmach,<br />
die Geliebte so treulos verlassen zu haben, soll auch bei ihm<br />
noch lange tief gesessen haben. Einige der berühmtesten<br />
Frauenfiguren in seinen Dramen sollen seiner Bekanntschaft<br />
mit Friederike entlehnt sein. Die Marie in « Clavigo »<br />
soll dazu gehören und manche meinen gar das Gretchen des<br />
Dr. Faust in ihr wiederzuentdecken.<br />
Während Goethe Zeit seines Lebens zur Damenwelt<br />
einen innigen Bezug gehabt hatte, sollte die Liebe zu<br />
Goethe Friederikes einzige Liebe bleiben. Sie war ihr Leben<br />
lang unverheiratet und lebte bis zu ihrem Tode 1813<br />
bei ihren Geschwistern. Das Erscheinen von « Dichtung<br />
und Wahrheit » ein Jahr später erlebte sie nicht mehr und<br />
auch nicht den Rummel, der seitdem um die aller Welt bekannt<br />
gemachte Liebesgeschichte einsetzte. Denn es muss<br />
wirklich eine Sensation gewesen sein, was der 70-jährige<br />
Goethe da ausgeplaudert hatte. Jedenfalls war zu Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts die Liebe von Goethe und Friederike<br />
eine allgegenwärtige Geschichte, wegen der ein Besu-<br />
66 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong>