2014-04
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Aus dem Siegener Seniorenbeirat<br />
männerFreie zone<br />
Kapelle und Konventsaal im Stift Keppel in Allenbach<br />
Das Mädchenschlafzimmer mussten sich jeweils<br />
vier Schülerinnen teilen<br />
Autorenfotos<br />
Absolute Ordnung herrschte auch in den Waschzellen,<br />
darauf achteten die Lehrerinnen besonders genau<br />
Durch die blanken Fenster dringt freundlich-helles<br />
Licht in die Stube und spiegelt sich im Fußboden<br />
wider. Die weißen Gardinen sind leicht zurückgezogen,<br />
und die Fensterbank zieren anmutige Topfblumen.<br />
Zwei Sessel gruppieren sich um einen kleinen runden Tisch,<br />
daneben steht eine Ablage. Auf dem Schreibtisch sind Tintengläser,<br />
Federhalter, Notizbücher und weitere Gegenstände<br />
der täglichen Arbeit zu erkennen. In den teilweise<br />
herausgezogenen Schubladen sehen wir Schreibhefte, Skizzen,<br />
Bildmaterialien und verschiedene Dokumente.<br />
Wir befinden uns im Arbeitszimmer einer der Keppeler-<br />
Stiftsdamen-Lehrerinnen um 1900. Die Damen gehörten gesellschaftlich<br />
vorwiegend der oberen Mittelschicht an, waren<br />
in Französisch und Englisch zuhause und trugen weiße<br />
hochgeschlossene Blusen und lange schwarze Röcke. „Das<br />
Einkommen der Unterrichtenden war nicht gerade üppig, die<br />
arbeitsmäßige Belastung hingegen beträchtlich: vormittags<br />
Unterricht, am Nachmittag und am Abend Erziehungs- und<br />
Aufsichtspflichten sowie Unterrichtsvorbereitungen für den<br />
nächsten Tag“, erklärt Dorothea Jehmlich, Leiterin des Internatsmuseums,<br />
den Vertretern des Siegener Seniorenbeirates.<br />
Unmittelbar neben dem Arbeitszimmer liegt das winzige<br />
Schlafzimmer – blütenweißes Bett mit gehäkelten Bezügen,<br />
hoch aufgeschütteltes Paradekissen und Waschtisch mit<br />
Krug und Waschschüssel, beides aus Porzellan und mit Blumen<br />
bemalt. Auf der Nachtkonsole sind ein riesiger Wecker<br />
sowie ein Becher und eine Tasse zu erkennen. Einige Bilder<br />
schmücken das Zimmer aus. In dieser männerfreien Zone<br />
wohnen die Lehrerinnen Wand an Wand mit ihren weiblichen<br />
Zöglingen. Eine strahlend weiße Ordnung empfängt den Besucher<br />
auch hier, wenn er das Mädchenschlafzimmer betritt,<br />
welches sich jeweils vier Schülerinnen teilten. Die Betten<br />
sind akkurat gebaut und würden jedem kritischen Stubendurchgang<br />
zur Ehre gereichen. Eine schlichte Blechlampe<br />
hängt von der Decke herab, die hellen weißen Wände zieren<br />
einige Bilder sowie eine Petroleumlampe. Absolute Ordnung<br />
herrscht auch in den Schränken der Schülerinnen und<br />
würde auch jeden gestrengen Spindappell überstehen. Hier<br />
bewahren die Mädchen auch ihre höchstpersönlichen Dinge<br />
auf, so zum Beispiel Briefe und Tagebücher mit den Aufzeichnungen<br />
aus der innersten Seele. – „Sentimentales Heu“,<br />
wie eine der betreuenden Stiftsdamen bemerkt haben soll.<br />
Pädagogische Ziele und Inhalte der Anstalt sind klar festgelegt,<br />
der Tagesablauf in der 1871 gegründeten höheren Töchterschule<br />
ist straff strukturiert. Zu den Lehrplänen gehören<br />
Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften; zugleich<br />
hatten auch praktische und musisch-künstlerische Elemente<br />
eine wichtige Bedeutung. Das Wort „höhere“ bezog sich<br />
auf die Schulform. Gelegentlich wurde dies von den Teilnehmern<br />
als Schule für „höhere Töchter“ umfunktioniert.<br />
Die Mädchen machten eine Art „mittlere Reife“; besonders<br />
Fleißige konnten im Hause die Lehrerinnenprüfung ablegen,<br />
– das Höchste, was für eine Frau damals erreichbar war.<br />
Gute 10 Jahre ist es nunmehr alt, dieses Internatsmuseum,<br />
eine Welt für sich im Gebäudekomplex des Stiftes Keppel,<br />
welches Gymnasium (heute natürlich koedukativ), Tagungsstätte<br />
und Veranstaltungsort für zahlreiche kulturelle Angebote<br />
ist. Mit viel Liebe zum Detail hat Dorothea Jehmlich,<br />
ehemalige Lehrerin am Gymnasium, dieses Museum selbst<br />
ausgestattet und eingerichtet, unterstützt durch ihren Ehemann<br />
Dr. Reimer Jehmlich und ihren Kollegen Dr. Erwin Isenberg<br />
sowie weitere Mitarbeiter. Sie alle sind ausschließlich ehrenamtlich<br />
tätig. Anschaulich, engagiert und facettenreich begleitet<br />
Dorothea Jehmlich die Besucher auf einer spannenden<br />
Reise ins wilhelminische Zeitalter, wobei manche Schätze ans<br />
Tageslicht treten. So etwa die Arbeitshefte der Schülerinnen<br />
28 durchblick 4/<strong>2014</strong>