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2016-02

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Auf'n Kaffee mit Henner – Satire von Uli Hoffmann<br />

Foto: Fotolia.de<br />

In einem Siegener Café trifft der Autor regelmäßig seinen Freund<br />

Henner, einen Lebenskünstler, der immer wieder mit verrückten,<br />

aber kreativen Ideen verblüfft.<br />

Panta Rhei<br />

Leute mit Einkaufstüten kamen mir entgegen, als ich<br />

in der Bahnhofstraße unterwegs war, um mich wie<br />

immer im Café mit meinem Freund Henner zum<br />

Schwätzchen zu treffen. Offensichtlich gaben noch immer<br />

viele der Siegener Geschäftsleute die kostenlosen Plastiktüten<br />

heraus, obwohl auch hier eifrig diskutiert wurde, ob<br />

man aus Gründen des Umweltschutzes auf dieses künftige<br />

Abfallprodukt gänzlich verzichten sollte, was ja bereits von<br />

einigen Läden praktiziert wurde. Ich versuchte mir gerade<br />

vorzustellen, wie hoch der aufgetürmte Müllberg all der<br />

an einem Tag in Siegen benutzten Plastiktüten sein würde,<br />

als ich an der Ecke zum Bahnhofsvorplatz fast mit meinem<br />

Freund Henner zusammengestoßen wäre. „Schur“, rief er,<br />

„sollen wir bei dem schönen Wetter heute mal den Cappuccino<br />

ausfallen lassen und ein Stück gehen. Ich will dir etwas<br />

zeigen.“ Ich willigte sofort ein, zumal die Sonne heute für<br />

Siegener Verhältnisse ungewöhnlich lange von einem kräftig<br />

blauen Himmel schien.<br />

Wir schlenderten los, gingen zurück durch die Bahnhofstraße,<br />

bis Henner plötzlich zielstrebig nach links in<br />

Richtung Siegufer abbog. Er deutete auf die neu gestalteten<br />

Stufen am Flussufer und sagte: „Komm, wir setzen<br />

uns hierhin!“ Wir nahmen etwa auf halber Höhe Platz und<br />

schauten versonnen der ruhig dahinplätschernden Sieg zu.<br />

Siegen zu neuen Ufern hieß das Projekt der Stadterneuerung,<br />

zu dem die Freilegung des Flusses durch Abriss der<br />

Siegplatte gehörte. Ich musste an diesem schönen Tag den<br />

Stadtplanern Recht geben: Dieser Teil Siegens hat durch die<br />

Umgestaltung zweifelsfrei gewonnen. Während ich mich so<br />

meinen Gedanken hingab, sagte Henner auf einmal: „Panta<br />

rhei.“ Verdutzt entgegnete ich: „Wie meinen?“ „Panta<br />

rhei“, wiederholte mein Freund, „Alles fließt. Du erinnerst<br />

dich? Griechische Philosophie? Oder hast du das Wissen<br />

aus der Schulzeit bereits entsorgt?“ „Panta rhei. Alles klar.<br />

Aber du willst jetzt nicht mit einem altgriechischen Spruch<br />

glänzen und mir damit die Neuigkeit verkünden, dass unsere<br />

Sieg ein Fließgewässer ist?“, fragte ich. Henners Antwort<br />

kam prompt: „Natürlich nicht. Mit dem Ausspruch<br />

meine ich vordergründig allerdings die Fließbewegung des<br />

Wassers, aber hauptsächlich das große Ganze, das dahintersteckt.“<br />

„Du meinst das stadtplanerische Konzept?“, entgegnete<br />

ich. „Auch. Und alles fließt bedeutet ja auch, dass<br />

es ja immer weitergeht und dass man Dinge gedanklich<br />

fortschreiben muss“, konstatierte Henner. Gedanklich fortschreiben<br />

war mal wieder eine brillante Formulierung, die<br />

zum Weltbild meines Freundes passte. Böse Zungen hätten<br />

jetzt behauptet, auf Henner bezogen bedeute dies eher spinnerte<br />

Ideen. Gespannt legte ich los: „Also jetzt raus damit!<br />

Du brütest doch wieder etwas aus.“ Mit stolzer Miene verkündete<br />

Henner: „Als ich gestern hier saß und auf die Sieg<br />

schaute, dachte ich mir: Aus diesem schönen Stück Fluss<br />

müsste doch mehr zu machen sein!“ Jetzt war ich gespannt.<br />

Henner war ja immer für etwas Originelles gut. „Als erstes<br />

könnte man ja diese Stufen als Tribüne nutzen, für eine<br />

Regatta. Start ist am Kino an Reichwalds Ecke, Ziel beim<br />

Apollo. Zugegeben, eine Kurzregatta um den Apollo-Cup.“<br />

Ich versuchte, ernst zu bleiben, was mir aber nicht ganz<br />

gelang: „Aber der Deutschland-Achter wird hier wohl kaum<br />

Platz finden, oder?“ „Natürlich nicht, maximal Zweier-Kajak<br />

würde reichen“, erwiderte mein Freund. Er ließ seinen<br />

Blick über die gesamte Flussbreite schweifen und fuhr fort:<br />

„Und für die kleinen künstlichen Inseln habe ich auch eine<br />

Idee. Siegen ist ja eine Stadt mit Statuen, Skulpturen<br />

und Denkmälern. Allen voran Bergmann und Hüttenmann<br />

und der Berliner Bär. Da hätte ich ein neues zusätzliches<br />

Wahrzeichen: Auf eine Insel gehört ein kleiner Leuchtturm,<br />

allein der Sicherheit wegen. Mittelfristig sehe ich auch,<br />

dass der Fluss als Verkehrsweg genutzt werden sollte.“ Ich<br />

konnte meine Ironie nicht mehr zügeln: „Ach so, eine Weiße<br />

Flotte für Siegen, Containerschiffe, die vom Kreuztaler<br />

Umschlagbahnhof kommen, Fähren usw“, frotzelte ich. Pikiert<br />

entgegnete mein Freund: „Nimm meine konstruktiven<br />

Ideen doch einmal ernst! Ich habe dabei eher an Hamburg<br />

gedacht. Die setzen jetzt im Hafen einen schwimmfähigen<br />

Bus ein. Der könnte von Weidenau bis hierhin im Flussbett<br />

fahren. Das wäre eine Superattraktion für unsere Stadt und<br />

würde zudem noch die VWS entlasten.“<br />

Beeindruckt, aber keineswegs überzeugt fragte ich:<br />

„Toll, aber wie beurteilst du die Realisierungsmöglichkeiten?“<br />

„Das Leuchtturmprojekt ließe sich sofort verwirklichen“,<br />

erklärte Henner, „für die Regatta und den<br />

Flussbus sind noch Vorarbeiten nötig: Das Flussbett müsste<br />

von großen Steinen befreit und vertieft werden. Für dieses<br />

Projekt habe ich sogar schon einen zugkräftigen Namen<br />

gefunden: Siegen – die Stadt mit Tiefgang. Panta rhei! Und<br />

ich habe einen Traum: Wie schön wäre es, wenn wir von<br />

hier mit Kreuzfahrtzubringerschiffen nach Rotterdam mit<br />

Anschluss in die Karibik fahren könnten.“ Nach diesem<br />

kreativen Stadtspaziergang kam ich nicht umhin, meinen<br />

Freund Henner auf ein Bier einzuladen. <br />

<br />

2/<strong>2016</strong> durchblick 43

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