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Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...

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56 Willkommen im normalen Leben!<br />

Die neugeborenen<br />

Mütter<br />

Eine Alternative zwischen Abhängen und Billigjob<br />

sehen junge Frauen hin und wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Familiengründung. ›Das ist was Konkretes,<br />

damit ist man ja auch wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

drin‹, vollzieht Stefan Wörpel entsprechende<br />

Gedankengänge nach. Nicht <strong>bei</strong><br />

Crissy. ›Erst wenn ich meine Ziele erreicht<br />

habe, möchte ich auch ein Kind‹, sagt sie am<br />

Schluss des Gesprächs. Ein sehr vernünftiger<br />

Satz, <strong>der</strong> den Willen ausdrückt, sich das Heft<br />

des Handelns nicht mehr aus <strong>der</strong> Hand nehmen<br />

zu lassen. ›Ich möchte nicht von einem<br />

Kind aufgehalten werden.‹<br />

Es ist kein Wi<strong>der</strong>spruch zu Crissys Erkenntnissen,<br />

dass es Frauen gibt, die noch jünger<br />

als sie sind, bereits ein Kind haben und trotzdem<br />

so hoffnungsvoll in ihre berufliche<br />

Zukunft gucken wie nie zuvor in ihrem Leben.<br />

Und es ist auch kein Wi<strong>der</strong>spruch zu den Aussagen<br />

von Anne Bleyl über die Risiken alleinerziehen<strong>der</strong><br />

Mütter, dass diese jungen Frauen<br />

ihre Kin<strong>der</strong> im Moment ohne Partner aufziehen.<br />

Im Gegenteil, es ist ein Beweis dafür, wie<br />

Kin<strong>der</strong> und Ausbildung miteinan<strong>der</strong> vereinbart<br />

werden können, wenn ein paar einfache Bedingungen<br />

stimmen.<br />

Diese jungen Mütter haben sich ein Café in<br />

<strong>der</strong> Innenstadt als Treffpunkt für das Interview<br />

gewünscht. Sie haben ihre Lehrerin aus dem<br />

Projekt BeLeM (Berufliche Lebensplanung für<br />

junge Mütter) mitgebracht. Bei BeLeM können<br />

junge Mütter ihren erweiterten Hauptschulabschluss<br />

machen, während ihre Kin<strong>der</strong> nebenan<br />

in die Kita gehen.<br />

Für Klara ist heute ein beson<strong>der</strong>er Tag. Sie<br />

wird 18. Einer <strong>der</strong> ersten Geburtstage, den<br />

sie wirklich genießen kann. Sich vielleicht<br />

sogar ein paar Leckereien leisten. Das war<br />

früher nicht drin.<br />

LORENZEN: Und wie ging es Ihrer Familie finanziell?<br />

Hatten Sie alles, was Sie brauchten?<br />

KLARA: Nein. Meine Mutter hat in <strong>der</strong> Gastronomie<br />

gear<strong>bei</strong>tet, dann hat sie ihre eigene Kneipe<br />

aufgemacht und ist in Schulden und Insolvenz<br />

geraten. Da ging es uns nicht so berau-<br />

schend mit dem Geld. Ich habe nicht mehr so<br />

viel essen können und Klamotten habe ich<br />

kaum gekriegt.<br />

LORENZEN: Was heißt das, mussten Sie richtig<br />

hungern?<br />

KLARA: Mein Magen hat sich eben daran<br />

gewöhnt, nicht mehr so viel zu essen. Klar,<br />

Brot war da, aber irgendwann hatte ich auch<br />

keine Lust mehr, jeden Tag Brot zu essen.<br />

Dann ist mir <strong>der</strong> Hunger einfach vergangen.<br />

Das war so tageweise, manchmal gab es<br />

auch was Warmes. Wenn wir Einkaufen waren,<br />

hat mein Stiefvater die leckeren Sachen vor<br />

mir versteckt, dass ich die nicht essen kann.<br />

Dann ist mir alles vergangen, dann war ich<br />

einfach nur sauer und enttäuscht, dass meine<br />

Mutter sich nicht für mich eingesetzt hat.<br />

Und dann habe ich das auch gelassen.<br />

LORENZEN: Gab es denn so was wie regelmäßige<br />

Mahlzeiten?<br />

KLARA: In den letzten Jahren nicht. In meiner<br />

Kindheit hat meine Mutter darauf noch geachtet,<br />

aber seit mein Stiefvater da war, ist sie<br />

den Bach runtergegangen.<br />

LORENZEN: Konnten Sie sich denn sonst<br />

irgendetwas leisten, irgendwelche Freizeitvergnügen,<br />

mal ausgehen?<br />

KLARA: Nur Treffen mit Freunden.<br />

LORENZEN: Ging es denen ähnlich o<strong>der</strong> gab<br />

es auch Freunde, die mehr hatten als Sie?<br />

KLARA: Ja klar hatten einige mehr als ich,<br />

sogar oft. Aber das habe ich gar nicht so<br />

wahrgenommen.<br />

LORENZEN: Also haben Sie nicht beson<strong>der</strong>s<br />

darunter gelitten?<br />

KLARA: Ich fand es schon traurig, aber ich<br />

habe den Stand damals akzeptiert, ich habe<br />

das so angenommen und mich dran gewöhnt.<br />

Eine Zeit lang hatte ich aber auch eine leichte<br />

Depression, glaube ich.<br />

Die Geschichten vom Stiefvater, <strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>n<br />

nichts gönnt o<strong>der</strong> sogar gewalttätig wird,<br />

durchziehen diese Interviews genauso wie die<br />

von den Vätern, die sich absetzen und keinerlei<br />

Verantwortung übernehmen. Und wie die<br />

von den überfor<strong>der</strong>ten Müttern, die meist<br />

ebenfalls jung Kin<strong>der</strong> bekommen, früh heiraten,<br />

sich vom ersten Mann relativ schnell<br />

scheiden lassen, am zweiten zu lange kleben<br />

bleiben und in dem Bemühen, jedenfalls diese

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