2014-04
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Essay<br />
denn die Freiheit eines jeden Menschen endet immer da, wo<br />
die Freiheit des Anderen beginnt. Aber, wie unterschiedlich<br />
solche Grenzverläufe im wahren Leben wirklich sind und<br />
welch divergierenden Auffassungen es in Bezug auf Sterbehilfe<br />
gibt, wird u. a. deutlich in den bestehenden Organisationen,<br />
Gesellschaften und Vereinen die, ohne Rücksicht<br />
auf langfristige gesellschaftlichen Folgen, solch ethische und<br />
psychologische Hemmschwellen überwinden und – gegen<br />
Bezahlung natürlich – beim Suizid helfen. Jede Freiheit, auch<br />
die zu Sterben hat eben ihren Preis. Aber trotzdem gilt: Es<br />
gibt kein Sterben erster Klasse. Wohin die Legalisierung der<br />
aktiven Sterbehilfe führen kann, zeigt uns ein Blick über die<br />
Grenze zu unseren holländischen Nachbarn. Ohne hier auf<br />
Einzelheiten in der aus ethischer Sicht Besorgnis erregenden<br />
Entwicklung einzugehen, und ohne sie zu bewerten, frage<br />
ich mich erstaunt: Warum haben viele Holländer in der Zwischenzeit<br />
in ihrer Brieftasche eine sogenannte „Credo-Card“<br />
auf der steht: „Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht,<br />
Doktor“? Um nicht im Rahmen der bestehenden Praxis der<br />
Sterbehilfe „versehentlich“ euthanasiert zu werden?<br />
Um das Leiden Schwerstkranker und sterbender Menschen<br />
weitgreifend zu lindern gibt es heute, Gott sei Dank,<br />
eine medizinische Alternative zum ärztlich assistierten Suizid<br />
und die heißt: Palliativmedizin. Um ihre Behandlungsziele<br />
zu beschreiben, nachstehend die Definition der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO): Palliativbetreuung dient<br />
der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und<br />
ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung<br />
konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung<br />
und Linderung von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung,<br />
hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung von Schmerzen<br />
und anderen Problemen physischer, psychosozialer und<br />
spiritueller Natur. Beim Einsatz der Palliativmedizin, die in<br />
den letzten Jahren große Fortschritte erzielt hat, geht es nicht<br />
mehr um Heilung der Krankheit, sondern um Linderung ihrer<br />
Symptome und eine verbesserte Lebensqualität. Leider<br />
kommt sie in der Praxis immer noch viel zu wenig zum Einsatz.<br />
Wird sie richtig und umfassend angewandt, insbesondere<br />
in Verbindung mit einer hospizlichen Begleitung, ob<br />
ambulant oder stationär, schwindet bei den meisten Patienten<br />
der Wunsch nach Sterbehilfe. Das persönliche Leitmotiv in<br />
der Hospizarbeit in Verbindung mit der Palliativmedizin<br />
lautet gegenüber jedem einzelnen Patienten: Du kannst an<br />
meiner Hand sterben, aber nicht durch meine Hand. Ein, wie<br />
ich finde, menschlich sehr wohltuendes und beruhigendes<br />
Motiv. Aber auch dazu mehr in dem bereits erwähnten Beitrag<br />
in einer der nächsten durchblick-Ausgaben.<br />
Fazit:<br />
Ich befürchte, trotz meiner dargelegten Gedanken, die<br />
Frage, ob der Suizid die Signatur der Freiheit ist und er das<br />
philosophisch-ethische Prüfsiegel für einen selbstbestimmten<br />
Tod trägt, muss offen bleiben. Jeder Mensch will leben,<br />
nicht tot sein. Deshalb ist der Suizid, ob klassisch oder assistiert,<br />
eine Tat der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit<br />
die zum Ausdruck bringt: Ich will (weiter)leben, nur nicht<br />
unter diesen Bedingungen. Für mich liegt die wahre Freiheit<br />
des Menschen darin, seinem eigenen Gewissen und seinen<br />
moralisch-ethischen Wertvorstellungen zu folgen. Dazu gehört<br />
die Gewissenserforschung, ein Begriff, der fast völlig<br />
in Vergessenheit geraten ist. Sich zu fragen und zu prüfen:<br />
Was leitet mich? Was trägt mich? Was gibt mir Kraft und<br />
schenkt mir innere Ruhe und Gelassenheit? Wo stehen die<br />
Eckpfeiler meines Lebens? Woher beziehe ich meine humanen<br />
Wertevorstellungen? Wo liegen die Grenzen meiner<br />
persönlichen Freiheit? Ein mühevoller Weg, ich weiß. Dazu<br />
braucht es den „inneren Beobachter“, unser Gewissen. Nicht<br />
ohne Grund lautet ein altes Sprichwort: „Ein ruhiges Gewissen<br />
ist ein sanftes Ruhekissen“. Wahre Freiheit drückt sich<br />
nicht durch eine einzelne, lebensfeindliche Tat aus, sondern<br />
sie wohnt in uns selbst. Wie heißt es in einem alten Volkslied:<br />
„die Gedanken sind frei.“ Nutzen wir diese innere Freiheit<br />
immer wieder zur Gewissenserforschung, um nach bestem<br />
Wissen und Gewissen ethisch zu denken und zu handeln.<br />
Auch, oder vielleicht gerade dann, wenn Andere oder wir<br />
selbst, am Ende des Lebens angekommen sind und die Freiheit<br />
des Menschen durch den Tod ihre absolute Grenze erfährt.<br />
Eberhard Freundt<br />
* Titel entnommen dem gleichnamigen Buch von Dr. Friedhelm Decher. 1)„Die Signatur der Freiheit“, Dr.<br />
Friedhelm Decher, (Verlag: zu Klampen 1999). 2) Wikipedia.org (Friedrich Nietzsche,Zarathustra: „vom freien<br />
Tode“. 3) Aristoteles: Nikomachische Ethik 4) „Über das Sterben“ Gian Domenico Borasiao (Verlag dtv).<br />
70 durchblick 4/<strong>2014</strong>