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Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...

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52 Willkommen im normalen Leben!<br />

Während sich draußen Männer und Frauen jeglichen<br />

Alters im Wartebereich sammeln, <strong>der</strong><br />

aus zwei gegenüberstehenden Gartenbänken<br />

besteht, herrscht in den engen Kellerräumen<br />

emsiges Treiben. Aus den Vorratskammern<br />

und <strong>Lage</strong>rräumen schleppen die Helfer die<br />

Lebensmittel in den Ladenraum. Alle Sorten<br />

von Lebensmitteln werden hier ansprechend<br />

für die Abgabe an die Bedürftigen ausgestellt:<br />

von Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln,<br />

Nudeln und Brot über Gemüse, Milch und<br />

Joghurt bis zu Fleisch, Fertiggerichten und ein<br />

paar Genussmitteln wie Kaffee und Schokolade.<br />

Auch ein paar Schnittblumen sind heute<br />

im Angebot.<br />

›Das Angebot unterscheidet sich täglich, je<br />

nachdem, was da ist‹, erzählt die Leiterin <strong>der</strong><br />

Gröpelinger Tafel, Hannelore Vogel, an ihrem<br />

Schreibtisch. ›Die Kunden können vorher durchgehen,<br />

sich das Angebot angucken.‹ Aussuchen<br />

dürfen sie allerdings nicht, die Mitar<strong>bei</strong>ter<br />

an <strong>der</strong> Ausgabe entscheiden je nach Angebot,<br />

was im Bollerwagen landet. Ausnahmen gibt es<br />

nur <strong>bei</strong> Menschen, die aufgrund von Diäten<br />

o<strong>der</strong> religiösen Einschränkungen nicht alles<br />

essen dürfen, Schweinefleisch zum Beispiel.<br />

Eine Vollversorgung gibt es hier für niemanden,<br />

lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt.<br />

›Wir haben Glück, dass es in Bremen so<br />

viel Nahrungsmittelindustrie gibt‹, sagt Hannelore<br />

Vogel und zählt einige Großspen<strong>der</strong> auf,<br />

die eine zuverlässige Versorgungslage garantieren.<br />

Dennoch gibt es saisonale Engpässe,<br />

denen mit einer perfektionierten Vorratswirtschaft<br />

begegnet wird.<br />

Seit ihren Anfängen vor 15 Jahren sind die<br />

<strong>bei</strong>den Bremer Tafeln zu einem mittelständischen<br />

Betrieb gewachsen. ›Hier in Gröpelingen<br />

haben wir 22 Ein-Euro-Jobber und 15 Ehrenamtliche.<br />

In Hemelingen gibt es insgesamt fast<br />

75 Mitar<strong>bei</strong>ter, meist Ehrenamtliche.‹ Fahrteams,<br />

zwei Kühltransporter, dreimal die<br />

Woche Großmarkt, Aufbau ab sieben, Ausgabe<br />

ab drei, Feierabend um sechs. Frau Vogel<br />

erzählt die betriebswirtschaftlichen Kernzahlen<br />

so, dass ihre Vergangenheit als Betriebswirtin<br />

für Außenhandel unüberhörbar ist. Vor zehn<br />

Jahren hat sie eine Freundin hierhin begleitet,<br />

die die Lebensmittel nicht mehr allein tragen<br />

konnte. ›Da suchten sie Leute zum Fahren.<br />

Heute ist das ein Fulltime-Job für mich.‹<br />

Wer muss sich hier eigentlich<br />

schämen?<br />

Draußen sammeln sich immer mehr Kunden.<br />

Hartz-IV-Empfänger, Asylbewerber, Menschen<br />

mit niedrigem Ar<strong>bei</strong>tslosengeld, Studenten –<br />

das ist <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Berechtigten. Genauso<br />

viele Männer wie Frauen, auch Ehepaare, <strong>bei</strong>leibe<br />

nicht nur ältere. Je<strong>der</strong> Berechtigte hat<br />

einen festen Wochentag auf seiner Karte vermerkt.<br />

Man kennt sich also. Den Klönschnack<br />

gibt es hier für den einen Euro, den je<strong>der</strong><br />

bezahlen muss, wenn er seine Ausgabe-Nummer<br />

erhält, inklusive. Die Reihenfolge wechselt<br />

jedes Mal, so dass keiner benachteiligt wird.<br />

Ganz zum Schluss sind die Neuen dran. Die<br />

müssen viermal hintereinan<strong>der</strong>kommen, bevor<br />

sie in die Liste aufgenommen werden und<br />

Lebensmittel für die ganze Familie mitnehmen<br />

können.<br />

›Ich habe heute Nummer 18‹, freut sich<br />

Mittwochskundin Anita K. in <strong>der</strong> Gröpelinger<br />

Nachmittagssonne. Ihr Mann, genauso ar<strong>bei</strong>tslos<br />

wie sie, passt zu Hause auf die vier Kin<strong>der</strong><br />

auf. Für die 35-Jährige ist <strong>der</strong> Tafelbesuch<br />

etwas wie eine willkommene Abwechslung<br />

geworden. ›Das ist hier fast schon wie eine<br />

verschworene Gemeinschaft.‹ Das war nicht<br />

immer so. In den ersten Jahren, nachdem ihr<br />

Mann ar<strong>bei</strong>tslos geworden war und sie mit<br />

dem Geld überhaupt nicht mehr hinkamen,<br />

scheute sie sich, <strong>zur</strong> Tafel zu gehen. ›Ich<br />

wusste, dass es das gab und wir hätten das<br />

dringend gebraucht, aber die Scham war<br />

größer.‹ Irgendwann wurde die heimische Versorgungslage<br />

dann so katastrophal, dass<br />

sie sich einen Ruck gab. ›Aber ohne meine<br />

Freundin, die mich begleitet hat, hätte ich das<br />

nie geschafft.‹ Inzwischen trifft sie im Alltag<br />

viele Menschen wie<strong>der</strong>, von denen sie nie<br />

gedacht hätte, dass sie auf die Tafel angewiesen<br />

sind. Und schämen tut sie sich nur noch<br />

für an<strong>der</strong>e: ›Fünf Euro mehr Hartz IV? Ich<br />

würde mich als Politiker ja schämen, so was<br />

überhaupt auszusprechen.‹<br />

Über die Jahre hat auch Hannelore Vogel<br />

einen Wandel im Kreis <strong>der</strong> Bedürftigen festgestellt.<br />

›Nach den Hartz-IV-Reformen ist <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> Jüngeren stark angestiegen.‹ Insgesamt<br />

beobachtet sie ein Absinken <strong>der</strong> Hemmschwelle,<br />

da immer mehr Leute sich hier in

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