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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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kos letztes Jahr im Herbst in Syrakus war, ist eigentli<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>, aber sie ist in gewisser Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

wahr (‘es ist etwas Wahres daran’), – Koriskos war letztes Jahr nämli<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> dort, wenn-<br />

glei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t im Herbst, sondern im Winter. Umgekehrt ist <strong>die</strong> Aussage, <strong>die</strong> Meletos mit dem Satz<br />

‘Der Mann dort sieht aus wie Sokrates’ ma<strong>ch</strong>t, simpliciter wahr, wenn er dabei auf den stupsna-<br />

sigen Alten zeigt, der si<strong>ch</strong> gerade mit Euthyphron über <strong>die</strong> Pietät unterhält, aber sie ist sec<strong>und</strong>um<br />

quid fals<strong>ch</strong>, da sie etwas Fals<strong>ch</strong>es suggeriert, nämli<strong>ch</strong> dass der Mann, auf den Bezug genommen<br />

wird, ni<strong>ch</strong>t Sokrates ist.<br />

Während es in [d] <strong>und</strong> [e] um jemanden geht, der Wahres oder Fals<strong>ch</strong>es sagt, handelt [f]<br />

von jemandem, der ‘wahr’ oder ‘fals<strong>ch</strong>’ ist. 16 Wir verwenden <strong>die</strong>se beiden Adjektive ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

so, wie Aristoteles hier ihre grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Gegenstücke gebrau<strong>ch</strong>t, aber S<strong>ch</strong>iller tat es no<strong>ch</strong>: „O<br />

wärst du wahr gewesen …, alles stünde anders!“, sagt Max Piccolomini zu seinem Vater, „Un-<br />

selge Fals<strong>ch</strong>heit, … Du jammerbringende, verderbest uns! Wahrhaftigkeit, <strong>die</strong> reine, hätt’ uns<br />

alle … gerettet.“ Und Philipp II. sagt von der Königin: „So ists erwiesen, sie ist fals<strong>ch</strong>.“ 17 Bei<br />

den in [d] <strong>und</strong> [e] abstrakt bes<strong>ch</strong>riebenen Fällen räumt Aristoteles ein, dass sie ni<strong>ch</strong>t unproble-<br />

matis<strong>ch</strong> sind. Hingegen liegt es für ihn auf der Hand, dass <strong>die</strong> in [f] bes<strong>ch</strong>riebene Situation mög-<br />

li<strong>ch</strong> ist: es kommt eben vor, dass jemand, der eigentli<strong>ch</strong> verlogen ist, gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> einmal<br />

aufri<strong>ch</strong>tig ist. 18<br />

<strong>Bolzano</strong> verweist vor s<strong>einer</strong> Erörterung des nun folgenden Arguments ausdrückli<strong>ch</strong> auf<br />

Aristoteles’ Einteilung der Trugs<strong>ch</strong>luss-Arten, <strong>und</strong> i<strong>ch</strong> vermute, dass er <strong>die</strong> Sätze [b] <strong>und</strong> [f] <strong>die</strong>-<br />

ser Passage bei der Exposition <strong>und</strong> Diagnose <strong>die</strong>ses Arguments im Auge hat: 19<br />

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16 Der Kontrast wird im Text dur<strong>ch</strong> das eli<strong>die</strong>rte ‘!"’ markiert, das i<strong>ch</strong> mit ‘jedo<strong>ch</strong>’ wiedergegeben<br />

habe. Dieser We<strong>ch</strong>sel wird in den deuts<strong>ch</strong>en SE-Übersetzungen (A) <strong>und</strong> B) <strong>und</strong> in der von Jonathan Barnes,<br />

(D), korrekt wiedergegeben, während er in der von William A. Pickard-Cambridge, (C), unsi<strong>ch</strong>tbar<br />

ist: „There is, however, nothing to prevent it [!?] from being false absolutely, though true in some particular<br />

respect…“. Spade (1973) II.301 verlässt si<strong>ch</strong> auf (C), obwohl er eine Seite vorher eine lateinis<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung anführt, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Fehler vermeidet. Peter Eldridge-Smith (2004) 78 zitiert immer no<strong>ch</strong> (C).<br />

17 S<strong>ch</strong>iller, Wallensteins Tod, II/7; Don Carlos, III/1.<br />

18 Dutilh & Read (2008) überhören den Evidenzappell in [f]. Au<strong>ch</strong> sie verlassen si<strong>ch</strong> auf SE-(C):<br />

„Aristotle adds (sc. in 188 b 5-7 = [f]) that it is possible for something (a proposition) to be false absolutely,<br />

though true in some particular respect… It is a telling fact that no mention is made of the converse… We<br />

shall see that [Thomas] Bradwardine [in seinem Traktat über logis<strong>ch</strong>e Paradoxien] will indeed treat the<br />

latter case as impossible“ (op. cit. 179/180, meine Hervorh.; vgl. 177 n.). Was au<strong>ch</strong> immer von den Überlegungen<br />

<strong>die</strong>ses Oxforder Mathematikers <strong>und</strong> Theologen [fl. 1330] zu halten sein mag, – eines sind sie<br />

bestimmt ni<strong>ch</strong>t: Entwicklungen von „Aristotle’s original idea“ (184), i.e. von „Aristotle’s <strong>und</strong>eveloped<br />

hun<strong>ch</strong> [that] it is possible for a proposition to be true sec<strong>und</strong>um quid while false simpliciter (but not the<br />

other way ro<strong>und</strong>)“ (191). Die „Idee“, <strong>die</strong> „Ahnung“, <strong>die</strong> Aristoteles angebli<strong>ch</strong> in 188 b 5-7 formuliert hat,<br />

findet si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> in Wahrheit nur in <strong>einer</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Übersetzung <strong>die</strong>ses Satzes.<br />

19 WL III 487-488. Alexander Rüstow (s.u. ANHANG I) weist in s<strong>einer</strong> primär mit der Frühges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Antinomie bes<strong>ch</strong>äftigten Monographie beiläufig sogar auf <strong>die</strong> Passage in WL I hin, <strong>die</strong> uns bald ausgiebig<br />

bes<strong>ch</strong>äftigen wird (Rüstow 121-122), – <strong>die</strong> Stelle in WL III ist ihm entgangen.

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