2014-04
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Reisen<br />
Paco de Lucio mit Tänzerinnen in Sevilliana Kleidern<br />
Foto: Archiv Lanko<br />
lernten einen jungen Mann kennen, der mit seinem PKW<br />
nach Südspanien wollte. Er nahm uns mit und blieb dann<br />
noch eine Woche in Lloret.<br />
Auch die Nachtclubs hatten nun geöffnet. Die Reiseleiter<br />
verkauften Tickets und brachten die Gäste, meistens samstags,<br />
entweder ins „El Relicario“ oder „El Cortijo“. Ich sollte<br />
auch „helfen“ und bekam ein Schild mit derAufschrift „Ferienflug“.<br />
Jetzt war ich „Reiseleiterin“ und die Getränke daher<br />
für mich an der Bar umsonst. Am liebsten ging ich in den<br />
Club „El Relicario“. Das war ein wunderschönes Haus im<br />
andalusischen Stil. Zu Beginn und zum Ende des Programms<br />
spielte das Orchester Francisco Mas die Weise „Noches de El<br />
Relicario“. Während das Orchester spielte wurde die große<br />
Tanzfläche hydraulisch angehoben und störende Pfeiler verschwanden<br />
in den Boden und in die Decke. Unser Reisebüro<br />
hatte für die Gäste immer einige Tische reserviert. Wenn es<br />
sehr warm war, öffnete sich das Dach und man sah die Sterne<br />
funkeln.Aufgeführt wurden viele Tänze, die Jota (spanischer<br />
Volkstanz), Rumbas, Alegrias, Fandangos, die Sevillana mit<br />
entsprechenden Kleidern und vor allem der Flamenco. An<br />
den Flamencogesang musste ich mich erst gewöhnen. Es<br />
klang in meinen Ohren wie das Heulen eines Wolfes<br />
an den Mond. Das änderte sich, als ich mich näher<br />
damit befasste. Im Flamenco werden Geschichten<br />
erzählt, die immer traurig sind und tragisch enden.<br />
Der Fantasie der Sänger sind keine Grenzen gesetzt.<br />
Dann begannen die Gitarristen zu spielen oder die<br />
Tänzer mit dem Stampfen der Füße – Spitze undAbsätze<br />
– Zapateados. Das kann man nicht beschreiben,<br />
das muss man gesehen haben. Es traten viele Gruppen<br />
auf, vor allem aber Paco de Lucio und sein Ballet<br />
– den ganzen Sommer über. Ich war begeistert.<br />
Selbst die Katalanen erschienen mit ihren Damen,<br />
die sich reichlich „aufgebrezelt“ hatten.<br />
Im anderen Nachtclub, dem „El Cortijo“ trat der<br />
Flamencotänzer „El Sali“ mit seinem Ballet auf.<br />
Dort ging es mehr andalusisch und somit ursprünglicher<br />
zu. Die Aufführung wurde ebenfalls auf Schallplatte<br />
aufgenommen. Zu hören sind minutenlange<br />
Stakkatos der Absätze von „El Sali“ und wundervolle<br />
Gitarrenklänge.<br />
Zwischendurch holte mich der Alltag im Büro wieder<br />
ein. Ein Lichtblick war jedoch, dass der bekannte<br />
Siegener Maler Walter Helsper mit seiner Familie ebenfalls<br />
einige Zeit an der Costa Brava verbrachte. Er war<br />
wohl mit Gerd befreundet, denn eines Tages brachte er<br />
Pinsel und Farben mit und malte auf eine kahle weiße<br />
Wand in unserem Büro die Burg – das Wahrzeichen von<br />
Lloret – mit Umgebung und Meer. Ich konnte zuschauen<br />
und war beeindruckt. Auch einige kleine Lokale<br />
malte er mit Leuchtfarben aus. Das sprach sich schnell<br />
herum und er bekam viele Aufträge.<br />
Chef Henri litt eines Tages an plötzlich aufgetretenen<br />
dicken roten Pickeln im Gesicht und traute sich<br />
so nicht mehr unter die Leute. Deshalb musste ich ihm<br />
wichtige Sachen nach Hause bringen. Er wohnte am anderen<br />
Ende der Stadt und hatte einen jungen Mann namens<br />
Luis beauftragt, mich zu fahren. Und so gondelte ich dann<br />
auf dem Rücksitz eines Mopeds hin und her bis der Chef<br />
wieder hergestellt war. Er erschien dann mit den Worten:<br />
„Fräulein Brigitte, das ist Jupp – nein Juppi!“ Das war ein<br />
kleiner wilder Hase, für den ein Stall gebaut werden musste.<br />
Er wurde auf dem Dach von La Casita untergebracht. Fortan<br />
konnte ich mich auch noch um Juppi kümmern, besorgte<br />
Salatblätter und anderes Futter. Weil mir das Tier leid tat,<br />
holte ich es zu mir ins Büro. Mit der Zeit wurde es sehr<br />
zutraulich und saß bei mir auf dem Schoß, wenn ich an der<br />
Schreibmaschine arbeitete. Eines Morgens wollte ich Juppi<br />
holen. Er überschlug sich im Stall und verdrehte die Augen.<br />
Ich wollte ihm helfen, aber er starb. Später fand ich dann<br />
klebrige, stachelige Blätter, die ich nicht hineingelegt hatte.<br />
Als ich Juppi begraben wollte, fand ich ihn nicht mehr.<br />
Gerd hatte ihn einfach ins Gestrüpp neben La Casita geworfen.<br />
Das habe ich ihm bis heute nicht verziehen!<br />
Inzwischen war es September geworden und meine Tante<br />
Lena kam nach Lloret, um ihren einzigen Sohn Gerd zu<br />
Foto: Archiv Lanko<br />
El Relicario (der Heiligenschrein)<br />
42 durchblick 4/<strong>2014</strong>