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Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...

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Willkommen im normalen Leben!<br />

Stolz ist Nadia auch selbst ein bisschen auf<br />

sich, vor allem weil sie jetzt in ihrem Traumberuf<br />

als Karosseriebauerin ausgebildet wird.<br />

›Man hat jeden Tag etwas Neues, das ist<br />

nicht eintönig. Nach vier Wochen Praktikum<br />

habe ich mit dem Chef über einen<br />

Ausbildungsplatz geredet. Erst war das<br />

Kind <strong>der</strong> Knackpunkt, wegen <strong>der</strong> Fehlzeiten<br />

<strong>bei</strong> Krankheiten und so weiter. Bei den<br />

meisten Ar<strong>bei</strong>tgebern fällt <strong>bei</strong>m Thema<br />

Kind die Klappe ganz zu. Aber hier hatte<br />

ich den Rückhalt <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter. Die sind<br />

<strong>der</strong> Reihe nach zum Chef gegangen und<br />

haben gesagt: Das Mädel muss hierbleiben,<br />

die lassen wir nicht mehr gehen.<br />

Da war er überstimmt. Ich hätte die ganze<br />

Halle zusammenschreien können vor<br />

Freude.‹<br />

Finanziert wird Nadia im Augenblick aus fünf<br />

verschiedenen Quellen: Ausbildungsgehalt,<br />

Ausbildungs<strong>bei</strong>hilfe, Kin<strong>der</strong>geld für den Sohn,<br />

Unterhaltsvorschuss und ein bisschen von <strong>der</strong><br />

BAgIS. Das macht insgesamt ungefähr 1.100<br />

Euro, <strong>der</strong> letzte Bescheid steht noch aus.<br />

Nach Abzug <strong>der</strong> festen Kosten bleiben für<br />

Lebensmittel und Kleidung 300 Euro übrig.<br />

›Wer weiß, was ein Kind kostet, weiß auch,<br />

dass das nicht viel ist. Ich gucke ständig<br />

nach Angeboten und kaufe auch <strong>bei</strong><br />

Klamotten nur das Günstigste vom Günstigsten.<br />

Das ist anstrengend. Es wird<br />

<strong>zur</strong> Gewohnheit, auf die teuren Sachen<br />

gar nicht zu achten. O<strong>der</strong> das Kind fragt:<br />

Mama, bekomme ich das Auto? Und<br />

ich muss Nein sagen. Das tut mir dann im<br />

Herzen weh. Was ich mir wirklich gern<br />

mal leisten würde, ist ein schönes<br />

Wochenende mit meinem Sohn an <strong>der</strong><br />

Nordsee, aber das ist finanziell überhaupt<br />

nicht möglich. Das letzte Mal ist es vier<br />

Jahre her, dass wir uns irgendwo einen<br />

schönen Tag gemacht haben. Sparen für<br />

den Führerschein ist auch nicht drin,<br />

so gern ich ihn machen würde und so<br />

sinnvoll er für meinen Beruf wäre.‹<br />

Noch mehr als über diese Einschränkungen,<br />

ärgert Nadia sich über die zusätzlichen<br />

Steine, die ihr die Ämter in den Weg rollen.<br />

Seit Anfang des Monats hat sie jede Woche<br />

einen neuen Brief von <strong>der</strong> BAgIS bekommen<br />

mit neuen Berechnungen. Zum Zeitpunkt des<br />

Gespräches, nach zwei Monaten in <strong>der</strong> Ausbildung,<br />

weiß sie immer noch nicht genau, was<br />

sie für sich und ihren Sohn bekommt. Der<br />

Grund dieses Wirrwarrs liegt nach Ansicht<br />

ihrer ehemaligen Spagat-Betreuerin Vanessa<br />

Jones in <strong>der</strong> unklaren Zuständigkeit <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

BAgIS, wo sich fünf bis sechs unterschiedliche<br />

Sachbear<strong>bei</strong>ter mit Nadia beschäftigen.<br />

›Mein Wunsch ist, dass eine Stelle zuständig<br />

wäre. Dieser Übergang vom Spagat-<br />

Projekt in die Ausbildung hinein ist<br />

unglaublich kompliziert. Ich kann mich da<br />

an einige Krisen erinnern, wo völlig unklar<br />

war, was alles noch beantragt werden<br />

muss. Es kamen falsche Bescheide mit<br />

falschen Berechnungen. Diese Unsicherheit<br />

macht es vielen schwer, sich darauf<br />

einzulassen. Wenn Nadia nicht <strong>bei</strong> uns im<br />

Projekt gewesen wäre, hätte sie vielleicht<br />

schon damals alles hingeschmissen.<br />

Die Bescheide sind für Jugendliche nicht<br />

nachvollziehbar, die müssten einfacher<br />

sein.‹<br />

Und dann ist da noch die Sache mit den<br />

Unterhaltsvorschüssen. Die bekommen die<br />

Auszubildenden, wenn die Eltern den nach<br />

dem Berufsausbildungs<strong>bei</strong>hilfegesetz (BAB)<br />

errechneten Unterhalt nicht bezahlen können.<br />

Aber erst nach einer Anhörung <strong>der</strong> Eltern,<br />

die sich über Monate hinziehen kann. In<br />

dieser Zeit wird das Geld nicht ausgezahlt, in<br />

Nadias Fall waren das über 150 Euro.<br />

›Da wird davon ausgegangen, dass sich<br />

die Jugendlichen das Geld schon irgendwo<br />

leihen können, aber das können gerade<br />

Benachteiligte eben nicht. Die müssen im<br />

schlimmsten Fall ihre Ausbildung abbrechen,<br />

weil sich die Verantwortlichen die<br />

Bälle zuspielen.‹

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