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Gesellschaft<br />
Verstehen und Verstanden werden<br />
Sprache verbindet; sie ist Voraussetzung dafür, dass wir<br />
miteinander leben können. Sprache stiftet Verbindung<br />
und ermöglicht Abgrenzung. Der eigene Dialekt ist<br />
für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres täglichen<br />
Lebens; er ist die Sprache der Heimat, Vertrautheit und Gemeinschaft<br />
1) . Aber allein im Dialekt – ohne eine verbindende<br />
Gemeinsprache – waren Austausch und Verständigung früher<br />
nur innerhalb bestimmter Radien möglich. Diese Barriere<br />
beklagte Martin Luther mit der Aussage …Die Osterreicher<br />
vnd Beiern verstehen die Düringen vnd Sachsen nicht… 2) .<br />
Für Dialektsprecher ist die Zugehörigkeit zu einem bestimmten<br />
Ort erkennbar, der Dialekt schafft Nähe. Selbst<br />
für deutsche Urlauber, die in der tiefsten anatolischen Provinz<br />
auf Türken trafen, die astrein Kölsch sprachen. Es handelte<br />
sich um ehemalige Gastarbeiter aus den Kölner Ford-<br />
Fabriken. Und der Fremdenführer („Guide“) im Pantanal,<br />
einem brasilianischen Naturschutzgebiet, erklärte die Welt<br />
in unverwechselbar sächsischem Dialekt. Für uns Touristen<br />
aus Westfalen war dies ebenfalls Sprache der Heimat, sie<br />
war Grundlage für Vertrautheit und Gemeinschaft.<br />
Wir sprechen mit dem ganzen Körper<br />
In unserer Sprache bringen wir unsere ganz eigene<br />
Welt zum Ausdruck - unsere Weltanschauung, – so wie<br />
wir sie sehen und erfahren haben oder erträumen. Diese<br />
unvermeidliche Selbstoffenbarung in der Nachricht bedeutet,<br />
Wenn einer etwas von sich gibt, gibt er auch etwas<br />
von sich – dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer<br />
kleinen Kostprobe der Persönlichkeit… 3) . Damit ist auch<br />
ausgedrückt, dass innerhalb unserer Muttersprache viele<br />
Sprachwelten existieren, deren Inhalte und Ausdrucksweisen<br />
nicht allen zugänglich sind.<br />
Sprachwelten<br />
Wir leben in einer bestimmten Generation, in einer bestimmten<br />
Zeit und füllen unterschiedliche Rollen aus. In<br />
jeder dieser Gruppen verständigen wir uns anders. Außerdem<br />
gibt es für viele Bereiche eine ausgeprägte Fachsprache;<br />
für einen medizinischen Befund z.B. muss der Arzt<br />
alle Einzelheiten des menschlichen Körpers und seiner Zuständlichkeiten<br />
bezeichnen können. Das geschieht in griechisch-lateinischen<br />
Ausdrücken, die für unsere alltägliche<br />
Sprache unbedeutend sind. Natürlich kann Fachsprache<br />
den Nimbus des Besonderen verleihen, sie kann auch als<br />
Instrument der Ausgrenzung oder Manipulation eingesetzt<br />
werden. Im Übrigen ist das Rederecht und die Weise, mit<br />
der man jemandem etwas sagt, eng mit Beziehungsfragen<br />
und gesellschaftlichen Rollenverteilungen verbunden. Und<br />
zwischenmenschliche Konflikte entstehen vor allem, wenn<br />
die Beteiligten wenig Bereitschaft zeigen oder unfähig<br />
sind, die Sprache anderer zu verstehen.<br />
Politische Sprache<br />
Mit Sprache wird unser Denken und Handeln beeinflusst,<br />
mit ihrer Hilfe wird Politik gemacht. Und dann geht es selten<br />
darum, bestimmte Begriffe, wie etwa Zuwanderung,<br />
Wirtschaftswachstum oder den demografischen Wandel<br />
sachlich und mit klassischer Vernunft zu behandeln. Sprache<br />
wird vielmehr mit Deutungsrahmen (engl „Frames“)<br />
eingesetzt, um eine gewollte Entscheidung als zwingend<br />
und „alternativlos“ erscheinen zu lassen. Mit „Framing“<br />
wird die Diskussion auf ein Ziel und einen Wert gelenkt,<br />
dem alle anderen untergeordnet werden.<br />
Der Deutungsrahmen einer „demographischen Zeitbombe“<br />
löst z.B. unterschwellig das Empfinden einer<br />
tödlichen Gefahr für nachfolgende Generationen aus. Verantwortlich<br />
sind die Älteren mit ihren Rentenansprüchen<br />
und Krankheitskosten. Damit werden Kürzungen in der<br />
Kranken- und Rentenversicherung zum Ausdruck von Generationengerechtigkeit.<br />
Andere in dem Zusammenhang<br />
eingesetzte Begriffe wie „drohende Überalterung“ werten<br />
das Alter und die alte Generation ab und blockieren deren<br />
Gegenwehr. Der umfassende und teils erschreckende Einfluss<br />
von „Framing“ auf unser Denken und Handeln kann<br />
kaum überschätzt werden; die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth<br />
Wehling belegt dies an Beispielen zu Themen wie<br />
Steuern, Arbeit, Terrorismus, Zuwanderung und Umwelt (4) .<br />
Sprachwandel<br />
Jede Sprache verändert sich. Das Erste was sie verliert,<br />
ist das, was für einfache Kommunikationszwecke nicht<br />
benötigt wird: Das sind vor allem grammatikalische Regeln;<br />
seit Bastian Sicks Bestsellern weiß man, dass z.B.<br />
der Genitiv bereits einen aussichtslosen Kampf kämpft<br />
(„…wegen einem Leitungsschaden…“). Weitere Motoren<br />
des Sprachwandels finden sich im Einfluss des Englischen,<br />
in der Globalisierung sowie in neuen Kommunikationsformen<br />
wie Twitter und Facebook.<br />
Seit den siebziger Jahren erleben die Deutschen, wie das<br />
eigene Land von fremden Menschen, Kulturen und Sprachen<br />
mitgeprägt und der Alltag auf eine unübersehbare Weise vielsprachig<br />
wird. Migranten bringen ihre eigene Sprache mit,<br />
sie greifen auf Strukturen ihrer Muttersprache zurück, die<br />
sich z.B. als neudeutsche Ausdrücke („ein Tor machen“) und<br />
Steigerungsform („mehr geeignet“) einbürgern. Allerdings<br />
verändert sich vor allem das gesprochene Deutsch, die Umgangssprache.<br />
Das behördliche Schriftdeutsch ist eher träge<br />
und so vergrößert sich die Distanz zwischen geschriebenem<br />
und gesprochenem Deutsch zunehmend.<br />
Erich Kerkhoff<br />
Homepage des Siegerländer Sprachatlas, zitiert in Georg Cornelissen: ‚Kleine Sprachgeschichte<br />
von Nordrhein Westfalen‘, S. 99, Greven Verlag Köln, 2015. Georg Cornelissen,<br />
S. 73. Schultz von Thun.Elisabeth Wehling: „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr<br />
Denken einredet – und daraus Politik macht“. Herbert von Halem Verlag, <strong>2016</strong><br />
2/<strong>2016</strong> durchblick 19