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2016-02

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Historisches<br />

Von Mario Adorf und Quäkerspeisung<br />

Gucken Sie mal böse! So heißt das bei der<br />

letztjährigen Buchmesse in Frankfurt<br />

vorgestellte Buch von Mario Adorf. Mario<br />

hat schon mehrere Bücher geschrieben, darunter<br />

auch eines mit dem Titel „Der Mäusetöter“.<br />

Dieses Buch erzählt Begebenheiten aus seiner Jugendzeit<br />

als Germanistikstudent. Wie die meisten<br />

Menschen damals, kurz nach dem Krieg, hatte<br />

auch dieser jugendlich kräftige Mensch ständig<br />

Hunger. Seine Mutter, die in Mayen in der Eifel<br />

lebte, hatte sich und ihren Sohn mit Näharbeiten<br />

durch die Kriegsende- und Nachkriegswirren<br />

gebracht und sogar einen Teil seines Studiums<br />

finanziert. Aber „Fressalien“-Pakete konnte sie<br />

nur selten schicken. So musste sich Mario nach<br />

einem Studentenjob umsehen. Einige Kommilitonen<br />

fragten ihn eines Tages: „Mario, willst Du<br />

„Mäusetöter“ werden?“ Nachdem sie ihm seine<br />

zukünftige Tätigkeit erklärt hatten, sagte Mario<br />

freudig zu und freute sich schon darauf, sich den<br />

Bauch mal richtig voll schlagen zu können.<br />

In der Nähe von Mainz befand sich eine riesige<br />

Halle. Diese war vollgestopft mit großen<br />

Paketen, die Kekse enthielten, welche von den<br />

Quäkern in Amerika für hungernde Flüchtlinge<br />

und Kinder der ausgebombten deutschen Bevölkerung<br />

gespendet worden waren. Leider hatten<br />

auch die Mäuse davon Wind bekommen. Es<br />

muss sich unter ihnen herumgesprochen haben,<br />

dass man in einem Kekspaket leben kann wie im<br />

Schlaraffenland. Damit waren die Mäuse zu einer<br />

ernst zu nehmenden Nahrungskonkurrenz für die<br />

Menschen geworden. Marios Aufgabe bestand<br />

darin, einen Kanonen-Ofen anzuzünden und für eine hohe<br />

Flamme zu sorgen. Anschließend holte er die Pakete vom<br />

Stapel und öffnete eines nach dem anderen. Heraus sprang<br />

meistens eine Maus, die er fangen und ins Feuer werfen<br />

musste. Dann wurde sortiert, die nicht angeknabberten in<br />

eine große Wanne, die angeknabberten in ein anderes Gefäß<br />

nach dem Motto „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins<br />

Kröpfchen“ Aus den nicht angeknabberten Keksen wurde<br />

Kekssuppe gekocht, die man Quäkerspeise nannte. Aber für<br />

Mario blieben genug Kekse, um sich satt essen zu können.<br />

Das war sein Lohn.<br />

Fotos: Archiv Quäker-Hilfe Stiftung<br />

Schulspeisung nach dem zweiten Weltkrieg, bekannt als Quäkerspeise<br />

Es begab sich zu der gleichen Zeit, dass aus den verlorenen<br />

östlichen Provinzen „Ostpreußen“, „Westpreußen“,<br />

„Pommern“ und „Schlesien“ die Menschen das Land verlassen<br />

mussten. Sie sollten in den weiter westlich gelegenen<br />

Provinzen wieder angesiedelt werden. Aus dem Waldenburger<br />

und Glazer Bergland kamen viele Menschen ins Siegerland<br />

und wurden zunächst in vorhandenen Kasernen untergebracht.<br />

Sie landeten erschöpft von der langen Reise im<br />

Güterzug an einem heißen Augusttag im Durchgangslager<br />

Wellersbergkaserne, wo sie auch ernährt werden mussten.<br />

Dies geschah mittels ,,Quäkerspeise“. Je mehr Kekse<br />

Mario Adorf und seine Kommilitonen vor den gelüstigen<br />

Mäusen retten konnten, desto mehr Flüchtlinge wurden satt.<br />

Die Ankömmlinge trafen am nächsten Tag ihre vertrauten<br />

Nachbarn wieder und viele andere fremde Menschen.<br />

Alle fragten sich: Was geschieht nun? Menschen,<br />

die Angehörige oder Bekannte in anderen Bundesländern<br />

hatten, wurden per ,,Rotes Kreuz“ dorthin geschickt. Junge<br />

Männer, die anderthalb Jahre zuvor noch zur Hitlerjugend<br />

gehört hatten und gerade noch um die Einberufung herumgekommen<br />

waren, bewarben sich in die Kohlengruben des<br />

Ruhrgebietes. Sie wollten möglichst bald arbeiten und Geld<br />

verdienen. Diese Heranwachsenden litten ganz besonders<br />

unter der knappen Ernährung.<br />

38 durchblick 2/<strong>2016</strong>

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