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2014-04

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tötet, macht sich des gleichen Verbrechens schuldig wie der,<br />

der einen anderen Menschen umbringt. Beide begehen ein<br />

abscheuliches Verbrechen und sind durch ihre verderbliche<br />

Tat Mörder vor den Augen Gottes. Die Selbsttötung ist für<br />

Augustinus durch nichts zu rechtfertigen und verstößt gegen<br />

das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten. Ohne jedes Wenn und<br />

Aber. Selbst dann nicht, wenn eine gottgeweihte Jungfrau,<br />

ihre Keuschheit vor der drohenden Gefahr einer Vergewaltigung<br />

bewahren will, oder nach einer Vergewaltigung aus<br />

einem Schamgefühl heraus. FürAugustinus ist Keuschheit eine<br />

Tugend des Geistes, die durch eine körperliche Vergewaltigung<br />

nicht verloren geht. Deshalb ist die Selbsttötung einer<br />

Jungfrau, unabhängig von ihren keuschen Motiven, immer<br />

ein Mord an der eigenen Person und von daher gesehen eine<br />

Todsünde. Für Augustinus gilt unumstößlich: All diejenigen<br />

Menschen, die den Qualen des Lebens durch ein freiwilliges<br />

Aus-dem-Leben-Scheiden zu entkommen versuchen, werden<br />

der ewigen Pein anheimfallen. 1)<br />

Auch für den Dominikanermönch und Kirchenlehrer Thomas<br />

von Aquin (1225–1274) ist Selbstmord eine Todsünde,<br />

begeht der Selbstmörder doch gleich in dreifacher Hinsicht<br />

ein Verbrechen. Erstens: Der Selbstmord ist naturwidrig, weil<br />

er im Widerspruch zur Selbsterhaltung und Selbstliebe steht.<br />

Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, liebt sich selbst und ist<br />

