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2014-04

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in diesem Beitrag beschäftige ich mich (nur!) mit der rein<br />

philosophisch-theologisch ausgerichteten ethischen Frage<br />

nach einem selbstbestimmten Sterben und Tod. Haben wir<br />

Menschen das Recht und die Freiheit, das Ende unseres persönlichen<br />

Lebens selbst zu bestimmen, oder gibt es so etwas<br />

wie eine Pflicht zu leben, sowohl Gott als auch der Gesellschaft<br />

gegenüber? Diese kontroversen Positionen ziehen sich<br />

wie ein roter Faden bis heute (nicht nur) durch die abendländische<br />

Geistesgeschichte. Ganz aktuell (Herbst <strong>2014</strong>) finden<br />

sie bei uns in Deutschland ihrenAusdruck in der anhaltenden<br />

Bundestagsdebatte über eine Neuregelung des Gesetzes zur<br />

Sterbehilfe, in der der sonst übliche Fraktionszwang aufgehoben<br />

ist, sodass jeder Bundestagsabgeordnete frei seinem<br />

eigenen Gewissen folgen kann.<br />

Nicht zuletzt bedingt durch den rasanten Fortschritt in<br />

der Medizin und den vielfältigen Folgen des demografischen<br />

Wandels, scheint es mir sinnvoll zu sein, die Frage nach der<br />

Selbstbestimmung am Ende unseres Lebens in zwei unterschiedlichen<br />

Situationszusammenhängen zu betrachten, zu<br />

denen es wiederum eine Vielzahl von ethischen Positionen<br />

gibt. Zum einen geht es um den, nennen wir ihn „klassischen“<br />

individuellen, selbst ausgeübten Suizid einer einzelnen Person,<br />

zum anderen um den begleiteten Suizid, der heute vor<br />

allem als (ärztlich) „assistierter Suizid“ diskutiert wird.<br />

Der „klassische“ Suizid<br />

Wenden wir uns zunächst dem „klassischen Suizid“ zu<br />

und werfen einen kurzen Blick zurück in die Antike. Dabei<br />

stellen wir fest: Schon damals wurde der Suizid kontrovers<br />

diskutiert. Zwei krasse gegenteilige Positionen mögen dies<br />

verdeutlichen. So schrieb der griechische Philosoph Hegesias<br />

von Kyrene, der um 300 v.<br />

Chr. lebte und den Spitznamen der<br />

„Selbstmordprediger“ (der zum Tode<br />

Überredende) hatte, dem Einzelnen<br />

das Recht zu, sich umzubringen<br />

und begründete dieses Recht mit<br />

dem Elend der menschlichen Existenz.<br />

Das menschliche Leben, so<br />

seine radikale Auffassung, habe an sich keinen besonderen<br />

moralischen Wert. Außerdem könne man im Leben niemals<br />

wahre Glückseligkeit erlangen. Er war der Auffassung: So<br />

wie wir selbst bestimmen, wie wir unser Leben gestalten und<br />

einrichten, so muss es auch von unsere Entscheidung abhängen,<br />

wann und wie wir sterben wollen. Seine Ausführungen<br />

müssen dabei derart überzeugend gewesen sein, dass seine<br />

Vorträge in Ägypten verboten wurden, weil sich viele Zuhörer<br />

das Leben nahmen. 2)<br />

Eine völlig gegenteilige Position vertrat Platon (427–<br />

347 v. Chr.). Er hielt den „Selbstmord“ für moralisch<br />

unerlaubt und vertrat die Ansicht: „Man hat auf seinem<br />

Posten auszuharren – Wir ‚gehören‘ nicht uns selbst und<br />

daher dürfen wir nicht über uns selbst verfügen“ – „Aus<br />

dem Leben zu scheiden, das ist so lange nicht erlaubt, bis<br />

der Gott irgend eine Notwendigkeit dazu verfügt hat“. 1) –.<br />

Von daher verlangt die verwerfliche (geglückte!) Tat für<br />

Platon eine Form der Sühne und Bestrafung, die in den<br />

Reinigungs- und Bestattungsriten ihren Ausdruck finden<br />

