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Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...

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Beziehung zu retten, das Wohl des Kindes völlig<br />

aus dem Blick verlieren. Diese Geschichte<br />

erzählt die 60-jährige Frau wie das 17-jährige<br />

Mädchen – die Risiken für Kin<strong>der</strong> in prekären,<br />

benachteiligten Verhältnissen scheinen sich in<br />

den letzten 50 Jahren nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t<br />

zu haben. In den allermeisten Fällen wie<strong>der</strong>holt<br />

sich diese Geschichte immer noch in<br />

Abstufungen in <strong>der</strong> nächsten Generation. Relativ<br />

neu dürfte sein, dass ausgerechnet eine<br />

Schwangerschaft mit fünfzehn die Chance für<br />

einen Ausstieg aus diesem Teufelskreis bietet.<br />

Als Klara von ihrem Jugendfreund ungewollt<br />

schwanger wird, versucht sie in <strong>der</strong> ersten<br />

Zeit, den kleinen Sohn mithilfe <strong>der</strong> Mutter aufzuziehen.<br />

Das achte Schuljahr beendet sie<br />

noch mit dem Hauptschulabschluss, verlässt<br />

dann aber die Schule.<br />

LORENZEN: Wie habt Ihr das denn zu Hause<br />

hingekriegt?<br />

KLARA: Die erste Zeit war ich ziemlich kaputt<br />

wegen des Aufstehens und Flasche geben. Die<br />

Freizeit hat mir gefehlt. Mit diesen Einschränkungen<br />

und Herausfor<strong>der</strong>ungen bin ich erst<br />

gar nicht so klargekommen, da hat mir meine<br />

Mutter auch geholfen. Irgendwann meinte sie<br />

dann, es geht nicht, dass sie immer aufstehen<br />

muss und sich um den Kleinen kümmern soll.<br />

Aber ich war einfach fertig und hatte Augenrän<strong>der</strong><br />

bis zu meinem Mund runter. Mit meinem<br />

Stiefvater lief das immer schlechter. Er<br />

hat mich immer angeschrien und unter Druck<br />

gesetzt. Irgendwann habe ich gesagt, ich<br />

muss einen Schlussstrich ziehen und erwachsen<br />

werden.<br />

LORENZEN: Wie haben Sie denn einen Schlussstrich<br />

gezogen? Wo sind Sie hingegangen?<br />

KLARA: Als ich von zu Hause ausgezogen bin,<br />

habe ich meinen Sohn ja schon ein halbes<br />

Jahr gehabt. Ich habe zum Jugendamt gesagt,<br />

ich brauche eine Übergangspflegestelle, ich<br />

kann das so nicht weitermachen. Dann bin ich<br />

alleine in eine Wohngemeinschaft ins Steintor<br />

gegangen. Meinen Sohn habe ich natürlich<br />

wöchentlich in <strong>der</strong> Pflegefamilie besucht.<br />

Aber erst mal habe ich meine Freiheit wie<strong>der</strong><br />

genossen. Nach einem halben Jahr bin ich<br />

dann in ein Mutter-Kind-Heim eingezogen und<br />

habe meinen Sohn wie<strong>der</strong> genommen. Ohne<br />

Probleme, ich hatte ihn ja freiwillig abgege-<br />

ben. In dem Heim habe ich mich nach ein,<br />

zwei Monaten gefestigt gefühlt und mir ist<br />

ziemlich schnell klar geworden, wie es weitergehen<br />

soll. Ich muss für mich etwas tun, ich<br />

muss für meinen Sohn später ein Vorbild sein<br />

und für mich mehr erreichen, als nur Mutter<br />

zu sein und zu Hause zu hängen. Das ist nicht<br />

meine Lebensaufgabe, und dann habe ich für<br />

mich einfach beschlossen, dass ich die Schule<br />

weitermachen will. Ich hatte oft mal etwas von<br />

BeLeM gehört. Tolles Projekt dachte ich, da<br />

möchte ich mich auch gerne mal bewerben.<br />

Und dann habe ich das gemacht und wurde<br />

aufgenommen.<br />

Mit dem Vater des Kindes ist Klara schon länger<br />

nicht mehr zusammen. Finanziell sieht ihre<br />

<strong>Lage</strong> im Augenblick so aus: 520 Euro von <strong>der</strong><br />

Jugendhilfe plus Kin<strong>der</strong>geld für sie und den<br />

Sohn. Macht insgesamt rund 800 Euro. Davon<br />

gehen Strom, Kin<strong>der</strong>gruppen<strong>bei</strong>trag und Windelgeld<br />

ab. Für Essen, Kosmetik, Duschgel,<br />

Waschmittel und an<strong>der</strong>en Kleinkram gibt sie<br />

insgesamt 400 Euro aus. Meistens schafft sie<br />

es, das ganze Kin<strong>der</strong>geld <strong>zur</strong>ückzulegen: für<br />

Reparaturen o<strong>der</strong> auch mal einen Besuch <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Schwester.<br />

LORENZEN: Gibt es auch etwas, das Sie vermissen?<br />

KLARA: Ich würde mir natürlich gern jeden<br />

Monat Klamotten kaufen, wie an<strong>der</strong>e meiner<br />

Freundinnen. Ich habe auch viele Löcher in<br />

meinen Klamotten, ich kaufe mir meistens gar<br />

keine Klamotten. Für mich kaufe ich mir nur<br />

meine Cremes und Wimperntusche, vielleicht<br />

mal ein gutes Shampoo.<br />

LORENZEN: Sie selbst hatten als Kind ja nicht<br />

viel zu essen. Achten Sie <strong>bei</strong> Ihrem Sohn<br />

darauf?<br />

KLARA: Auf jeden Fall, ich fühle mich gar nicht<br />

wohl, wenn nichts zu essen da ist. Ich möchte<br />

auch meinen Gästen was anbieten können,<br />

es muss immer etwas da sein.<br />

LORENZEN: Wie würden Sie Ihr augenblickliches<br />

Lebensgefühl beschreiben?<br />

KLARA: Ich habe ein Gefühl von ›Vermissen‹ in<br />

mir drin. Mein früheres Leben war nicht so<br />

strukturiert, ich hatte mehr Freiheiten, konnte<br />

mehr unternehmen. Ich bin viel mehr auf mich<br />

alleine gestellt, manchmal sehne ich mich<br />

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