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Shintô und die Konzeption des japanischen Nationalwesens

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KAPITEL IV<br />

Mit der durch den <strong>japanischen</strong> Expansionismus erreichten Universalisierung<br />

<strong>des</strong> kokutai-Konzeptes hatte sich eine Entwicklung<br />

erfüllt, <strong>die</strong> bereits im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert von der kokugaku geistig<br />

vorbereitet worden war. Deren führender Gelehrter, Motoori Norinaga,<br />

hatte bereits im Jahre 1771 verkündet:<br />

„Japan ist das Geburtsland der hehren Ahngöttin Amaterasu ômikami.<br />

Hieraus geht besonders klar hervor, weshalb Japan vor allen anderen Ländern<br />

so ausgezeichnet ist. Gibt es doch kein Land, das nicht <strong>die</strong> Macht<br />

<strong>die</strong>ser hehren Göttin erfährt“. 13<br />

Aus den Verfassungsdiskussionen der zwanziger <strong>und</strong> dreißiger<br />

Jahre ging das kokutai-Konzept somit gestärkt <strong>und</strong> siegreich hervor,<br />

um schließlich im totalitären Japan-Zentrismus der Kriegszeit<br />

seinen Höhepunkt <strong>und</strong>, als dezi<strong>die</strong>rte Reichsidee, schließlich sein<br />

Ende zu finden.<br />

Der Kern <strong>des</strong> kokutai als Begriff für japanische Identität im Sinne<br />

einer als sakral verstandenen Natur <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> war trotz aller<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Erweiterung stets unberührt geblieben: Er bestand<br />

in der Idee von der Göttlichkeit der kaiserlichen Linie. Wenden<br />

wir uns <strong>des</strong>halb noch einmal <strong>die</strong>sem ideellen Kern zu.<br />

Mußten nach der Meiji-Restauration von 1868 noch vereinzelt<br />

Regierungsbeauftragte dem Volk von der puren Existenz eines<br />

Tennô berichten 14 – offensichtlich wußten große Teile der Bevölkerung<br />

überhaupt nichts davon – so hatte sich nur wenige Jahre<br />

später das mythisch f<strong>und</strong>ierte Weltbild mit dem heiligen Kaiser als<br />

mystischem Urgr<strong>und</strong> der Nation – einem ‘sakralen Herrscher’ im<br />

wörtlichsten Sinne – als allgemein verbindliche Ideologie <strong>des</strong> Staates<br />

durchzusetzen vermocht.<br />

Nicht nur kritische Staatsrechtler wie der genannte Minobe<br />

Tatsukichi, sondern ebenfalls Historiker, welche <strong>die</strong> tatsächlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Anfänge der kaiserlichen Linie wissenschaftlich<br />

objektiv zu erforschen trachteten, verloren sowohl ihre Stellung als<br />

auch jede Möglichkeit der wissenschaftlichen Arbeit. Genannt sei<br />

hier, pars pro toto, nur deren bedeutendster Vertreter, Tsuda Sôkichi.<br />

15<br />

13 Naobi no mitama = KGS 10: 3, Stolte 1939: 193.<br />

14 Vgl. Lokowandt 1978: 41. Vgl. auch Worm 1981: 65.<br />

15 Tsuda Sôkichi (1873-1961) untersuchte wissenschaftlich-objektiv das orthodoxe Geschichtsbild<br />

der kokutai- <strong>und</strong> Götterland-Ideologie <strong>und</strong> gelangte zu dem konsequenten Schluß,<br />

daß <strong>die</strong> Überlieferungen zur Reichsgründung nicht den historischen Tatsachen entsprächen,<br />

sondern dem Machterwerb <strong>und</strong> -erhalt der kaiserlichen Linie ge<strong>die</strong>nt hätten. Im Jahre 1940<br />

wurden seine wichtigsten Schriften verboten, er selbst von der renommierten Waseda-

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