2014-04
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Vor 70 Jahren<br />
Der 16. Dezember 1944<br />
ein Erlebnisbericht<br />
Foto: Archiv Foto-Fuchs<br />
Der 16. Dezember 1944 war ein Samstag, acht Tage<br />
vor Heiligabend, dem sechsten Heiligabend während<br />
des Krieges. Ich war damals Schüler der Staatlichen<br />
Fachschule in Siegen. Samstags hatte unsere Klasse<br />
praktischen Unterricht in der Werkstatt.Weil ich aber eine<br />
Verletzung an der rechten Hand hatte, brauchte ich nicht am<br />
Werkstattunterricht teilzunehmen, wurde aber dafür zum theoretischen<br />
Unterricht der Oberklasse befohlen. Aber etwa so<br />
um 11 Uhr ließ mich Herr Rottsieper, der Klassenlehrer, meine<br />
Sachen packen und ich konnte nach Hause fahren.<br />
Ich war natürlich froh über die zusätzliche Freizeit und<br />
stieg frohgemut an der Haltestelle Emilienstraße in die<br />
Straßenbahn in Richtung Geisweid ein, nicht ahnend, dass<br />
es das letzte Mal war, dass ich mit der Straßenbahn vom<br />
Schulunterricht nach Hause fahren würde. In der Bahn war<br />
außer dem diensthabenden Schaffner auch noch eine jüngere<br />
Schaffnerin, die uns Schülern gegenüber immer sehr<br />
freundlich war und die scheinbar Dienstschluss hatte, denn<br />
sie stieg an der Sieghütte aus und wir wussten irgendwoher,<br />
dass diese nette junge Frau, auf der Sieghütte wohnte. Diese<br />
junge Schaffnerin habe ich nie wieder gesehen und ich bin<br />
mir sicher, dass sie am Nachmittag durch den Bombenangriff<br />
um ihr junges Leben gekommen ist, denn die Sieghütte<br />
war besonders schlimm betroffen.<br />
Als ich zu Hause war, gab mir meine Mutter den Auftrag,<br />
nach dem Mittagessen einmal die Verdunkelungsrollos nachzusehen,<br />
denn nach fünf Kriegsjahren<br />
hatten sie bei täglichem<br />
Gebrauch natürlich stark gelitten.<br />
Mein Vater war sechs Wochen vor<br />
Kriegsbeginn gestorben und meine<br />
beiden Brüder, beide älter als ich,<br />
waren Soldat und somit fiel mir<br />
die Rolle des männlichen Repräsentanten<br />
zu, der diese Aufgabe zu<br />
erledigen hatte.<br />
Es war so gegen 14:30 Uhr, als<br />
ich auf der Fensterbank im Wohnzimmer<br />
stand und mit meiner Arbeit begonnen hatte. Es gab<br />
dann Voralarm und kurz danach Vollalarm, aber das störte uns<br />
nicht, denn es war ja bisher noch nichts Größeres passiert.<br />
Aber kurz nach dem Vollalarm wurde akute Gefahr gegeben<br />
und dann hörten wir die englischen Bomber.Wir liefen in<br />
unseren Luftschutzkeller und kurz darauf detonierten auch<br />
schon die ersten Bomben. Ich weiß nicht mehr, wie lange das<br />
dauerte, aber dann war plötzlich Stille.Wir verließen den Keller<br />
und traten hinter unser Haus. Aus Richtung Siegen kam<br />
eine unheimliche schwarze Wolke, bestehend aus Qualm und<br />
riesigen Mengen Papier herangezogen, zunächst über Geisweid<br />
und dann in Richtung Setzen. Da wussten wir, dass der<br />
Krieg nun auch in unserer nächsten Nähe zugeschlagen hatte.<br />
Ich erledigte so schnell es ging meine Reparatur. Dann rief<br />
ich meinen Freund Fritz Hassler, der uns gegenüber wohnte,<br />
und wir beschlossen, uns mit unseren Fahrrädern wenn möglich<br />
nach Siegen durchzuschlagen um zu versuchen, irgendjemandem<br />
zu helfen. Ich wollte auch nach meiner Schule<br />
sehen, ob sie vielleicht einen Schaden erlitten hätte.<br />
Wir waren noch nicht aus Geisweid heraus, da begegnete<br />
uns der Vater eines anderen Freundes, der bei der Post<br />
in Siegen arbeitete.Wir wagten es nicht, ihn anzusprechen,<br />
so elend und geschockt sah er aus, und später erfuhren wir<br />
dann, dass er mitten im Inferno gewesen war.<br />
Je näher wir nach Siegen kamen, desto schwieriger wurde<br />
das Durchkommen. In Weidenau, etwa da, wo früher<br />
das Amtshaus stand, kam uns<br />
ein Motorrad entgegen und<br />
auf dem Soziussitz saß ein<br />
Uniformierter. Das Motorrad<br />
hielt an und wir sahen, dass<br />
der Uniformierte unser Bannführer<br />
war, den wir nicht sehr<br />
gut leiden konnten. Er rief<br />
uns zu, ob wir Melder wären.<br />
Fritz und ich waren für einen<br />
Moment überrascht, aber dann<br />
bejahten wir die Frage und das<br />
52 durchblick 4/<strong>2014</strong>