Bericht zur sozialen Lage 2011 - bei der Arbeitnehmerkammer ...
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Armut und Alleinerziehen<br />
Zur Gruppe <strong>der</strong> Alleinerziehenden<br />
›DIE‹ Alleinerziehenden gibt es nicht. Diese<br />
Gruppe ist sehr heterogen, unter an<strong>der</strong>em in<br />
Bezug auf das Alter <strong>der</strong> Alleinerziehenden, die<br />
Anzahl und das Alter <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die Schulbildung,<br />
die Ausbildung und die Berufstätigkeit.<br />
›Von den 8,4 Millionen Familien mit Kin<strong>der</strong>n<br />
unter 18 Jahren in Deutschland sind 1,6 Millionen<br />
alleinerziehend. Das entspricht je<strong>der</strong> fünften<br />
Familie.‹ 6 Im Land Bremen machen Alleinerziehendenhaushalte<br />
mit 34 Prozent (27.500)<br />
mehr als ein Drittel aller 80.300 Familien mit<br />
Kin<strong>der</strong>n aus. 7 Ungefähr 90 Prozent <strong>der</strong> Alleinerziehenden<br />
sind Frauen, circa zehn Prozent<br />
Männer. Diese Zahlen sprechen für sich, was<br />
das Beharrungsvermögen traditioneller<br />
Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft<br />
angeht. Es macht einen Unterschied, ob eine<br />
Mutter o<strong>der</strong> ein Vater alleine erzieht: Alleinerziehende<br />
Väter leben im Durchschnitt mit<br />
älteren Kin<strong>der</strong>n zusammen und sind weniger<br />
häufig auf den Bezug von Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II<br />
angewiesen. Die Dauer des Alleinerziehens<br />
und die Entstehungsgeschichte machen große<br />
Unterschiede für das individuelle Erleben.<br />
Alleinerziehende in Ostdeutschland haben tendenziell<br />
positivere Einstellungen <strong>zur</strong> Ganztagsbetreuung<br />
von Kin<strong>der</strong>n und damit eng zusammenhängend,<br />
positivere Einstellungen <strong>zur</strong><br />
Müttererwerbstätigkeit. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />
für die Phase, wenn die Kin<strong>der</strong> zwischen<br />
einem Jahr und drei Jahre alt sind.<br />
Die Gemeinsamkeit aller Alleinerziehenden<br />
besteht darin, allein verantwortlich für die<br />
Betreuung und Versorgung von Kin<strong>der</strong>n und<br />
die materielle Absicherung <strong>der</strong> Familie zu<br />
sein: durch Erwerbstätigkeit, durch die Beantragung<br />
von staatlicher Unterstützung o<strong>der</strong>,<br />
wie <strong>bei</strong> den sogenannten ›Aufstockerinnen‹,<br />
durch <strong>bei</strong>des, weil das Gehalt trotz Kin<strong>der</strong>geld<br />
und Unterhalt unter den Ar<strong>bei</strong>tslosengeld-II-<br />
Regelsätzen liegt.<br />
Was ist Armut?<br />
Für eine menschenwürdige Existenz müssen<br />
Nahrung, Kleidung und Unterkunft sowie die<br />
Teilhabe am <strong>sozialen</strong> und kulturellen Leben<br />
gesichert sein. Ist dies nicht <strong>der</strong> Fall, so ist<br />
Armut gegeben. Vielen Alleinerziehenden fehlt<br />
es am Nötigsten.<br />
Ein erwerbsloser alleinerziehen<strong>der</strong><br />
Vater berichtet:<br />
›Ich komme überhaupt nicht hin. Ich laviere<br />
mich wirklich durch bis zum Gehtnichtmehr,<br />
verschiebe oft Schulden von einer<br />
Ecke in die an<strong>der</strong>e. (...) Und ich nutze<br />
unter an<strong>der</strong>em (...) auch die Bremer Tafel.<br />
Sonst würde ich gar nicht klarkommen.‹<br />
Dazu gezwungen zu sein, eine ›Tafel‹ in<br />
Anspruch zu nehmen bedeutet, auf Almosen<br />
angewiesen zu sein. Das löst Schamgefühle<br />
aus und beschädigt das Selbstbewusstsein.<br />
Der hier zitierte Vater ist einer von etwa einer<br />
Million in diesem Land, die sich mithilfe <strong>der</strong><br />
Tafeln ernähren, darunter ungefähr ein Viertel<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche. Durch die <strong>der</strong>zeit 833<br />
Tafeln in Deutschland wird einerseits bedürftigen<br />
Menschen geholfen, an<strong>der</strong>erseits wird<br />
Armut in <strong>der</strong> Wahrnehmung ›normalisiert‹.<br />
›Die Pointe liegt darin, dass überflüssige<br />
Lebensmittel an Menschen weitergereicht<br />
werden, die scheinbar auch überflüssig<br />
sind, weil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmarkt keine Verwendung<br />
für sie hat: Die Überflüssigen essen<br />
das Überflüssige.‹ 8<br />
6 Familienreport 2010: 70.<br />
7 Vgl. Statistisches Landesamt Bremen, Jahrbuch 2009: 28.<br />
Bei diesen Daten zählen zu den Alleinerziehenden auch Väter<br />
und Mütter mit volljährigen Kin<strong>der</strong>n.<br />
8 Selke; in: Laudenbach 2009: 2.