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2016-02

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Da sind auch die Gefühle, die weder gut noch schlecht<br />

sind, sondern existenziell! Es sind die diffusen Ängste<br />

vor einer ungewissen Zukunft und konkrete Ängste bei<br />

gesundheitlichen Problemen. Angst vor dem Verlust der<br />

Selbstständigkeit, vor dem Verlust der Identität z.B. durch<br />

Demenz. Mit 75 ist das Wissen um die Gefährdung des Lebens<br />

unterschwellig immer wach. Die Erfahrung weiß um<br />

die Unvorhersehbarkeit, die Unplanbarkeit der Ereignisse.<br />

Alle Gefühle, die unbestimmten und die konkreten Ängste,<br />

die großen und kleinen Glücksmomente, die öden Phasen<br />

der Langeweile, die empfundene Einsamkeit aber auch die<br />

Gesten von Zuneigung werden bewusster, intensiver wahrgenommen.<br />

In dieser Gemengelage von oft gegensätzlichen<br />

Gefühlen sehnt man sich im Alter manchmal nach mehr<br />

Gelassenheit.<br />

Und, wie fühlt sich das an, Gelassenheit? Diese souveräne<br />

innere Ruhe in aufregenden oder angstbesetzten<br />

Situationen? Wie kann sie zu einem tragenden Lebensgefühl<br />

werden? Kann ich es einfach abrufen, wenn ich es<br />

brauche? Die Antwort liegt vielleicht im Wort selbst verborgen:<br />

Lassen, ich lasse mich, ich lasse etwas nicht zu,<br />

lasse etwas los, ich überlasse etwas anderen, ich ver-lasse<br />

mich auf…. Habe ich in meinem Leben etwas worauf ich<br />

mich verlassen oder jemanden auf den ich mich verlassen<br />

kann? Worauf verlasse ich mich jetzt? Wie gewinne ich<br />

Ge-lassen-heit?<br />

Manchmal wünsche ich mir das naive Vertrauen meiner<br />

Kindheit, die selbstverständliche Frömmigkeit früher Jahre<br />

zurück, wie die unerschütterte Gewissheit, dass da Einer ist<br />

„… der mich liebt und der mich kennt und bei meinem<br />

Namen nennt“, der mich beschützt und auf den ich mich<br />

immer verlassen kann. Die Kinderabendgebete bringen<br />

das sehr schön zum Ausdruck. Manchmal bete ich sie heute<br />

wieder: „Müde bin ich, geh‘ zur Ruh, schließe beide<br />

Augen zu. Vater, lass die Augen Dein über meinem Bette<br />

sein …“ oder „Lieber Gott nun schlaf ich ein…“, darin<br />

ist alles gesagt. Dann spüre ich dem nach, was mich als<br />

Kind so beruhigt hat: Schön! Lässt sich das zurückholen,<br />

wieder finden? Was ist in den Jahren aus diesem Vertrauen<br />

geworden?<br />

Es ist so viel geschehen. Wege, die mich weit fortgeführt<br />

haben von dem was da früher war sind unumkehrbar.<br />

Aber ich habe eine Ahnung, dass etwas geblieben ist, ein<br />

verborgenes Fundament und dass es sich lohnt, danach zu<br />

suchen. Vielleicht ist das eine Chance, sie zu finden, die<br />

neue Gelassenheit?<br />

Wenn ich heute den Tag beschließe mit dem wunderschönem<br />

Abendlied von Matthias Claudius: „Der Mond ist<br />

aufgegangen…“, dann ist es für diesen einen Augenblick<br />

wieder da, das Gefühl der Kindheit, ohne es hinterfragen<br />

zu müssen, nach diesem dreiviertel Jahrhundert Lebenszeit,<br />

und das fühlt sich gut an!<br />

Anne Alhäuser<br />

Der Mond ist aufgegangen,<br />

die goldnen Sternlein prangen<br />

am Himmel hell und klar.<br />

Der Wald steht schwarz und schweiget<br />

und aus den Wiesen steiget<br />

der weiße Nebel wunderbar.<br />

Wie ist die Welt so stille<br />

und in der Dämmrung Hülle<br />

so traulich und so hold.<br />

Als eine stille Kammer<br />

wo ihr des Tages Jammer<br />

Verschlafen und vergessen sollt.<br />

Seht ihr den Mond dort stehen?<br />

Er ist nur halb zu sehen<br />

und ist doch rund und schön.<br />

So sind wohl manche Sachen,<br />

die wir getrost belachen,<br />

weil unsre Augen sie nicht sehn.<br />

Wir stolzen Menschenkinder<br />

sind eitel arme Sünder<br />

und wissen gar nicht viel.<br />

Wir spinnen Luftgespinste,<br />

und suchen viele Künste<br />

Und kommen weiter von dem Ziel.<br />

Gott, lass dein Heil uns schauen,<br />

auf nichts Vergänglichs trauen,<br />

nicht Eitelkeit uns freun.<br />

Lass uns einfältig werden<br />

und vor dir hier auf Erden<br />

wie Kinder fromm und fröhlich sein.<br />

Wollst endlich sonder Grämen<br />

aus dieser Welt uns nehmen<br />

durch einen sanften Tod.<br />

Und wenn du uns genommen,<br />

lass uns in‘ Himmel kommen,<br />

du unser Herr und unser Gott.<br />

So legt euch denn ihr Brüder<br />

in Gottes Namen nieder,<br />

kalt weht der Abendhauch.<br />

Verschon uns Gott mit Strafen<br />

und lass uns ruhig schlafen.<br />

Und unsern kranken Nachbarn auch.<br />

Matthias Claudius<br />

46 durchblick 2/<strong>2016</strong>

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