Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...
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Armut und Alleinerziehen<br />
Den gelernten Beruf aufgrund <strong>der</strong> mit Familienar<strong>bei</strong>t<br />
nicht zu vereinbarenden Ar<strong>bei</strong>tszeiten<br />
nicht ausführen zu können, ist ein weiterer<br />
häufiger Grund für Erwerbslosigkeit <strong>bei</strong> Alleinerziehenden.<br />
Für das Lebensgefühl erwerbsloser Frauen<br />
spielen aber auch <strong>der</strong> Inhalt und <strong>der</strong> Ton<br />
<strong>der</strong> öffentlichen Debatten eine große Rolle:<br />
›Anerkennungsverlust und Missachtung dieser<br />
Personengruppe gehören (...) nicht nur <strong>zur</strong><br />
Erfahrung <strong>der</strong> Betroffenen, son<strong>der</strong>n auch und<br />
gerade zu den Routinen des Diskurses. In<br />
Politik, Medien und im Alltag stehen Ar<strong>bei</strong>tslose<br />
im Verdacht, nicht ar<strong>bei</strong>ten zu wollen<br />
o<strong>der</strong> zu können.‹ 9<br />
In vielen öffentlichen Armutsdebatten werden<br />
diejenigen, die (noch) Ar<strong>bei</strong>t haben, gegen<br />
jene ausgespielt, die erwerbslos sind. Kürzlich<br />
konnte dies beson<strong>der</strong>s deutlich an den Diskussionen<br />
<strong>zur</strong> Neuregelung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosengeld-<br />
II-Regelsätze (Hartz IV) beobachtet werden.<br />
Eltern wurden und werden in dieser Debatte<br />
häufig dem Generalverdacht ausgesetzt, das<br />
Geld, das sie für ihre Kin<strong>der</strong> erhalten, für Alkohol<br />
und Zigaretten auszugeben. Dazu werden<br />
in den Medien Extremfälle als typische Beispiele<br />
dargestellt. Derartige Stigmatisierungen<br />
verhin<strong>der</strong>n gesellschaftliche Solidarität. Gleichzeitig<br />
wird die Selbstachtung <strong>der</strong> Betroffenen<br />
untergraben. In einem solchen gesellschaftlichen<br />
Klima ist es kaum möglich, erwerbslos<br />
und selbstbewusst zu sein. Die Stigmatisierung<br />
<strong>der</strong> Erwerbslosen basiert darauf, dass<br />
ihnen ›Misserfolge als Versagen zugerechnet<br />
werden und selbst <strong>der</strong> kompetente Umgang<br />
mit <strong>der</strong> Situation unter Missbrauchsverdacht<br />
gerät‹ 10 .<br />
9 Uske 2000: 169.<br />
10 Uske 2000: 188.<br />
11 In Deutschland gibt es insgesamt 1.311.753 Menschen, die<br />
neben ihrer Erwerbstätigkeit aufstockende Leistungen nach dem<br />
SGB II beziehen. Davon machen Frauen mit 56,2 Prozent mehr<br />
als die Hälfte aus. In Bremen beziehen 17.380 Menschen<br />
zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit Hartz IV, davon sind 55,2<br />
Prozent Frauen (Statistik <strong>der</strong> Bundesagentur für Ar<strong>bei</strong>t: Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />
in Zahlen: Erwerbstätige Ar<strong>bei</strong>tslosengeld-II-Bezieher:<br />
Mai 2010).<br />
Working Poor<br />
Jene Alleinerziehende, die im vorhergehenden<br />
Abschnitt die Belastung durch Erwerbslosigkeit<br />
formuliert, findet schließlich Ar<strong>bei</strong>t unterhalb<br />
ihrer Qualifikation in einer Wäscherei.<br />
Heute ist sie Geringverdienerin und somit eine<br />
<strong>der</strong> sogenannten ›working poor‹. Sie hat zwei<br />
Töchter und ihre größte Sorge ist, ihre Kin<strong>der</strong><br />
nicht ausreichend <strong>bei</strong> <strong>der</strong>en Ausbildungen<br />
unterstützen zu können. Ihre größere Tochter<br />
strebt eine Ausbildung an, <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Schulgeld<br />
gezahlt werden muss.<br />
›Auch wenn wir BAföG kriegen würden, es<br />
reicht nicht. Da habe ich wirklich Angst.<br />
Da ist wirklich meine Angstgrenze, die<br />
sich dann extrem bis <strong>zur</strong> Panik steigert.<br />
Obwohl ich eigentlich weiß, ich kann mit<br />
wenig Geld auskommen, aber das kann<br />
ich nicht selber machen. Ich kann selber<br />
nähen, ich kann selber Handwerksar<strong>bei</strong>ten<br />
machen und ich kann auch wenig essen<br />
und es einteilen auf irgendeine Art und<br />
Weise. Aber wo es einfach fehlt, fehlt es,<br />
da kann man nicht mehr jonglieren.‹<br />
Deutlich zeigt diese Schil<strong>der</strong>ung das große<br />
Engagement dieser Mutter, die Zurücknahme<br />
eigener Bedürfnisse bis hin <strong>zur</strong> eingeschränkten<br />
Nahrungsaufnahme und die Bedrohung,<br />
die in <strong>der</strong> Befürchtung liegt, ihren Kin<strong>der</strong>n<br />
nicht die gewünschte Ausbildung finanzieren<br />
zu können. Erwerbslose Alleinerziehende, wie<br />
auch alleinerziehende ›Aufstockerinnen‹ 11<br />
fühlen sich häufig doppelt stigmatisiert, als<br />
Alleinerziehende und als ›Hartz-IV-Empfängerinnen‹.<br />
Diese Stigmatisierungen können zu<br />
Rechtfertigungsdruck gegenüber <strong>der</strong> <strong>sozialen</strong><br />
Umgebung und zu einem schlechten Gewissen<br />
gegenüber den Kin<strong>der</strong>n führen.