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2014-04

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Essay<br />

denn die Freiheit eines jeden Menschen endet immer da, wo<br />

die Freiheit des Anderen beginnt. Aber, wie unterschiedlich<br />

solche Grenzverläufe im wahren Leben wirklich sind und<br />

welch divergierenden Auffassungen es in Bezug auf Sterbehilfe<br />

gibt, wird u. a. deutlich in den bestehenden Organisationen,<br />

Gesellschaften und Vereinen die, ohne Rücksicht<br />

auf langfristige gesellschaftlichen Folgen, solch ethische und<br />

psychologische Hemmschwellen überwinden und – gegen<br />

Bezahlung natürlich – beim Suizid helfen. Jede Freiheit, auch<br />

die zu Sterben hat eben ihren Preis. Aber trotzdem gilt: Es<br />

gibt kein Sterben erster Klasse. Wohin die Legalisierung der<br />

aktiven Sterbehilfe führen kann, zeigt uns ein Blick über die<br />

Grenze zu unseren holländischen Nachbarn. Ohne hier auf<br />

Einzelheiten in der aus ethischer Sicht Besorgnis erregenden<br />

Entwicklung einzugehen, und ohne sie zu bewerten, frage<br />

ich mich erstaunt: Warum haben viele Holländer in der Zwischenzeit<br />

in ihrer Brieftasche eine sogenannte „Credo-Card“<br />

auf der steht: „Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht,<br />

Doktor“? Um nicht im Rahmen der bestehenden Praxis der<br />

Sterbehilfe „versehentlich“ euthanasiert zu werden?<br />

Um das Leiden Schwerstkranker und sterbender Menschen<br />

weitgreifend zu lindern gibt es heute, Gott sei Dank,<br />

eine medizinische Alternative zum ärztlich assistierten Suizid<br />

und die heißt: Palliativmedizin. Um ihre Behandlungsziele<br />

zu beschreiben, nachstehend die Definition der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO): Palliativbetreuung dient<br />

der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und<br />

ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung<br />

konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung<br />

und Linderung von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung,<br />

hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung von Schmerzen<br />

und anderen Problemen physischer, psychosozialer und<br />

spiritueller Natur. Beim Einsatz der Palliativmedizin, die in<br />

den letzten Jahren große Fortschritte erzielt hat, geht es nicht<br />

mehr um Heilung der Krankheit, sondern um Linderung ihrer<br />

Symptome und eine verbesserte Lebensqualität. Leider<br />

kommt sie in der Praxis immer noch viel zu wenig zum Einsatz.<br />

Wird sie richtig und umfassend angewandt, insbesondere<br />

in Verbindung mit einer hospizlichen Begleitung, ob<br />

ambulant oder stationär, schwindet bei den meisten Patienten<br />

der Wunsch nach Sterbehilfe. Das persönliche Leitmotiv in<br />

der Hospizarbeit in Verbindung mit der Palliativmedizin<br />

lautet gegenüber jedem einzelnen Patienten: Du kannst an<br />

meiner Hand sterben, aber nicht durch meine Hand. Ein, wie<br />

ich finde, menschlich sehr wohltuendes und beruhigendes<br />

Motiv. Aber auch dazu mehr in dem bereits erwähnten Beitrag<br />

in einer der nächsten durchblick-Ausgaben.<br />

Fazit:<br />

Ich befürchte, trotz meiner dargelegten Gedanken, die<br />

Frage, ob der Suizid die Signatur der Freiheit ist und er das<br />

philosophisch-ethische Prüfsiegel für einen selbstbestimmten<br />

Tod trägt, muss offen bleiben. Jeder Mensch will leben,<br />

nicht tot sein. Deshalb ist der Suizid, ob klassisch oder assistiert,<br />

eine Tat der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit<br />

die zum Ausdruck bringt: Ich will (weiter)leben, nur nicht<br />

unter diesen Bedingungen. Für mich liegt die wahre Freiheit<br />

des Menschen darin, seinem eigenen Gewissen und seinen<br />

moralisch-ethischen Wertvorstellungen zu folgen. Dazu gehört<br />

die Gewissenserforschung, ein Begriff, der fast völlig<br />

in Vergessenheit geraten ist. Sich zu fragen und zu prüfen:<br />

Was leitet mich? Was trägt mich? Was gibt mir Kraft und<br />

schenkt mir innere Ruhe und Gelassenheit? Wo stehen die<br />

Eckpfeiler meines Lebens? Woher beziehe ich meine humanen<br />

Wertevorstellungen? Wo liegen die Grenzen meiner<br />

persönlichen Freiheit? Ein mühevoller Weg, ich weiß. Dazu<br />

braucht es den „inneren Beobachter“, unser Gewissen. Nicht<br />

ohne Grund lautet ein altes Sprichwort: „Ein ruhiges Gewissen<br />

ist ein sanftes Ruhekissen“. Wahre Freiheit drückt sich<br />

nicht durch eine einzelne, lebensfeindliche Tat aus, sondern<br />

sie wohnt in uns selbst. Wie heißt es in einem alten Volkslied:<br />

„die Gedanken sind frei.“ Nutzen wir diese innere Freiheit<br />

immer wieder zur Gewissenserforschung, um nach bestem<br />

Wissen und Gewissen ethisch zu denken und zu handeln.<br />

Auch, oder vielleicht gerade dann, wenn Andere oder wir<br />

selbst, am Ende des Lebens angekommen sind und die Freiheit<br />

des Menschen durch den Tod ihre absolute Grenze erfährt.<br />

Eberhard Freundt<br />

* Titel entnommen dem gleichnamigen Buch von Dr. Friedhelm Decher. 1)„Die Signatur der Freiheit“, Dr.<br />

Friedhelm Decher, (Verlag: zu Klampen 1999). 2) Wikipedia.org (Friedrich Nietzsche,Zarathustra: „vom freien<br />

Tode“. 3) Aristoteles: Nikomachische Ethik 4) „Über das Sterben“ Gian Domenico Borasiao (Verlag dtv).<br />

70 durchblick 4/<strong>2014</strong>

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