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2016-02

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Historisches<br />

Vom Durchgangslager aus wurden die Flüchtlinge bis<br />

nach Erntebriick, Laasphe, Feudingen und sogar Bad Berleburg<br />

weitergeleitet, auch in das näher gelegene Netphen<br />

mit umliegenden Dörfern. Ebenfalls in die entgegengesetzte<br />

Richtung, wie Eiserfeld, Mudersbach, Neunkirchen<br />

bis Betzdorf. Wer nicht ausgebombt war, musste Räumlichkeiten<br />

für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Das ging<br />

nicht immer ohne Schwierigkeiten vor sich, denn wer will<br />

schon gerne völlig fremde Menschen in sein Haus aufnehmen.<br />

Allerdings sprachen diese Leute wenigstens deutsch,<br />

wenn auch einen anderen Dialekt. Frauen und Kinder sowie<br />

komplette Familien wurden in der Fischbacherbergkaserne<br />

untergebracht. In der dritten Kaserne Siegens war die damalige<br />

belgische Schutzmacht stationiert.<br />

Da es in einer ehemaligen Kaserne nur Toiletten für Männer<br />

gab, hatte man hinter einem der Häuser eine lange Grube<br />

ausgehoben. Darüber wurde ein langes Holzhaus gestülpt.<br />

An der rückwärtigen Holzwand befand sich ein langes, poliertes<br />

Brett mit den nötigen Öffnungen. Solche „Häuschen“<br />

hießen in der Soldatensprache „Donnerbalken“. Hier trafen<br />

sich die Menschen, erledigten ihre „Geschäfte“ und nützten<br />

das Häuschen auch als Informationsbörse.<br />

Es gab immer wieder alle möglichen Gerüchte. Die meisten<br />

beschäftigten sich mit der Rückkehr in die Heimat oder<br />

mit dem Essen, denn alle hatten ständig Hunger. Gingen<br />

sie im Laufe des Vormittags zum Donnerbalken, saßen sie<br />

dort einträchtig, Alte und Junge, dazwischen immer wieder<br />

Kinder. Sie zerbrachen sich den Kopf darüber, ob es heute<br />

wohl Grünkernsuppe oder Kekssuppe geben würde. Die<br />

Grünkernsuppe schmeckte immer etwas seifig, aber Suppe<br />

aus Keksen war sehr beliebt. Ein Glück, dass es damals die<br />

Quäker gab und ihre Spenden.<br />

Suchten die Menschen den Donnerbalken am Nachmittag<br />

auf, sprachen sie immer wieder von der verlassenen Heimat.<br />

Sie waren der festen Meinung, dass sie bald wieder zurückgebracht<br />

werden würden. Besonders die Bauern unter ihnen<br />

machten sich Sorgen darüber, dass die Kartoffeln noch nicht<br />

ausgemacht waren. Sie fragten sich, wer wohl das Wintergetreide<br />

einsähen würde. Was wird aus unsern Tieren? Wer<br />

melkt die Kühe? Wer füttert sie? Das Obst ist auch noch nicht<br />

abgenommen. Es wird herunterfallen und faulen!<br />

Was das „Örtchen“ betrifft, so habe ich in späteren<br />

Jahren auf Bildungsreisen, die mich zu römischen Ausgrabungen<br />

führten, festgestellt, dass auch die „alten Römer“<br />

auf dem „Örtchen“ den Gedankenaustausch. liebten. Sie<br />

benützten in Marmor gehauene „Örtchen“ in Hufeisenform<br />

gebaut. Hier kamen sie ihren Bedürfnissen nach und knüpften<br />

gleichzeitig Geschäftsbeziehungen oder klatschten über<br />

ihre Mitmenschen. Aber wenigstens mussten sie sich um ihre<br />

Ernährung keine Sorgen machen und wurden auch nicht<br />

aus dem „römischen Reich“ vertrieben.<br />

Else von Schmidtsdorf<br />

2/<strong>2016</strong> durchblick 39

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