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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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weitere Satzäußerung gibt) ein Beispiel für ein INSOLUBILE, <strong>und</strong> er erklärt <strong>die</strong>sen s<strong>ch</strong>on seit lan-<br />

gem für Paradoxien gängigen, defätistis<strong>ch</strong> klingenden Titel so: 82<br />

Ein UNLÖSBARES ist ein si<strong>ch</strong> selbst zerstörender Satz (propositio seipsam destruens). Aus<br />

der Aussage, der Satz sei wahr, folgt nämli<strong>ch</strong>, dass er fals<strong>ch</strong> ist, <strong>und</strong> aus der Aussage, er sei<br />

fals<strong>ch</strong>, folgt, dass er wahr ist (Quia si dicitur quod est vera sequitur quod sit falsa, et si dicitur<br />

quod est falsa sequitur quod est vera).<br />

Das trifft au<strong>ch</strong> auf <strong>die</strong> Proposition zu, <strong>die</strong> ans<strong>ch</strong>einend dur<strong>ch</strong> (") ausgedrückt wird. Spri<strong>ch</strong>t man<br />

mit einem Satz einem einzelnen Gegenstand A eine Bes<strong>ch</strong>affenheit b zu, so gilt: <strong>die</strong> dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Satz ausgedrückte Proposition ist genau dann wahr, wenn der Gegenstand A <strong>die</strong> Bes<strong>ch</strong>affenheit b<br />

hat. 83 Angenommen, (") drückt eine Proposition aus, – nennen wir sie ‘["]’. Dann s<strong>ch</strong>reibt je-<br />

mand, der den Satz (") äußert, der Proposition ["] <strong>die</strong> Bes<strong>ch</strong>affenheit zu, fals<strong>ch</strong> zu sein. Wenn<br />

<strong>die</strong> dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Äußerung ausgedrückte Proposition wahr ist, dann hat der Gegenstand, von dem<br />

sie handelt, i.e. ["], <strong>die</strong> Bes<strong>ch</strong>affenheit, <strong>die</strong> ihm in der Äußerung zuges<strong>ch</strong>rieben wird, – ["] ist<br />

dann also fals<strong>ch</strong>. Kurz:<br />

(I) Wenn ["] wahr ist, dann ist ["] fals<strong>ch</strong>.<br />

Ist <strong>die</strong> dur<strong>ch</strong> eine Äußerung von (") ausgedrückte Proposition hingegen fals<strong>ch</strong>, so hat sie just <strong>die</strong><br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit, <strong>die</strong> man ihr mit (") zus<strong>ch</strong>reibt. Hat sie <strong>die</strong> Bes<strong>ch</strong>affenheit, <strong>die</strong> ihr in der Äuße-<br />

rung zuges<strong>ch</strong>rieben wird, so ist sie wahr. Kurz:<br />

(II) Wenn ["] fals<strong>ch</strong> ist, dann ist ["] wahr.<br />

Nun ist es für <strong>Savonarola</strong> wie für <strong>Bolzano</strong> eine ausgema<strong>ch</strong>te Sa<strong>ch</strong>e, dass ni<strong>ch</strong>ts sowohl wahr als<br />

au<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> ist: 84 was fals<strong>ch</strong> ist, das ist ni<strong>ch</strong>t wahr, <strong>und</strong> was wahr ist, das ist ni<strong>ch</strong>t fals<strong>ch</strong>. Damit<br />

folgen aus (I) <strong>und</strong> (II) <strong>die</strong> Sätze<br />

(1) Wenn ["] wahr ist, dann ist ["] ni<strong>ch</strong>t wahr<br />

(2) Wenn ["] fals<strong>ch</strong> ist, dann ist ["] ni<strong>ch</strong>t fals<strong>ch</strong>.<br />

Wendet man nun auf (1) <strong>die</strong> Argument-Form ‘Wenn P, dann ni<strong>ch</strong>t-P; ergo ni<strong>ch</strong>t-P’ an, <strong>die</strong><br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

82 Logica 15021-23. ‘Von den Unlösbaren (De insolubilibus)’ war in der S<strong>ch</strong>olastik ein Standardtitel für<br />

Traktate über logis<strong>ch</strong>e Paradoxien. [Hoffentli<strong>ch</strong> wird Res<strong>ch</strong>ers Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>ule ma<strong>ch</strong>en: er<br />

glaubt offenk<strong>und</strong>ig, der Singular von ‘insolubilia’ sei ‘insolubilium’: ders. (2001) 195-98.] Der oben in §<br />

1.2 bespro<strong>ch</strong>ene Cicero-Text, der im Mittelalter zugängli<strong>ch</strong> war, spielte in der ‘Insolubilia’-Literatur keine<br />

Rolle. Wäre er der Ausgangspunkt <strong>die</strong>ser Literatur gewesen, so hätten deren Verfasser <strong>die</strong> Paradoxien<br />

(wie Cicero in jener Passage) inexplicabilia genannt; was k<strong>einer</strong> von ihnen tut: so Spade (1973) II.299-<br />

300 unter Berufung auf De Rijk; Spade/Read § 1.1].<br />

83 Vgl. WL I 124.<br />

84 Nur ‘Dialetheisten’ wie Priest (<strong>und</strong> der Spre<strong>ch</strong>er, der in dem kleinen Dialog des Mi<strong>ch</strong>ael von<br />

Ephesos das letzte Wort behält) bestreiten das: s.o. Anm. 57 (<strong>und</strong> das zugehörige Zitat aus dem SE-<br />

Kommentar).

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