Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...
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Der Blick <strong>der</strong> Armutsforschung<br />
Daran zeigt sich auch, wie wichtig es ist,<br />
mehrere Aspekte zu betrachten, weil sonst<br />
alle ›über einen Kamm geschoren‹ werden. Die<br />
verschiedenen Aspekte in ihrem Zusammenhang<br />
zu betrachten, ist vor allem dann von<br />
zentraler Bedeutung, wenn positive Aspekte<br />
und Potenziale eines Menschen sichtbar<br />
werden, die für ein Überwinden von Einkommensarmut<br />
notwendig sind.<br />
THOMAS SCHWARZER: Zurück <strong>zur</strong> Armut, speziell<br />
von Frauen: Müssen <strong>bei</strong> einer Untersuchung<br />
beson<strong>der</strong>e weibliche Aspekte einbezogen<br />
werden?<br />
PETRA BUHR: Es gibt frauenspezifische Ursachen<br />
von Armut. Allerdings muss ich an dieser<br />
Stelle auch vor einem weitverbreiteten Missverständnis<br />
warnen: Mit dem Begriff ›Frauenarmut‹<br />
ist häufig die Vorstellung verbunden, dass<br />
Armut vor allem ein Problem von Frauen ist,<br />
dass die Armut weiblich ist. Wir müssen aber<br />
zwei Dinge auseinan<strong>der</strong>halten: die strukturelle<br />
Benachteiligung von Frauen in vielen gesellschaftlichen<br />
Bereichen und die tatsächliche<br />
Armutsbetroffenheit. Wird von Frauenarmut<br />
gesprochen, sind häufig die strukturellen<br />
Benachteiligungen von Frauen gemeint und<br />
weniger die tatsächliche Armutssituation. Bei<br />
alleinerziehenden Müttern sind die Armutsquoten<br />
etwa dreimal so hoch wie im Durchschnitt.<br />
Betrachtet man hingegen die Armutsquoten<br />
von Frauen und Männern, die nicht als Familien<br />
leben, liegt die Betroffenheit durch Armut nicht<br />
weit auseinan<strong>der</strong>. Obwohl Frauen überwiegend<br />
niedrigere Löhne haben als Männer, führt das<br />
nicht direkt zu einem Leben dieser Frauen in<br />
Armut. Es kommen immer zusätzliche Faktoren<br />
hinzu, wie zum Beispiel häufig die Versorgung<br />
eines Kindes. Solange Frauen für sich<br />
alleine wirtschaften o<strong>der</strong> gemeinsam mit<br />
einem Partner, führen die bestehenden strukturellen<br />
Benachteiligungen nicht unbedingt in<br />
Armut.<br />
THOMAS SCHWARZER: Sollen wir also präziser<br />
von Mütterarmut reden?<br />
PETRA BUHR: Von Frauenarmut zu sprechen ist<br />
genauso richtig, wie auch von Männerarmut zu<br />
sprechen. Mit dem Begriff Frauenarmut wird<br />
aber häufig verbunden, dass Frauen beson<strong>der</strong>s<br />
oft von Armut betroffen sind, aber so ein-<br />
fach ist das nicht. Ein Blick auf die verschiedenen<br />
<strong>sozialen</strong> Gruppen von Frauen zeigt,<br />
dass vor allem die Alleinerziehenden überdurchschnittlich<br />
häufig arm sind. Frauen sind<br />
ohne Frage in vielen gesellschaftlichen Bereichen<br />
benachteiligt, es gibt auch bestimmte<br />
weibliche Armutsrisiken, aber ich würde nicht<br />
sagen, dass Armut in erster Linie ein Frauenphänomen<br />
ist.<br />
THOMAS SCHWARZER: Spielen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Armut<br />
von Frauen also eher soziale Aspekte eine<br />
wichtige Rolle, wie zum Beispiel die Berufsqualifikation<br />
o<strong>der</strong> die Herkunft aus einem<br />
spezifischen <strong>sozialen</strong> Milieu?<br />
PETRA BUHR: Das ist auch ein Aspekt. Gerade<br />
<strong>bei</strong> den Alleinerziehenden muss stärker nach<br />
ihrer <strong>sozialen</strong> Position unterschieden werden.<br />
Eine Alleinerziehende, die zum Beispiel eine<br />
gut bezahlte Stelle im öffentlichen Dienst hat,<br />
ist sicherlich seltener von Armut betroffen,<br />
als jemand in einem typisch weiblichen Dienstleistungsjob<br />
mit einem Niedriglohn. Hinzu<br />
kommt die Frage, wie gut die institutionelle<br />
Kin<strong>der</strong>betreuung ausgebaut ist o<strong>der</strong> ob es<br />
Familienangehörige o<strong>der</strong> Freundinnen gibt, die<br />
unterstützend tätig werden. Außerdem gibt es<br />
auch noch den Unterschied zwischen städtischen<br />
und ländlichen Regionen. Auf dem Land<br />
muss man weitere Wege <strong>zur</strong> Ar<strong>bei</strong>t in Kauf<br />
nehmen und auch die Kin<strong>der</strong>betreuungsmöglichkeiten<br />
sind häufig weniger gut ausgebaut.<br />
Das gilt auch für die beträchtlichen Unterschiede<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung in Ost- und<br />
Westdeutschland. In Ostdeutschland ist die<br />
Infrastruktur <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung nach wie<br />
vor erheblich umfangreicher und die meisten<br />
Frauen sind eher bereit, auch jüngere Kin<strong>der</strong><br />
in institutionelle Betreuung zu geben. In Westdeutschland<br />
ist noch immer eine gewisse<br />
Zurückhaltung verbreitet, was die Betreuung<br />
von Kleinkin<strong>der</strong>n durch öffentliche Einrichtun-<br />
Eine Alleinerziehende, die zum Beispiel<br />
eine gut bezahlte Stelle im öffentlichen<br />
Dienst hat, ist sicherlich seltener von<br />
Armut betroffen, als jemand in einem<br />
typisch weiblichen Dienstleistungsjob<br />
mit einem Niedriglohn.