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Historisches<br />
Vom Durchgangslager aus wurden die Flüchtlinge bis<br />
nach Erntebriick, Laasphe, Feudingen und sogar Bad Berleburg<br />
weitergeleitet, auch in das näher gelegene Netphen<br />
mit umliegenden Dörfern. Ebenfalls in die entgegengesetzte<br />
Richtung, wie Eiserfeld, Mudersbach, Neunkirchen<br />
bis Betzdorf. Wer nicht ausgebombt war, musste Räumlichkeiten<br />
für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Das ging<br />
nicht immer ohne Schwierigkeiten vor sich, denn wer will<br />
schon gerne völlig fremde Menschen in sein Haus aufnehmen.<br />
Allerdings sprachen diese Leute wenigstens deutsch,<br />
wenn auch einen anderen Dialekt. Frauen und Kinder sowie<br />
komplette Familien wurden in der Fischbacherbergkaserne<br />
untergebracht. In der dritten Kaserne Siegens war die damalige<br />
belgische Schutzmacht stationiert.<br />
Da es in einer ehemaligen Kaserne nur Toiletten für Männer<br />
gab, hatte man hinter einem der Häuser eine lange Grube<br />
ausgehoben. Darüber wurde ein langes Holzhaus gestülpt.<br />
An der rückwärtigen Holzwand befand sich ein langes, poliertes<br />
Brett mit den nötigen Öffnungen. Solche „Häuschen“<br />
hießen in der Soldatensprache „Donnerbalken“. Hier trafen<br />
sich die Menschen, erledigten ihre „Geschäfte“ und nützten<br />
das Häuschen auch als Informationsbörse.<br />
Es gab immer wieder alle möglichen Gerüchte. Die meisten<br />
beschäftigten sich mit der Rückkehr in die Heimat oder<br />
mit dem Essen, denn alle hatten ständig Hunger. Gingen<br />
sie im Laufe des Vormittags zum Donnerbalken, saßen sie<br />
dort einträchtig, Alte und Junge, dazwischen immer wieder<br />
Kinder. Sie zerbrachen sich den Kopf darüber, ob es heute<br />
wohl Grünkernsuppe oder Kekssuppe geben würde. Die<br />
Grünkernsuppe schmeckte immer etwas seifig, aber Suppe<br />
aus Keksen war sehr beliebt. Ein Glück, dass es damals die<br />
Quäker gab und ihre Spenden.<br />
Suchten die Menschen den Donnerbalken am Nachmittag<br />
auf, sprachen sie immer wieder von der verlassenen Heimat.<br />
Sie waren der festen Meinung, dass sie bald wieder zurückgebracht<br />
werden würden. Besonders die Bauern unter ihnen<br />
machten sich Sorgen darüber, dass die Kartoffeln noch nicht<br />
ausgemacht waren. Sie fragten sich, wer wohl das Wintergetreide<br />
einsähen würde. Was wird aus unsern Tieren? Wer<br />
melkt die Kühe? Wer füttert sie? Das Obst ist auch noch nicht<br />
abgenommen. Es wird herunterfallen und faulen!<br />
Was das „Örtchen“ betrifft, so habe ich in späteren<br />
Jahren auf Bildungsreisen, die mich zu römischen Ausgrabungen<br />
führten, festgestellt, dass auch die „alten Römer“<br />
auf dem „Örtchen“ den Gedankenaustausch. liebten. Sie<br />
benützten in Marmor gehauene „Örtchen“ in Hufeisenform<br />
gebaut. Hier kamen sie ihren Bedürfnissen nach und knüpften<br />
gleichzeitig Geschäftsbeziehungen oder klatschten über<br />
ihre Mitmenschen. Aber wenigstens mussten sie sich um ihre<br />
Ernährung keine Sorgen machen und wurden auch nicht<br />
aus dem „römischen Reich“ vertrieben.<br />
Else von Schmidtsdorf<br />
2/<strong>2016</strong> durchblick 39