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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Version der Consequentia Mirabilis, 85 so ergibt si<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Konklusion, dass ["] ni<strong>ch</strong>t<br />

wahr ist, <strong>und</strong> ihre Anwendung auf (2) ergibt, dass ["] ni<strong>ch</strong>t fals<strong>ch</strong> ist. Diese Proposition fällt<br />

demna<strong>ch</strong> in <strong>die</strong> Lücke zwis<strong>ch</strong>en den beiden Wahrheitswerten Wahr <strong>und</strong> Fals<strong>ch</strong>:<br />

(LÜCKE) ["] ist weder wahr no<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>.<br />

Diese Konsequenz ist nur für den para-dox, der <strong>die</strong> #$%& (Überzeugung) hat, dass Wahrheits-<br />

kandidaten entweder wahr oder fals<strong>ch</strong> sind. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts haben<br />

man<strong>ch</strong>e Logiker denn au<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>t, <strong>die</strong> F-Antinomie dur<strong>ch</strong> Aufgabe des Prinzips der Zweiwer-<br />

tigkeit (Bivalenz) aufzulösen. 86 Wegen bena<strong>ch</strong>barter Antinomien bedarf <strong>die</strong>se Strategie zumin-<br />

dest flankierender Maßnahmen. 87 Do<strong>ch</strong> für <strong>Savonarola</strong> <strong>und</strong> <strong>Bolzano</strong> ist <strong>die</strong> Wahrheitswert-Lücke<br />

allemal keine Option: der Florentiner Mön<strong>ch</strong> akzeptiert das Zweiwertigkeitsprinzip für Sätze, der<br />

Prager Priester unters<strong>ch</strong>reibt es für Propositionen. 88 <strong>Savonarola</strong> zieht aus dem obigen Resultat<br />

<strong>die</strong> Konsequenz, dass wir <strong>die</strong> Voraussetzung aufgeben müssen, dass es si<strong>ch</strong> bei ‘Dieser (!) Satz<br />

ist fals<strong>ch</strong>’ überhaupt um einen Satz handelt. Er s<strong>ch</strong>reibt:<br />

Wird nun gesagt, jeder Satz sei do<strong>ch</strong> wahr oder fals<strong>ch</strong> ist, so sollte man antworten, dass es<br />

si<strong>ch</strong> hier gar ni<strong>ch</strong>t um Sätze handelt. Denn <strong>die</strong> Definition eines Satzes, derzufolge er eine<br />

wahre oder fals<strong>ch</strong>e Rede (oratio) ist, trifft auf sie in Wahrheit ni<strong>ch</strong>t zu. 89<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

85 Sainsbury (2009) 128. In der s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Version ist <strong>die</strong> Consequentia Mirabilis sowohl in der klassis<strong>ch</strong>en<br />

als au<strong>ch</strong> in der intuitionistis<strong>ch</strong>en Logik allgemeingültig. Zu <strong>die</strong>ser Argumentform, <strong>die</strong> ihren hübs<strong>ch</strong>en<br />

Namen im 17. Jh. erhalten hat, vgl. Bellissima & Pagli (1995).<br />

86 Das ist der kleinste gemeinsame Nenner u.a. von Martin (1967), van Fraassen (1968) <strong>und</strong> Kripke<br />

(1975). Im Mittelalter nannte man <strong>die</strong> Anhänger der Doktrin, dass F-Sätze in <strong>die</strong> Wahrheitswertlücke<br />

fallen, Mittler (mediantes). Bislang wurde für <strong>die</strong> Zeit von 1132 bis 1372 nur ein einziger Mittler ausfindig<br />

gema<strong>ch</strong>t, ein englis<strong>ch</strong>er Benediktiner mit dem uns<strong>ch</strong>önen Namen Roger Swyneshed [Spade/Read §<br />

3.2; hg. u. komm. in Spade (1988) Kap. VII u. VIII]. Am Ende des Mittelalters stellt Paolo Nicoletti Veneto<br />

<strong>die</strong> Position der Mittler als den se<strong>ch</strong>sten von insgesamt 15 Lösungsvors<strong>ch</strong>lägen dar <strong>und</strong> verwirft sie:<br />

<strong>die</strong> Mittler „irren; denn jede propositio ist wahr oder fals<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> jedes insolubile ist eine propositio“. In:<br />

Paulus Venetus, Logica Magna (ca. 1396-99 ges<strong>ch</strong>rieben), Teil II.15, De Insolubilibus. Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

des gigantis<strong>ch</strong>en Werks, der bislang (2011) no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kritis<strong>ch</strong> e<strong>die</strong>rt worden ist, ist in Auszügen übersetzt<br />

in Bo<strong>ch</strong>e!ski 280-293, hier 281.<br />

87 Was <strong>die</strong> eben genannten drei Philosophen natürli<strong>ch</strong> wissen. Der [in van Fraassen (1968) so genannte]<br />

‘Verstärkte Lügner’, ("+) Die Proposition, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser (!) Satz ausdrückt, ist ni<strong>ch</strong>t wahr, bes<strong>ch</strong>ert uns<br />

eine Kontradiktion: ["+] ist genau dann wahr, wenn ["+] ni<strong>ch</strong>t wahr ist. Fällt ["+] in <strong>die</strong> Lücke, so ist<br />

["+] ni<strong>ch</strong>t wahr, <strong>und</strong> wir sind wieder da, wo wir angefangen haben. (Statt als Verstärkten Lügner würde<br />

man <strong>die</strong>se Paradoxie besser als Antinomie der Ni<strong>ch</strong>t-Wahrheit bezei<strong>ch</strong>nen.)<br />

88 Vgl. WL II 33.<br />

89 Logica 15119-22, au<strong>ch</strong> von <strong>Bolzano</strong> zitiert. Anhänger der Doktrin, dass F-Sätze eigentli<strong>ch</strong> gar keine<br />

Sätze sind (keine Propositionen ausdrücken), nannte man im Mittelalter Nullifizierer (cassantes). Sie<br />

„behaupten: wenn jemand sagt, dass er [gerade] etwas Fals<strong>ch</strong>es sagt, so sagt er gar ni<strong>ch</strong>ts (Cassantes …<br />

dicunt quod dicens se dicere falsum nihil dicit)“ [zit. na<strong>ch</strong> Kneale & Kneale (1962) 228; vgl. Spade/Read<br />

§ 2.5]. Wenn man <strong>die</strong> indirekte Rede so großzügig gebrau<strong>ch</strong>t wie <strong>die</strong> cassantes, kann man si<strong>ch</strong> Formulierungen<br />

wie <strong>die</strong> folgende erlauben: ‘Wer sagt, dass der Flügelflagel gaustert, sagt ni<strong>ch</strong>ts’. Gemeint ist:<br />

‘Wer <strong>die</strong> Worte „Der Flügelflagel gaustert“ äußert, sagt ni<strong>ch</strong>ts.’ Paolo Veneto präsentiert <strong>die</strong> Position der<br />

Nullifizierer als den fünften Lösungsvors<strong>ch</strong>lag <strong>und</strong> verwirft sie: Bo<strong>ch</strong>e!ski 281. Ein später Nullifizierer<br />

ist – darauf weist Arianna Betti (2006) 71 hin – Jan "ukasiewicz: (1915) 29-30.

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