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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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mentatoren. Aristoteles stellt in der auszulegenden Passage <strong>die</strong> folgende Argumentationsstrategie<br />

vor: Wenn von einem Gegenstand behauptet wird, er habe <strong>die</strong> Bes<strong>ch</strong>affenheit b, sollte man prü-<br />

fen, ob es zwei konträr entgegengesetzte Bes<strong>ch</strong>affenheiten x <strong>und</strong> y gibt, von denen gilt: wenn<br />

ihm b zukommt, dann müssen ihm sowohl x als au<strong>ch</strong> y zukommen. 54 Gibt es sol<strong>ch</strong> ein Paar, so ist<br />

<strong>die</strong> Behauptung widerlegt. Alexander erläutert <strong>die</strong>se Strategie dur<strong>ch</strong> Exemplifikation:<br />

[Aristoteles] selbst gebrau<strong>ch</strong>t ein Beispiel, das von den [platonis<strong>ch</strong>en] Ideen handelt [Top. II.7:<br />

113 a 26-32]… Man kann mit Hilfe <strong>die</strong>ses Topos aber au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> These widerlegen (D'?1+"A'),<br />

dass<br />

I<strong>ch</strong> sage etwas Fals<strong>ch</strong>es (36KF!"E$(&?1)<br />

eine Aussage (*+%-?/1)) ist; denn wenn es eine Aussage ist, dann ist sie, wie si<strong>ch</strong> zeigen lässt,<br />

sowohl wahr als au<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>. Das aber ist unmögli<strong>ch</strong>; denn <strong>die</strong>se Bes<strong>ch</strong>affenheiten sind einander<br />

konträr entgegengesetzt. Also ist ‘I<strong>ch</strong> sage etwas Fals<strong>ch</strong>es’ keine Aussage. Würde nämli<strong>ch</strong><br />

zugestanden, dass es si<strong>ch</strong> um eine Aussage handelt, dann wäre [das Prinzip] widerlegt, dass<br />

jede Aussage entweder wahr oder fals<strong>ch</strong> ist. Denn wenn Letzteres der Fall ist, dann ist au<strong>ch</strong><br />

<strong>die</strong>se Aussage entweder wahr oder fals<strong>ch</strong>. Aber was au<strong>ch</strong> immer man annimmt, es folgt au<strong>ch</strong><br />

das konträr Entgegengesetzte. Wenn nämli<strong>ch</strong> angenommen wird, <strong>die</strong> Aussage ‘I<strong>ch</strong> sage etwas<br />

Fals<strong>ch</strong>es’ sei wahr, so folgt ans<strong>ch</strong>einend, dass der Aussagende etwas Fals<strong>ch</strong>es sagt; denn er<br />

würde dann ja gerade dadur<strong>ch</strong>, dass er von si<strong>ch</strong> sagt, er sage etwas Fals<strong>ch</strong>es, etwas Wahres sagen.<br />

Wird hingegen angenommen, jene Aussage sei fals<strong>ch</strong>, so folgt, dass der Aussagende etwas<br />

Wahres sagt; denn er würde dann ja gerade dadur<strong>ch</strong>, dass er von si<strong>ch</strong> sagt, er sage etwas<br />

Fals<strong>ch</strong>es, etwas Fals<strong>ch</strong>es sagen; weshalb er etwas Wahres sagt. 55<br />

Anders als Cicero sieht Alexander das Prinzip, dass jede Aussage entweder wahr oder fals<strong>ch</strong> ist,<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Konditionale [1] <strong>und</strong> [2] bedroht, sondern dur<strong>ch</strong> den F-Satz, von dem sie beide<br />

handeln. Seinem Vors<strong>ch</strong>lag, <strong>die</strong>sem F-Satz den Status eines Aussagesatzes abzuspre<strong>ch</strong>en, wer-<br />

den wir im nä<strong>ch</strong>sten Paragraphen wieder begegnen.<br />

Mit keinem Wort behauptet Alexander, es handle si<strong>ch</strong> hier um eine Überlegung des Aristo-<br />

teles. Im Gegenteil, er präsentiert <strong>die</strong> F-Antinomie als sein Beispiel für ein Argument, auf das<br />

man einen aristotelis<strong>ch</strong>en Topos anwenden kann. Aristoteles’ Konzept der Trugs<strong>ch</strong>lüsse dur<strong>ch</strong><br />

Weglassen <strong>einer</strong> notwendigen Eins<strong>ch</strong>ränkung spielt in Alexanders Erörterung keine Rolle. Die<br />

F-Antinomie ist aber spätestens ein Jahrtausend na<strong>ch</strong> Alexander au<strong>ch</strong> in <strong>die</strong> Kommentare zu den<br />

Sophistis<strong>ch</strong>en Widerlegungen eingedrungen. In einem byzantinis<strong>ch</strong>en Kommentar, den wohl<br />

Mi<strong>ch</strong>ael von Ephesos [fl. (?) 1150] ges<strong>ch</strong>rieben hat, folgt auf eine Paraphrase von SE 25 ein kur-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

54 Top. II.7: 113 a 24-25.<br />

55 Alexander von Aphrodisias (1891) 188, 19 -189, 28; Hülser fr. 1183. (In Hülsers Übersetzung wird<br />

das Verbum ‘!"E$"/C?1’ einmal mit ‘etwas Fals<strong>ch</strong>es sagen’ übersetzt <strong>und</strong> sonst leider immer mit ‘lügen’.)<br />

Alexanders Exposition der F-Antinomie s<strong>ch</strong>eint der einzige antike Beitrag zur Debatte zu sein, der<br />

Rüstows Aufmerksamkeit entgangen ist, weshalb <strong>die</strong>ser Text in der Literatur des 20. Jh. denn au<strong>ch</strong> fast<br />

nie erwähnt wurde. Karlheinz Hülser hat ihn 1988 in s<strong>einer</strong> Sammlung der Fragmente zur Dialektik der<br />

Stoiker wieder lei<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t. Aber nur bei Cavini habe i<strong>ch</strong> Hinweise auf <strong>die</strong>ses bedeutsame<br />

Dokument gef<strong>und</strong>en: ders. (1993) 89, 107.

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