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Auf'n Kaffee mit Henner – Satire von Uli Hoffmann<br />
Foto: Fotolia.de<br />
In einem Siegener Café trifft der Autor regelmäßig seinen Freund<br />
Henner, einen Lebenskünstler, der immer wieder mit verrückten,<br />
aber kreativen Ideen verblüfft.<br />
Panta Rhei<br />
Leute mit Einkaufstüten kamen mir entgegen, als ich<br />
in der Bahnhofstraße unterwegs war, um mich wie<br />
immer im Café mit meinem Freund Henner zum<br />
Schwätzchen zu treffen. Offensichtlich gaben noch immer<br />
viele der Siegener Geschäftsleute die kostenlosen Plastiktüten<br />
heraus, obwohl auch hier eifrig diskutiert wurde, ob<br />
man aus Gründen des Umweltschutzes auf dieses künftige<br />
Abfallprodukt gänzlich verzichten sollte, was ja bereits von<br />
einigen Läden praktiziert wurde. Ich versuchte mir gerade<br />
vorzustellen, wie hoch der aufgetürmte Müllberg all der<br />
an einem Tag in Siegen benutzten Plastiktüten sein würde,<br />
als ich an der Ecke zum Bahnhofsvorplatz fast mit meinem<br />
Freund Henner zusammengestoßen wäre. „Schur“, rief er,<br />
„sollen wir bei dem schönen Wetter heute mal den Cappuccino<br />
ausfallen lassen und ein Stück gehen. Ich will dir etwas<br />
zeigen.“ Ich willigte sofort ein, zumal die Sonne heute für<br />
Siegener Verhältnisse ungewöhnlich lange von einem kräftig<br />
blauen Himmel schien.<br />
Wir schlenderten los, gingen zurück durch die Bahnhofstraße,<br />
bis Henner plötzlich zielstrebig nach links in<br />
Richtung Siegufer abbog. Er deutete auf die neu gestalteten<br />
Stufen am Flussufer und sagte: „Komm, wir setzen<br />
uns hierhin!“ Wir nahmen etwa auf halber Höhe Platz und<br />
schauten versonnen der ruhig dahinplätschernden Sieg zu.<br />
Siegen zu neuen Ufern hieß das Projekt der Stadterneuerung,<br />
zu dem die Freilegung des Flusses durch Abriss der<br />
Siegplatte gehörte. Ich musste an diesem schönen Tag den<br />
Stadtplanern Recht geben: Dieser Teil Siegens hat durch die<br />
Umgestaltung zweifelsfrei gewonnen. Während ich mich so<br />
meinen Gedanken hingab, sagte Henner auf einmal: „Panta<br />
rhei.“ Verdutzt entgegnete ich: „Wie meinen?“ „Panta<br />
rhei“, wiederholte mein Freund, „Alles fließt. Du erinnerst<br />
dich? Griechische Philosophie? Oder hast du das Wissen<br />
aus der Schulzeit bereits entsorgt?“ „Panta rhei. Alles klar.<br />
Aber du willst jetzt nicht mit einem altgriechischen Spruch<br />
glänzen und mir damit die Neuigkeit verkünden, dass unsere<br />
Sieg ein Fließgewässer ist?“, fragte ich. Henners Antwort<br />
kam prompt: „Natürlich nicht. Mit dem Ausspruch<br />
meine ich vordergründig allerdings die Fließbewegung des<br />
Wassers, aber hauptsächlich das große Ganze, das dahintersteckt.“<br />
„Du meinst das stadtplanerische Konzept?“, entgegnete<br />
ich. „Auch. Und alles fließt bedeutet ja auch, dass<br />
es ja immer weitergeht und dass man Dinge gedanklich<br />
fortschreiben muss“, konstatierte Henner. Gedanklich fortschreiben<br />
war mal wieder eine brillante Formulierung, die<br />
zum Weltbild meines Freundes passte. Böse Zungen hätten<br />
jetzt behauptet, auf Henner bezogen bedeute dies eher spinnerte<br />
Ideen. Gespannt legte ich los: „Also jetzt raus damit!<br />
Du brütest doch wieder etwas aus.“ Mit stolzer Miene verkündete<br />
Henner: „Als ich gestern hier saß und auf die Sieg<br />
schaute, dachte ich mir: Aus diesem schönen Stück Fluss<br />
müsste doch mehr zu machen sein!“ Jetzt war ich gespannt.<br />
Henner war ja immer für etwas Originelles gut. „Als erstes<br />
könnte man ja diese Stufen als Tribüne nutzen, für eine<br />
Regatta. Start ist am Kino an Reichwalds Ecke, Ziel beim<br />
Apollo. Zugegeben, eine Kurzregatta um den Apollo-Cup.“<br />
Ich versuchte, ernst zu bleiben, was mir aber nicht ganz<br />
gelang: „Aber der Deutschland-Achter wird hier wohl kaum<br />
Platz finden, oder?“ „Natürlich nicht, maximal Zweier-Kajak<br />
würde reichen“, erwiderte mein Freund. Er ließ seinen<br />
Blick über die gesamte Flussbreite schweifen und fuhr fort:<br />
„Und für die kleinen künstlichen Inseln habe ich auch eine<br />
Idee. Siegen ist ja eine Stadt mit Statuen, Skulpturen<br />
und Denkmälern. Allen voran Bergmann und Hüttenmann<br />
und der Berliner Bär. Da hätte ich ein neues zusätzliches<br />
Wahrzeichen: Auf eine Insel gehört ein kleiner Leuchtturm,<br />
allein der Sicherheit wegen. Mittelfristig sehe ich auch,<br />
dass der Fluss als Verkehrsweg genutzt werden sollte.“ Ich<br />
konnte meine Ironie nicht mehr zügeln: „Ach so, eine Weiße<br />
Flotte für Siegen, Containerschiffe, die vom Kreuztaler<br />
Umschlagbahnhof kommen, Fähren usw“, frotzelte ich. Pikiert<br />
entgegnete mein Freund: „Nimm meine konstruktiven<br />
Ideen doch einmal ernst! Ich habe dabei eher an Hamburg<br />
gedacht. Die setzen jetzt im Hafen einen schwimmfähigen<br />
Bus ein. Der könnte von Weidenau bis hierhin im Flussbett<br />
fahren. Das wäre eine Superattraktion für unsere Stadt und<br />
würde zudem noch die VWS entlasten.“<br />
Beeindruckt, aber keineswegs überzeugt fragte ich:<br />
„Toll, aber wie beurteilst du die Realisierungsmöglichkeiten?“<br />
„Das Leuchtturmprojekt ließe sich sofort verwirklichen“,<br />
erklärte Henner, „für die Regatta und den<br />
Flussbus sind noch Vorarbeiten nötig: Das Flussbett müsste<br />
von großen Steinen befreit und vertieft werden. Für dieses<br />
Projekt habe ich sogar schon einen zugkräftigen Namen<br />
gefunden: Siegen – die Stadt mit Tiefgang. Panta rhei! Und<br />
ich habe einen Traum: Wie schön wäre es, wenn wir von<br />
hier mit Kreuzfahrtzubringerschiffen nach Rotterdam mit<br />
Anschluss in die Karibik fahren könnten.“ Nach diesem<br />
kreativen Stadtspaziergang kam ich nicht umhin, meinen<br />
Freund Henner auf ein Bier einzuladen. <br />
<br />
2/<strong>2016</strong> durchblick 43