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Historisches<br />
Von Mario Adorf und Quäkerspeisung<br />
Gucken Sie mal böse! So heißt das bei der<br />
letztjährigen Buchmesse in Frankfurt<br />
vorgestellte Buch von Mario Adorf. Mario<br />
hat schon mehrere Bücher geschrieben, darunter<br />
auch eines mit dem Titel „Der Mäusetöter“.<br />
Dieses Buch erzählt Begebenheiten aus seiner Jugendzeit<br />
als Germanistikstudent. Wie die meisten<br />
Menschen damals, kurz nach dem Krieg, hatte<br />
auch dieser jugendlich kräftige Mensch ständig<br />
Hunger. Seine Mutter, die in Mayen in der Eifel<br />
lebte, hatte sich und ihren Sohn mit Näharbeiten<br />
durch die Kriegsende- und Nachkriegswirren<br />
gebracht und sogar einen Teil seines Studiums<br />
finanziert. Aber „Fressalien“-Pakete konnte sie<br />
nur selten schicken. So musste sich Mario nach<br />
einem Studentenjob umsehen. Einige Kommilitonen<br />
fragten ihn eines Tages: „Mario, willst Du<br />
„Mäusetöter“ werden?“ Nachdem sie ihm seine<br />
zukünftige Tätigkeit erklärt hatten, sagte Mario<br />
freudig zu und freute sich schon darauf, sich den<br />
Bauch mal richtig voll schlagen zu können.<br />
In der Nähe von Mainz befand sich eine riesige<br />
Halle. Diese war vollgestopft mit großen<br />
Paketen, die Kekse enthielten, welche von den<br />
Quäkern in Amerika für hungernde Flüchtlinge<br />
und Kinder der ausgebombten deutschen Bevölkerung<br />
gespendet worden waren. Leider hatten<br />
auch die Mäuse davon Wind bekommen. Es<br />
muss sich unter ihnen herumgesprochen haben,<br />
dass man in einem Kekspaket leben kann wie im<br />
Schlaraffenland. Damit waren die Mäuse zu einer<br />
ernst zu nehmenden Nahrungskonkurrenz für die<br />
Menschen geworden. Marios Aufgabe bestand<br />
darin, einen Kanonen-Ofen anzuzünden und für eine hohe<br />
Flamme zu sorgen. Anschließend holte er die Pakete vom<br />
Stapel und öffnete eines nach dem anderen. Heraus sprang<br />
meistens eine Maus, die er fangen und ins Feuer werfen<br />
musste. Dann wurde sortiert, die nicht angeknabberten in<br />
eine große Wanne, die angeknabberten in ein anderes Gefäß<br />
nach dem Motto „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins<br />
Kröpfchen“ Aus den nicht angeknabberten Keksen wurde<br />
Kekssuppe gekocht, die man Quäkerspeise nannte. Aber für<br />
Mario blieben genug Kekse, um sich satt essen zu können.<br />
Das war sein Lohn.<br />
Fotos: Archiv Quäker-Hilfe Stiftung<br />
Schulspeisung nach dem zweiten Weltkrieg, bekannt als Quäkerspeise<br />
Es begab sich zu der gleichen Zeit, dass aus den verlorenen<br />
östlichen Provinzen „Ostpreußen“, „Westpreußen“,<br />
„Pommern“ und „Schlesien“ die Menschen das Land verlassen<br />
mussten. Sie sollten in den weiter westlich gelegenen<br />
Provinzen wieder angesiedelt werden. Aus dem Waldenburger<br />
und Glazer Bergland kamen viele Menschen ins Siegerland<br />
und wurden zunächst in vorhandenen Kasernen untergebracht.<br />
Sie landeten erschöpft von der langen Reise im<br />
Güterzug an einem heißen Augusttag im Durchgangslager<br />
Wellersbergkaserne, wo sie auch ernährt werden mussten.<br />
Dies geschah mittels ,,Quäkerspeise“. Je mehr Kekse<br />
Mario Adorf und seine Kommilitonen vor den gelüstigen<br />
Mäusen retten konnten, desto mehr Flüchtlinge wurden satt.<br />
Die Ankömmlinge trafen am nächsten Tag ihre vertrauten<br />
Nachbarn wieder und viele andere fremde Menschen.<br />
Alle fragten sich: Was geschieht nun? Menschen,<br />
die Angehörige oder Bekannte in anderen Bundesländern<br />
hatten, wurden per ,,Rotes Kreuz“ dorthin geschickt. Junge<br />
Männer, die anderthalb Jahre zuvor noch zur Hitlerjugend<br />
gehört hatten und gerade noch um die Einberufung herumgekommen<br />
waren, bewarben sich in die Kohlengruben des<br />
Ruhrgebietes. Sie wollten möglichst bald arbeiten und Geld<br />
verdienen. Diese Heranwachsenden litten ganz besonders<br />
unter der knappen Ernährung.<br />
38 durchblick 2/<strong>2016</strong>