Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch
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gläubigem Staunen vernommen. 2 ) Die allgemeine Überlegung, <strong>die</strong> mi<strong>ch</strong> interessiert, betrifft eine<br />
Falle, vor der man si<strong>ch</strong> bei dem Versu<strong>ch</strong>, <strong>die</strong> dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Sätze ausgedrückten Propositionen zu<br />
verneinen, hüten muss. I<strong>ch</strong> werde <strong>Bolzano</strong>s Überlegung in § 3 ausbu<strong>ch</strong>stabieren <strong>und</strong> dur<strong>ch</strong> Dar-<br />
legung der Besonderheiten ergänzen, <strong>die</strong> beim Auftreten selbstbezügli<strong>ch</strong>er Sätze in deduktiven<br />
Argumenten <strong>und</strong> bei ihrer Übersetzung in andere Spra<strong>ch</strong>en zu bea<strong>ch</strong>ten sind.<br />
Der letzte Paragraph handelt dann wieder von Lügnern, <strong>die</strong>smal von denen auf Kreta. I<strong>ch</strong><br />
werde dort auf Freges flü<strong>ch</strong>tige Begegnung mit dem Kreter Epimenides eingehen, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> werde<br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Gelegenheit ergreifen, ein gutes Wort für den Verfasser des ‘Briefs an Titus’<br />
einzulegen, der m. E. zu Re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t für paradox hielt, was viele Logiker des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts für<br />
paradox erklären. Auf den ersten wie auf den letzten Seiten <strong>die</strong>ses Aufsatzes werde i<strong>ch</strong> über<br />
mehr als einen Etiketten-S<strong>ch</strong>windel klagen, der in der Debatte über <strong>die</strong> semantis<strong>ch</strong>en Antino-<br />
mien gang <strong>und</strong> gäbe geworden ist. 3<br />
1. EIN HARMLOSER LÜGNER UND EIN GEFÄHRLICHER ‘LÜGNER’.<br />
1.1 Aristoteles <strong>und</strong> <strong>Bolzano</strong> über einen simplen Trugs<strong>ch</strong>luss.<br />
In <strong>Bolzano</strong>s eigenem Sa<strong>ch</strong>register zu s<strong>einer</strong> monumentalen WISSENSCHAFTSLEHRE (1837) findet<br />
man <strong>die</strong> Eintragung ‘!"#$%&"'() [pseudómenos], Trugs<strong>ch</strong>luß’. 4 Das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wort lässt er<br />
unübersetzt (<strong>und</strong> aus Gründen, <strong>die</strong> bald zur Spra<strong>ch</strong>e kommen werden, folge i<strong>ch</strong> ihm darin). Das<br />
deuts<strong>ch</strong>e Wort klassifiziert den Träger des grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Spitznamens als eine besondere Art von<br />
Argument, <strong>und</strong> in der Tat heißt der Paragraph 377 im dritten Band, auf den man verwiesen wird,<br />
Beleu<strong>ch</strong>tung einiger, in den S<strong>ch</strong>riften der Logiker berühmten Trugs<strong>ch</strong>lüsse. Der Aufbau <strong>die</strong>ses<br />
langen Paragraphen ist von einem antiken Vorbild bestimmt: Aristoteles, der ein eigenes Bu<strong>ch</strong><br />
über <strong>die</strong>sen Gegenstand ges<strong>ch</strong>rieben hat (*"+, [-.'] /(01/-12.' 345678'),[ 5 ] bringt alle fal-<br />
s<strong>ch</strong>en Beweise oder (wie man sie unter der Voraussetzung, daß sie in bösli<strong>ch</strong>er Absi<strong>ch</strong>t erdi<strong>ch</strong>tet<br />
worden sind, au<strong>ch</strong> nennet) Trugs<strong>ch</strong>lüsse[ 6 ] unter zwei Gattungen: sol<strong>ch</strong>e, bei denen <strong>die</strong> Täu-<br />
s<strong>ch</strong>ung aus dem gewählten, spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ausdruck hervorgeht …; <strong>und</strong> andere, bei denen <strong>die</strong>ß<br />
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2 Wittgenstein (1922) 3.332.<br />
3 Zumindest der Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> philosophis<strong>ch</strong>e Gesprä<strong>ch</strong>spartner dur<strong>ch</strong> mehr als drei Jahrzehnte, dem<br />
i<strong>ch</strong> <strong>die</strong>sen Aufsatz gewidmet habe, wird auf <strong>die</strong>se Klagen ni<strong>ch</strong>t mit „Who cares?“ reagieren.<br />
4 <strong>Bolzano</strong>, WL IV 673 (Originalpaginierung). Siglen werden unten in der Bibliographe aufges<strong>ch</strong>lüsselt.<br />
5 Bei <strong>die</strong>ser kleinen S<strong>ch</strong>rift, <strong>die</strong> wohl ca. 355 v. Chr. entstanden ist, handelt es si<strong>ch</strong> um eine Art Anhang<br />
zur Topik. S<strong>ch</strong>on in WL I 13 nimmt <strong>Bolzano</strong> auf <strong>die</strong> SE Bezug – mit dem etwas eigenwilligen Titel<br />
‘Die Sophistik’.<br />
6 Eine ähnli<strong>ch</strong>e ‘pragmatis<strong>ch</strong>e’ Unters<strong>ch</strong>eidung findet man in Kant (1800) § 90. Kant bezei<strong>ch</strong>net dort<br />
einen Fehls<strong>ch</strong>luss, dem der Argumentierende selber zum Opfer fällt, als Paralogismus <strong>und</strong> einen Fehls<strong>ch</strong>luss,<br />
mit dem er Andere zu täus<strong>ch</strong>en beabsi<strong>ch</strong>tigt, als Sophisma. (Er verwendet allerdings ‘Trugs<strong>ch</strong>luss’<br />
als Oberbegriff.)