Denk- und Handlungsansätze in der Heilpädagogik - BSCW

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Masterarbeit - Rechtschreibung Studienjahr 2011/12 aber bis heute die Tatsache, dass sich deren Prinzipien und Gesetzmässigkeiten widerspre- chen. Der Rechtschreibunterricht hat sich während der letzten Jahrzehnte in allen Bereichen sehr verändert, und dies auch im Zusammenhang mit dem Erwerb der Rechtschreibkompetenz. Ein zentraler Bestandteil des Rechtschreibunterrichts war früher das wöchentlich zu schrei- bende Diktat. Heute ist diese Lernform umstritten und in einigen Kantonen (z.B. Kanton St.Gallen) sogar verboten. Denn viele Kinder geraten beim Diktatschreiben in grossen Stress und ihre Prüfungsängste führen zu vielen Fehlern. Diktate messen also auch die Stressresis- tenz und nicht nur die alleinige Rechtschreibkompetenz. Zudem gehörte zum früheren Schulalltag das Abschreiben von der Wandtafel ins Schulheft. Es ist anzunehmen, dass die Lernenden im Laufe der Jahre immer mehr Wörter auf diesem Weg auswendig schreiben lernten. Heute erhalten die Schüler und Schülerinnen in der Regel bereits gedruckte, gut gestaltete Arbeitsunterlagen, welche sie primär lesen und allenfalls kurze Einträge in die Lek- türe schreiben sollen. Für den heutigen weiterführenden Rechtschreibunterricht, liegen wenige Materialien vor, was man hingegen zum frühen Schriftspracherwerb und zur Erarbeitung der alphabethischen Strategie nicht behaupten kann (vgl. Leemann Ambroz, 2006, S. 133). Frau Leemann Ambroz (2006) hat sich intensiv auseinandergesetzt, wie ein kontinuierlicher Aufbau der Rechtschreibung in der Schule umgesetzt werden kann. Sie schlägt folgendes Rahmenkon- zept für die Schule vor: Vorbereitung im Kindergarten -Sprache erleben und variantenreich benutzen -Sensibilisierung auf die Existenz der Laute (phonologische Bewusstheit) 1. bis 3. Klasse - Erarbeiten der alphabethischen Strategie (phonologische Bewusstheit, explizites Wissen) - Sensibilisierung auf die Existenz orthografischer Besonderheiten (orthografische Bewusstheit, implizites Wissen) - Arbeit am Grundwortschatz 4. bis 6. Klasse - Erarbeiten der orthografischen Strategie (orthografische Bewusstheit, explizites Wissen): Schwerpunkt in der Morphologie, erste Themen der Syntax - Arbeit am Grundwortschatz 7. bis 9. Klasse - Ausfeilen der orthografischen Strategie (orthografische Bewusstheit, explizites Wissen): Morphologie, Schwerpunkt im Bereich der Syntax - Weiterarbeit am Grundwortschatz Abbildung 1: Rahmenkonzept für die Schule (Leemann Ambroz , 2006, S. 139) HfH – Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 15
Masterarbeit - Rechtschreibung Studienjahr 2011/12 Weil dieses Rahmenkonzept auf dem theoretischen Modell von Gallmann und Sitta (1996) und dem Entwicklungskonzept von Günther (1986) aufbaut, wird dieses nun detailliert be- schrieben. Entwicklungskonzept nach Günther (1986) Das Entwicklungskonzept von Günther (1986) teilt die Entwicklung des Schriftspracherwerbs in fünf Phasen auf; die präliteral-symbolische Stufe, die logographemische Stufe, die alpha- betische Stufe, die orthografische Stufe und die integrativ-automatische Stufe. Die fünf Ent- wicklungsstufen oder Phasen sind gekennzeichnet durch die Anwendung unterschiedlicher Arbeitsstrategien, wobei der Übergang von einer Stufe zur nächsten fliessend ist. Auf jeder Entwicklungsstufe werden neue Strategien erlernt, die den Erwerbsprozess auf ein höheres Niveau führen, mit Ausnahme der letzten Stufe. Häufige Überlappungen und Verschiebun- gen sind zu beobachten, da frühere Strategien weiterhin verwendet werden. Auf jeder Stufe stellt die ihr zugeordnete Strategie die dominante Vorgehensweise dar. Genaue Altersanga- ben zu machen ist nicht sinnvoll, da die Streuung sehr gross ist. Die Entwicklung setzt in der Regel bei den meisten Kindern im Alter von etwa zwei Jahren ein, bei wenigen deutlich frü- her bzw. deutlich später. Der wesentliche Teil des Aneignungsprozesses vollzieht sich jedoch in der Regel während der obligatorischen Schulzeit. 1. Präliteral-symbolische Stufe Ungefähr im Alter von etwa zwei Jahren beginnen Kinder Bilderbücher zu betrachten. Dieses Tun verlangt vom Kleinkind ein höheres Mass an Abstraktionsfähigkeit. Die Darstellung re- duziert die dreidimensionale kindliche Erlebniswelt auf die zweidimensionale Bildfläche. „Zu- dem bleibt das Bild durch seine gegenstandsgebundene Abbildfunktion jedoch anschaulich und damit präliteral“ (Günther, 1986, S. 34). Sobald das Kind einen Gegenstand auf dem Bild erkennt, „erliest“ es ihn quasi. Dieser Akt lässt sich als präliterale Leistung beschreiben. Da- mit der Übergang zur eigentlichen Schriftsprachleistung vollzogen werden kann, ist ein quali- tativer Sprung notwendig: Das Kind muss schriftsprachliches Material als spezifisch struktu- riert erkennen und von anderen graphischen Formen unterscheiden lernen. In dieser Über- gangsphase entstehen manchmal Nachahmungen des Schreibens. Solche „Kritzeleien“ fas- sen die Kinder als Schrift auf. 2. Logographemische Stufe Das Kind realisiert allmählich, dass die Buchstaben etwas mit Sprache zu tun haben, dass sie die gesprochene Sprache abbilden. In der Regel beginnen sie mit der Wiedergabe des eigenen Namens oder der Namen von geliebten Personen und für sie wichtige Objekte. Da- bei kommt dem Schreiben des eigenen Namens eine besondere Bedeutung zu. Sehr häufig HfH – Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik 16
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