bestrebt, sein Leben im Dasein zu erhalten und bringt dem, der<br />

es zerstören will, den ihm größtmöglichen Widerstand entgegen.<br />

Der Selbstmörder handelt somit gegen seine wahre, von<br />

Gott geschenkte Natur. Zweitens: Jeder Mensch ist immer Teil<br />

des Ganzen, sprich ein Teil der Gemeinschaft. Wenn er sich<br />

selbst Schaden zufügt, schadet<br />

er immer auch dem Ganzen,<br />

und begeht der Gemeinschaft<br />

gegenüber ein Unrecht. Drittens:<br />

Das Leben wurde uns<br />

von Gott geschenkt, er ist der<br />

alleinige Herrscher über Leben und Tod. Anfang und Ende<br />

unseres Lebens liegen ausschließlich in seinen Händen. 1)<br />

Dies bedeutet für einen gläubigen Christen in einer bildhaften<br />

Übertragung: Wir Menschen haben auf der Bühne<br />

des Lebens (in der göttlichen Komödie?), die uns von Gott<br />

zugewiesene Rolle zu spielen, bis zur bitteren Neige. Wir<br />

haben sie solange zu spielen, bis auch für uns der Vorhang<br />

fällt. Wann die Zeit gekommen ist, die Bühne zu verlassen,<br />

bestimmt Gott allein, er ist der Regisseur und Intendant im<br />

großen Spiel des Lebens. Die Bretter, die die Welt bedeuten<br />

eigenmächtig zu verlassen, ob als Statist oder Hauptdarsteller,<br />

König oder Bettelmann, ist dem Menschen nicht erlaubt. Tut<br />

er dies, begeht er nach christlichem Verständnis eine schwere<br />

Sünde und kann nur auf die Vergebung Gottes hoffen, um<br />

der ewigen Verdammnis zu entgehen. An dieser Grundposition<br />

der christlichen Theologie hat sich über die Jahrhunderte<br />

hinweg bis heute nicht wesentliches verändert. Allerdings<br />

wird der Selbstmörder in heutiger Zeit nicht mehr gnadenlos<br />

verurteilt, sondern es wird ihm mehr Verständnis entgegengebracht.<br />

Er behält, trotz der verwerflichen Tat, seine von<br />

Gott geschenkte Würde. Ausdruck findet diese Einstellung<br />

darin, dass der Selbstmörder, im Gegensatz zu früher, auch<br />

christlich (katholisch wie evangelisch) beerdigt werden darf.<br />

Die Nächstenliebe schließt die<br />

Selbstliebe nicht nur ein, sondern<br />

setzt sie als natürlich voraus.<br />

Von katholischer Seite, nach meinem Wissen, seit 1983. Zum<br />

Schluss der religiösen Sichtweise noch der Hinweis, dass die<br />

anderen Weltreligionen wie die Wüstenreligionen Judentum<br />

und Islam, sowie die fernöstlichen Religionen Buddhismus<br />

und Hinduismus den Suizid ebenfalls meist scharf verurteilen.<br />

Prüfsteine: Gesellschaft und Natur<br />

Neben dem religiösen Prüfstein „Gott“ zur Beurteilung<br />

eines Suizids, finden wir in der abendländischen Philosophiegeschichte,<br />

wie bereits angesprochen und auch schon bei<br />

Thomas von Aquin erwähnt, noch zwei weitere, interessante<br />

Prüfsteine, die zur Bildung einer eigenen, ethischen Position<br />

herangezogen werden können: die Natur, aus der wir hervorgegangen<br />

sind, sowie die Gesellschaft, in der wir leben.<br />

Fragen wir uns zuerst, was hat die Natur mit dem Suizid eines<br />

Menschen zu tun?Auf den ersten Blick, so scheint es, besteht<br />

kein Zusammenhang. Der entsteht erst auf den zweiten Blick<br />

im Widerspruch, wenn ich den krassen Gegensatz erkenne,<br />

hier der natürliche Selbsterhaltungstrieb, dort der persönliche<br />

Selbstvernichtungswille. Beides passt nicht zusammen.<br />

So sieht es auch der englische Philosophen Thomas Hobbes<br />

(1588-1679). „Für ihn ist die menschliche Natur wesentlich<br />

das Streben nach Selbsterhaltung und der Selbstmord<br />

ein naturwidriger und irrationaler Akt. Naturwidrig deshalb,<br />

weil er dem Selbsterhaltungstrieb diametral entgegensteht<br />

und irrational, weil er das oberste Gebot der Vernunft, unter<br />

dem alles menschliche Handeln steht, in nicht wieder gutzumachender<br />

Weise verletzt. 1) Der Selbstmörder vergeht sich<br />

sozusagen an seiner eigenen<br />

Natur, eine Natur, die stets<br />

auf Selbsterhaltung und das<br />

eigene Überleben ausgerichtet<br />

ist. Wie stark dieser natürliche<br />

Selbsterhaltungstrieb<br />

beim Menschen werden kann, wird beim Ausbruch einer<br />

Massenpanik schlagartig sichtbar. Eine Situation, wo sich der<br />

Mensch wie ein reines Naturwesen verhält, das ums nackte<br />

Überleben kämpft, ohne Rücksicht aufAndere und in der das<br />

mit Vernunft ausgestattete Wesen im Menschen sprichwörtlich<br />

mit Füßen getreten wird. Hier ist, um mit Thomas Hobbes<br />

zu sprechen: „Der Mensch dem Menschen ein Wolf.“ 1)<br />

Was ich damit sagen will ist: In welch einer psychisch desolaten<br />

Verfassung muss ein Mensch sein, dass bei ihm dieser<br />

starke Überlebenstrieb quasi ausgeschaltet ist? Wie verzweifelt,<br />

hoffnungslos und ohne jede Zukunftsperspektive muss<br />

ein Suizidant sein, dass ihm sein Leben wertlos und sinnlos<br />

erscheint und er sich durch seine Selbstvernichtung völlig<br />

unnatürlich verhält? Was ein Suizidant verloren hat, ist nicht<br />

nur die Kraft zur Selbsterhaltung, sondern auch seine Selbstliebe,<br />

seine Liebe zu sich selbst. Liebe deinen Nächsten wie<br />

dich selbst, heißt es doch. Die Nächstenliebe schließt die<br />

Selbstliebe nicht nur ein, sondern setzt sie als natürlich voraus.Aus<br />

Sicht von Mutter Natur ist der Selbstmord daher ein<br />

Unding. Oder sollte sie uns Menschen, mit der Möglichkeit,<br />

Suizid begehen zu können, doch eine Hintertür offengelassen<br />

haben, um ein Leben, das für sich selbst und für andere zur<br />

Qual geworden ist, selbstbestimmt zu beenden? &<br />

4/<strong>2014</strong> durchblick 67

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