Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...
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Ralf Lorenzen x Soziologe, freier Journalist<br />
5 Willkommen im normalen Leben!<br />
Auf den Spuren <strong>der</strong> Armut<br />
von Frauen in Bremen<br />
›Ich vermisse das ganz normale Leben‹,<br />
sagt eine <strong>der</strong> Frauen in den knapp 20<br />
Interviews, die für diesen <strong>Bericht</strong> über<br />
Frauenarmut in Bremen geführt wurden.<br />
Bei einer Begegnung auf <strong>der</strong> Straße<br />
würde niemand dieser Frau ansehen, dass<br />
sie ›arm‹ ist. Und in <strong>der</strong> Tat, wenn man<br />
Armut über das Existenzminimum definiert<br />
und nicht erst dort verortet, wo Menschen<br />
betteln o<strong>der</strong> in Mülltonnen nach<br />
verwertbaren Dingen suchen, dann ist<br />
Armut in vielen Bremer Ortsteilen mit<br />
einem hohen Anteil von Hartz-IV-Empfängern<br />
bereits das ganz normale Leben.<br />
Aber das ist eine Sache <strong>der</strong> Statistiker, in<br />
diesem Kapitel geht es um den persönlichen<br />
Umgang mit Bedürftigkeit. Um die ›innere<br />
Mauer‹, die arme Menschen vom normalen<br />
Leben trennt, die aber jede Frau an einer<br />
an<strong>der</strong>en Stelle wahrnimmt. Fast niemand in<br />
diesen Interviews hat sich selbst als arm<br />
bezeichnet. Es ist eine Binsenweisheit, sie<br />
muss aber <strong>bei</strong>m Thema Armut wie<strong>der</strong>holt werden:<br />
Armut hat unendlich viele Schattierungen,<br />
auch in objektiv gleichen Lebenslagen. Ein<br />
paar davon werden in diesem Kapitel gezeigt.<br />
Die Auswahl <strong>der</strong> Gesprächspartnerinnen<br />
verfolgte das Ziel, beson<strong>der</strong>s drei Lebenslagen<br />
in den Blick zu bekommen: junge Frauen<br />
vor dem Start ins Berufsleben, alleinerziehende<br />
Mütter und ältere Frauen, die aus dem<br />
Ar<strong>bei</strong>tsprozess herausgefallen sind. Der<br />
Zugang erfolgte meist über Mitar<strong>bei</strong>terinnen in<br />
Beratungs-, Betreuungs- und Qualifizierungsprojekten<br />
für diese Frauen. Das hat den Vorteil,<br />
dass sie gezielt Frauen ansprechen konnten,<br />
von denen sie annahmen, dass sie zu<br />
einem ausführlichen Interview bereit wären.<br />
Denn es gibt kaum ein Thema, über das Menschen<br />
weniger gern sprechen, als über ihre<br />
eigene Armut.<br />
Bei dieser Vorauswahl besteht die Gefahr,<br />
dass ein geschöntes Bild <strong>der</strong> Wirklichkeit entsteht.<br />
Denn wer sich Hilfe holt und aktiv da<strong>bei</strong><br />
ist, über seine Lebenssituation zu berichten,<br />
dem geht es meist schon besser als <strong>der</strong><br />
Mehrzahl <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, die in ihrer <strong>Lage</strong> verharren.<br />
Es ist aber nicht das Ziel dieses<br />
<strong>Bericht</strong>es, beson<strong>der</strong>s skandalöse Zustände<br />
aufzuzeigen, son<strong>der</strong>n den betroffenen Frauen<br />
auf den folgenden Seiten eine Stimme zu<br />
geben. Dazu gehören auch die Beraterinnen in<br />
den besuchten Projekten, die aufgrund ihrer<br />
Erfahrungen die persönlichen Blickwinkel <strong>der</strong><br />
Frauen noch erweitern.<br />
Entstanden ist eine kleine Bremen-Reise<br />
aus dem äußersten Westen bis zum äußersten<br />
Osten von Bremen, mit kleinen Pausen in<br />
einem Café im Stadtzentrum. Der Ausgangspunkt<br />
liegt allerdings dort, wo sich bedürftige<br />
Menschen in großer Zahl versammeln: <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Bremer Tafel.<br />
Der tägliche Treck<br />
ans Ende <strong>der</strong> Stadt<br />
Zu Besuch <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Bremer Tafel<br />
Lang zieht sich <strong>der</strong> Schwarze Weg Richtung<br />
Norden. Wenige Autos fahren hier<br />
am frühen Nachmittag, Busse schon gar<br />
nicht. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
von hier in die Innenstadt will, muss<br />
zum Straßenbahndepot in <strong>der</strong> Gröpelinger<br />
Heerstraße.<br />
Es sind an<strong>der</strong>e Verkehrsmittel, die den<br />
Schwarzen Weg ab 14 Uhr bevölkern: Fahrrä<strong>der</strong><br />
mit Anhängern, kleine Bollerwagen und<br />
vor allem Einkaufsroller – liebevoll Hackenporsche<br />
genannt. Kurz bevor die Stadt endet,<br />
biegt die Karawane nach links ab auf eine<br />
Stichstraße. An einer unscheinbaren Kellertür<br />
kommt <strong>der</strong> Treck zum Stillstand, darauf ein<br />
Schild: Bremer Tafel.<br />
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