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2016-02

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Gesellschaft<br />

Wie fühlt sich denn das an?<br />

Auf einmal bist du 75! Das hat sich wohl schon länger<br />

angebahnt, aber trotzdem stehst du plötzlich da<br />

mit dieser abstrakten Zahl und musst dich damit<br />

auseinandersetzen. Laut Statistik bist du jetzt stärker Demenz<br />

gefährdet und außerdem solltest du überprüfen lassen,<br />

ob du noch fahrtauglich bist, weil du ja abbaust. „Wenn<br />

du nicht mehr Autofahren kannst, dann bist du wirklich alt“,<br />

meint ein Bekannter von mir. Und das geht so weiter: Die<br />

75 als Schallgrenze für allgemeine Lebenstauglichkeit, das<br />

ist starker Tobak und eine gewaltige Herausforderung.<br />

Foto: Rita Petri<br />

„Nein“, so der freundliche Kommentar wohlmeinender<br />

Mitmenschen „ das hätte ich jetzt nicht gedacht, so alt wirkst<br />

Du doch gar nicht!“ „Dann schau doch mal genau hin“, ist<br />

in der Regel meine Antwort. „Ja, aber…“ und ich überlege<br />

schon: Ist das jetzt ein Kompliment oder bin ich vielleicht in<br />

meiner Entwicklung stehen geblieben? Der Spiegel schönt<br />

nichts. Die Entschleunigung meiner Bewegungen und Gedanken<br />

ist nicht zu übersehen, und die diversen anderen<br />

Defizite sind auch immer schlechter zu vertuschen. Die 75<br />

Lebensjahre sind nicht weg zu diskutieren!<br />

Mir kommt ein etwas merkwürdiger Vergleich in den<br />

Sinn: das Altwerden und die Pubertät. In beiden Lebensphasen<br />

verändert sich der eigene Körper spürbar und auch<br />

für alle sichtbar, nur Geist und Seele sind nicht auf gleicher<br />

Höhe. Sie hinken oft noch hinterher. Das fühlt sich gar nicht<br />

gut an, weder im Alter noch in der Jugend. Der Unterschied:<br />

Die Jugend startet durch in eine verheißungsvolle, erwachsene<br />

Zukunft – und das Alter? Wo führt das hin? Da versucht<br />

man eher stehen zu bleiben und den „Fortschritt“ so<br />

lange wie möglich hinauszuzögern.<br />

Wir Alten haben den größten Teil dieser „verheißungsvollen<br />

Zukunft“ bereits gelebt, mit allen Höhen und Tiefen.<br />

Die Einen schauen zufrieden zurück, andere eher unzufrieden,<br />

wenn nicht gar verbittert. Das ist der Stand der Dinge.<br />

Doch nun, wie das Kaninchen auf die bewusste Schlange,<br />

nur noch auf das sich unweigerlich nähernde Ende zu<br />

starren, das ist eine unverzeihliche Vergeudung der noch<br />

geschenkten Lebenszeit! Das geht gar nicht.<br />

Aber wie fühlt sich das Leben nun an mit 75, mit all<br />

den kleinen und auch größeren Einschränkungen im Alltag,<br />

gesundheitlich und finanziell? Schmälern sie nicht meine<br />

angebliche „Lebensqualität“? Müsste ich mich deshalb<br />

nicht schlecht fühlen? Sie scheint ja gut gemeint, die Sorge<br />

um diese Lebensqualität. Aber wer setzt den Maßstab? Was<br />

wird mir da eingeredet? Es ist ein fragwürdiger Begriff. Ich<br />

will mich nicht ständig darum kümmern, wie ich mich mit<br />

meinen Defiziten wieder auf das Niveau einer 60- oder gar<br />

50-Jährigen bringe. Das funktioniert nicht. Das bedeutet<br />

Stress. Andere verdienen sich eine goldene Nase an den Bemühungen<br />

der „Silveraged-Generation“ vermeintlich mehr<br />

Lebensqualität zu schaffen. Ungeachtet dessen ist dieser<br />

Begriff eine bekloppte Verniedlichung.<br />

„Don’t cry over spilled milk!“ – „Weine nicht über<br />

verschüttete Milch!“ Ein mir lieb gewordenes britisches<br />

Sprichwort. Was nicht mehr zu retten ist, aufgeben, Vergangenes<br />

loslassen und sich Neuem zuwenden. Diese<br />

Ratschläge sind nicht neu. Nein, ich gebe nicht sofort<br />

auf, wenn sich neue Probleme zeigen. Da nehme ich<br />

gerne die segensreichen Möglichkeiten der modernen<br />

Medizin in Anspruch: Meine neue Hüfte schenkt mir<br />

fast die alte Beweglichkeit zurück. Natürlich nehme ich<br />

44 durchblick 2/<strong>2016</strong>

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