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Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...

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54 Willkommen im normalen Leben!<br />

in <strong>der</strong> Nähe, die den beson<strong>der</strong>s Schwachen<br />

die Lebensmittel nach Hause bringen. ›NAHlos‹<br />

heißt das Projekt und seit einige <strong>der</strong><br />

Teilnehmer für die Tafel ar<strong>bei</strong>ten, ist die<br />

Hemmschwelle etwas kleiner geworden, hier<br />

auch mal als Kunde aufzukreuzen.<br />

Bei NAHlos machen<br />

junge Frauen erste<br />

Berufserfahrungen<br />

›Wenn zum Ende des Geldes noch ganz viel<br />

Monat über ist und wir dann vorschlagen:<br />

Geh doch <strong>zur</strong> Tafel, heißt es fast immer. Nee,<br />

das mache ich nicht‹, berichtet NAHlos-Mitar<strong>bei</strong>terin<br />

Anja Mayer. Und ihr Kollege Stefan<br />

Wörpel ergänzt: ›Das ist ja das Eingeständnis:<br />

Ich bin arm. Alle wollen sich ja als Teil <strong>der</strong><br />

Wohlstandsgesellschaft fühlen, auch wenn sie<br />

es nicht sind.‹<br />

Bei NAHlos, in dessen Namen sich Heimat,<br />

Fremde und Aufbruch so geschickt verbinden,<br />

holen sich junge Erwachsene, die in ihrer beruflichen<br />

Entwicklung gestrandet sind, unter <strong>der</strong><br />

Anleitung von drei Sozialpädagogen neue Orientierung<br />

und frisches Rüstzeug für einen neuen<br />

Anlauf. So wie Crissy, die im EDV-Bereich ar<strong>bei</strong>tet.<br />

Auch <strong>bei</strong> ihr ist nach dem Ende des Geldes<br />

meist noch über die Hälfte des Monats übrig.<br />

Bei einer Tasse Kakao im Einkaufstempel<br />

›Waterfront‹, <strong>der</strong> vom NAHlos-Projekt nur eine<br />

Fußgänger-Ampel entfernt liegt, erzählt Crissy,<br />

wie es dazu gekommen ist.<br />

›Das Geld war schon früher immer knapp,<br />

meine Mutter hat von Hartz IV gelebt, wir<br />

waren sechs Geschwister, einen Vater gab es<br />

nie.‹ Den Hauptschulabschluss macht sie an<br />

<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>schule. Mit 15 werden die familiären<br />

Probleme so massiv, dass sie in eine<br />

Jugend-Wohngemeinschaft kommt. Die weiterqualifizierenden<br />

Einrichtungen, die sie anschließend<br />

besucht, nennt sie ›Absteigen‹,<br />

Aufbewahrungsorte mit Beschäftigungstherapien.<br />

Ihren eigentlichen Berufswunsch nimmt<br />

niemand ernst. ›Mein Traumberuf ist Tierpflegerin,<br />

aber <strong>der</strong> Zuständige <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Bundes-<br />

agentur für Ar<strong>bei</strong>t hat gesagt, im praktischen<br />

Bereich würde ich alles schaffen, aber im<br />

schulischen nicht. Das hat mir immer zugesetzt.‹<br />

Erst <strong>bei</strong> NAHlos unterstützen die Pädagogen<br />

sie da<strong>bei</strong>, ihre Ziele zu erreichen.<br />

›Hier haben sie aber gesagt, ich soll weiterkämpfen.<br />

Deshalb habe ich jetzt auch eine<br />

Bewerbung für eine Ausbildung im Tierheim<br />

abgegeben. In <strong>der</strong> Bewerbung habe ich auch<br />

ein Praktikum angeboten, damit sie sich ein<br />

Bild machen können. Wenn das mit <strong>der</strong> Ausbildung<br />

nicht klappt, möchte ich den Realschulabschluss<br />

nachmachen.‹<br />

LORENZEN: Wie viel Geld haben Sie im Moment<br />

zum Leben?<br />

CRISSY: Von <strong>der</strong> BAgIS bekomme ich 205<br />

Euro, dazu kommen 184 Euro Kin<strong>der</strong>geld und<br />

80 Euro Aufwandsentschädigung von NAHlos.<br />

Die Miete wird von <strong>der</strong> BAgIS bezahlt, Strom<br />

muss ich selbst bezahlen.<br />

LORENZEN: Kommen Sie damit aus?<br />

CRISSY: Das Problem ist, dass ich noch nicht<br />

so mit Geld umgehen kann und meinen Freund<br />

im Augenblick unterstütze, da er drei Monate<br />

Sperre hatte. Das würde er auch für mich tun.<br />

Das Geld ist meist am Zehnten weg. Meistens<br />

pumpe ich mir dann etwas von einer Freundin,<br />

aber wenn ich ihr das <strong>zur</strong>ückbezahle, fehlt<br />

das ja auch wie<strong>der</strong>. Das ist ein Kreislauf.<br />

LORENZEN: Wie groß ist Ihre Wohnung?<br />

CRISSY: Das ist eine Einzimmerwohnung am<br />

Bahnhof, 21 Quadratmeter groß. Mein Freund<br />

ist auch meistens da, dazu die Haustiere.<br />

LORENZEN: Welche?<br />

CRISSY: Sechs Hausratten. Die sind total sauber<br />

und pflegeleicht, wirken nur wegen <strong>der</strong><br />

langen Schwänze für manche so eklig.<br />

LORENZEN: Wofür geben Sie Ihr Geld aus?<br />

CRISSY: Für Deko-Sachen wie Kerzenstän<strong>der</strong>,<br />

Bücher, Lebensmittel, DVDs. Ich habe jetzt<br />

auch einen Computer, aber kein Internet.<br />

Außerdem zahle ich noch über 1.000 Euro<br />

Schulden für einen Handy-Vertrag ab. Da<strong>bei</strong><br />

hilft mir meine Betreuerin vom Jugendamt.<br />

LORENZEN: Und wofür reicht es nicht?<br />

CRISSY: Ich vermisse das vernünftige Essen,<br />

da sieht es mau aus. Wir essen viele Süßigkeiten<br />

und Fast Food. Wir kochen wenig, ich<br />

habe ja nicht mal einen Backofen, um mal was

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