muss. Der „Selbstmörder“ soll ruhmlos, an einem einsamen<br />

Platz, auf unbebautem und namenlosem Gelände beigesetzt<br />

werden, um damit die ethisch begründeteAblehnung äußerlich<br />

sichtbar werden zu lassen. Diese Aufforderung Platons<br />

ist so etwas wie eine Legitimation und Rechtfertigung des<br />

später aufkommenden Christentums, bis weit in die Neuzeit<br />

hinein, den Leichnam eines Selbstmörders auf keinen Fall<br />

in geweihter Erde beizusetzen, sondern irgendwo, meist außerhalb<br />

der Stadtmauer, namenlos zu verscharren.<br />

Aber auch Sokrates (470–399 v. Chr.) verurteilt den<br />

„Selbstmord“ Für ihn ist der Mensch ein Wesen, … „das sich<br />

in einer Festung befindet, aus der sich zu entfernen ihm nicht<br />

erlaubt ist. Sich selbst töten hieße demnach, sich unerlaubterweise<br />

aus der Festung zu befreien und davonzugehen.“ 1) Aristoteles<br />

(384–322 v. Chr.), ein Schüler Platons, lehnt den<br />

„Selbstmord“ ebenfalls ab, begründet seine Ablehnung aber<br />

nicht wie Platon moralisch-religiös (transzendent) sondern<br />

fragt, ob man sich selbst überhaupt ein Unrecht zufügen könne.<br />

Er ist der Auffassung, da der Staat den Selbstmord nicht<br />

ausdrücklich gebietet, ist er verboten, denn für ihn ist grundsätzlich<br />

alles verboten, was vom Staat nicht ausdrücklich<br />

geboten ist. 1) Außerdem hält Aristoteles den „Selbstmord“<br />

für eine feige Tat: „Den Tod suchen, um der Armut oder<br />

einem Liebeskummer oder sonst etwas Bedrückendem zu<br />

entgehen, das ist nicht tapfer, sondern vielmehr feige. Es ist<br />

Weichlichkeit, sich den Härten des Lebens zu entziehen“. 3)<br />

So etwas wie eine Türöffnerfunktion für das Recht<br />

auf einen selbstbestimmten Tod nahmen die Philosophen<br />

der stoischen Denktradition (Stoa) mit ihrer weitaus liberaleren<br />

Position ein. Für sie können „... Lebensumstände<br />

eintreten, die es angebracht erscheinen lassen, dem Leben<br />

ein Ende zu setzen. Liegen die<br />

Platon: Man hat<br />

auf seinem Posten<br />

auszuharren<br />

entsprechenden Umstände vor,<br />

dann gebietet es, wie die Stoiker<br />

lehrten, gewissermaßen der Logos<br />

selbst, freiwillig das Leben<br />

zu verlassen“. 1) Gründe hierfür<br />

sind: – die Aufopferung für das<br />

Vaterland, – sich der Gewalt und<br />

unsittlichen Handlungen eines Tyrannen entziehen, – wenn<br />

eine langwierige Krankheit den Leib daran hindert, der Seele<br />

als Werkzeug zu dienen, – eine große Armut und Mangel<br />

an Nahrung, – auftretende Geisteskrankheiten.<br />

Halten wir mit diesem kurzen Blick in die Antike fest:<br />

die großen und bekannten Philosophen der damaligen Zeit<br />

lehnten den Suizid, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen,<br />

überwiegend ab. Für sie gab es keine Rechtfertigung<br />

des Menschen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden.<br />

Erste Einsprüche kamen von den Stoikern und ihre Einstellung<br />

zu einem „wohlüberlegten Freitod“.<br />

Die Prüfsteine: Gott – Gesellschaft – Natur<br />

Verfolgt man in der Geschichte der abendländischen Philosophie<br />

ihre Auseinandersetzung mit dem Suizid, (wozu<br />

das im Quellennachweis genannte Buch von Dr. Friedhelm.<br />

Decher bestens geeignet ist), so ist zu erkennen, dass &<br />

4/<strong>2014</strong> durchblick 65

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