Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch
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inten<strong>die</strong>rt; aber Moore besteht zu Re<strong>ch</strong>t auf größtmögli<strong>ch</strong>er Explizitheit in einem so heiklen Feld<br />
wie <strong>die</strong>sem.)<br />
I<strong>ch</strong> hatte oben unterstellt, dass ‘speaking the truth’ im Englis<strong>ch</strong>en dasselbe bedeutet wie<br />
‘<strong>die</strong> Wahrheit sagen’ im Deuts<strong>ch</strong>en. Darin bestärkt mi<strong>ch</strong> eine Stelle in Russells Autobiographie,<br />
in der er einen der Gründe angibt, aus denen ihn der junge G. E. Moore so sehr beeindruckt hat: 63<br />
He had a kind of exquisite purity. I have never but once succeeded in making him tell a lie,<br />
and that was by a subterfuge. ‘Moore,’ I said, ‘do you always speak the truth?’ ‘No,’ he<br />
replied. I believe this to be the only lie he had ever told.<br />
Offenk<strong>und</strong>ig bittet Russell seinen Fre<strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t um <strong>die</strong> Beantwortung der Frage, ob er immer nur<br />
wahre Behauptungen aufstellt. Er will ihn dur<strong>ch</strong> eine List zu <strong>einer</strong> unaufri<strong>ch</strong>tigen Antwort ver-<br />
führen, indem er ihn fragt, ob er jederzeit aufri<strong>ch</strong>tig ist. Selbst Moores viellei<strong>ch</strong>t einzige Lüge ist<br />
no<strong>ch</strong> ein Indiz für seine Reinheit, – zeigt sie do<strong>ch</strong>, dass er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit s<strong>einer</strong> Aufri<strong>ch</strong>tigkeit<br />
brüsten mag. I<strong>ch</strong> zitiere Russells Bemerkung hier au<strong>ch</strong>, weil Saul Kripke sie in einem berühmten<br />
Aufsatz („a sort of instant classic“ 64 ) auf verblüffende Weise deutet: 65<br />
It is said [hm!] that Russell once asked Moore whether he always told the truth, and that he<br />
regarded Moore’s negative reply as the sole falsehood Moore had ever produced… Russell<br />
… apparently failed to realize that if, as he thought, all Moore’s other utterances were true,<br />
Moore’s negative reply was not simply false but paradoxical.<br />
Ist das ni<strong>ch</strong>t eine absurde Fehlinterpretation? Zeigt si<strong>ch</strong> Moores Reinheit in Russells Augen da-<br />
rin, dass er (außer in der Antwort auf Russells listige Frage) nie etwas Fals<strong>ch</strong>es sagt – also au<strong>ch</strong><br />
dann ni<strong>ch</strong>t, wenn er na<strong>ch</strong> einem Datum oder na<strong>ch</strong> <strong>einer</strong> Adresse gefragt oder um <strong>die</strong> Analyse des<br />
Begriffs der Wahrnehmung gebeten wird? Kripke ist <strong>die</strong>se Absurdität ni<strong>ch</strong>t ganz entgangen;<br />
denn er fügt s<strong>einer</strong> Bemerkung immerhin <strong>die</strong> folgende Fußnote hinzu:<br />
On an ordinary <strong>und</strong>erstanding (as opposed to the conventions of those who state Liar paradoxes),<br />
the question lay in the sincerity, not the truth, of Moore’s utterances. Paradoxes<br />
could probably be derived on this interpretation also.<br />
Der letzte Satz ist bloß eine raunende Versi<strong>ch</strong>erung. Der erste gibt den Paradoxien-Jägern das<br />
Re<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> über das „ordinary <strong>und</strong>erstanding“, i.e. das ri<strong>ch</strong>tige Verständnis der Prädikate ‘x lügt’<br />
<strong>und</strong> ‘x sagt <strong>die</strong> Wahrheit’ dur<strong>ch</strong> Berufung auf eine Konvention (an extraordinary <strong>und</strong>erstand-<br />
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />
63 Russell (1967) 64.<br />
64 Mates (1981) 31.<br />
65 Kripke (1975) 692, repr. 55. (Mein Räuspern.)