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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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(1) Es ist do<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>, daß ein Lügner gestehe, er sey ein Lügner. Annahme<br />

(2) Wenn aber ein Lügner gesteht, er sey ein Lügner,<br />

so spri<strong>ch</strong>t er <strong>die</strong> Wahrheit. Annahme<br />

(3) Also ist es mögli<strong>ch</strong>, dass ein Lügner <strong>die</strong> Wahrheit spri<strong>ch</strong>t. Aus (1) u. (2)<br />

(4) Wer aber <strong>die</strong> Wahrheit spri<strong>ch</strong>t, der ist kein Lügner. Annahme<br />

(5) Also ist’s mögli<strong>ch</strong>, daß ein Lügner au<strong>ch</strong> kein Lügner sey. Aus (3) u. (4). 20<br />

<strong>Bolzano</strong> verwendet in s<strong>einer</strong> Diagnose des Trugs<strong>ch</strong>lusses als Gegenbegriff zu <strong>die</strong> Wahrheit spre-<br />

<strong>ch</strong>en den Begriff <strong>die</strong> Wahrheit verläugnen (III 488 7.12,.17). Wer mit <strong>einer</strong> Behauptung <strong>die</strong> Wahrheit<br />

verleugnet, der behauptet ni<strong>ch</strong>t bloß etwas Fals<strong>ch</strong>es, – er behauptet etwas Fals<strong>ch</strong>es, das er au<strong>ch</strong><br />

für fals<strong>ch</strong> hält. Dasselbe gilt mutatis mutandis für das Prädikat, das in (2), (3) <strong>und</strong> (4) vorkommt:<br />

wer <strong>die</strong> Wahrheit spri<strong>ch</strong>t, der behauptet ni<strong>ch</strong>t nur etwas Wahres, – er behauptet etwas Wahres,<br />

das er für wahr hält. (Mit ‘Sag <strong>die</strong> Wahrheit!’ fordert man Aufri<strong>ch</strong>tigkeit.)<br />

I<strong>ch</strong> skizziere zwei formale Rekonstruktionen <strong>die</strong>ses Arguments, bei denen es logis<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>lüssig ist <strong>und</strong> zu <strong>einer</strong> inkonsistenten Konklusion führt. Die ‘necessitierende’ Rekonstruktion<br />

geht davon aus, dass der Proponent für <strong>die</strong> Annahmen in der zweiten <strong>und</strong> in der vierten Zeile den<br />

Anspru<strong>ch</strong> erhebt, dass sie ni<strong>ch</strong>t bloß kontingenterweise wahr sind. (I<strong>ch</strong> verwende ‘M:’ als Ab-<br />

kürzung für ‘Es ist mögli<strong>ch</strong>, dass’; ‘N:’ für ‘Es ist notwendig, dass’; ‘Lx’ für ‘x ist ein Lügner’;<br />

‘Gx’ für ‘x gesteht, ein Lügner zu sein’ <strong>und</strong> ‘Wx’ für ‘x spri<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Wahrheit’.)<br />

1 (1) M: !x (Lx & Gx) Annahme<br />

2* (2*) N: "x ((Lx & Gx) # Wx) Annahme<br />

1, 2* (3) M: !x (Lx & Wx) (1), (2*); (Modal-)Logik<br />

4* (4*) N: "x (Wx #!¬ Lx) Annahme<br />

1, 2*, 4* (5) M: !x (Lx & ¬ Lx) (3), (4*); (Modal-)Logik. 21<br />

Die ‘entmodalisierende’ Rekonstruktion geht davon aus, dass modal klingende Äußerungen<br />

man<strong>ch</strong>mal gar ni<strong>ch</strong>t modal gemeint sind. In Sätzen wie ‘Dreiecke haben immer drei Winkel, <strong>und</strong><br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

20 <strong>Bolzano</strong> spri<strong>ch</strong>t in WL III 488, Z. 9-15, von zwei Syllogismen, formuliert aber (S. 487, ganz unten,<br />

bis S. 488, Z. 4) nur (1), (2), (4), (5). Für zwei Syllogismen werden vier Prämissen <strong>und</strong> zwei Konklusionen<br />

benötigt. Wenn man annimmt, dass er versehentli<strong>ch</strong> (3) ausgelassen hat, so handelt es si<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

um zwei Syllogismen, bei denen <strong>die</strong> Konklusion des ersten eine der Prämissen des zweiten ist.<br />

21 Edgar Mors<strong>ch</strong>er hat mi<strong>ch</strong> darauf aufmerksam gema<strong>ch</strong>t, dass <strong>die</strong> von <strong>Bolzano</strong>s Text nahegelegte<br />

Version der ersten Ableitung, in der <strong>die</strong> beiden Vorkommnisse des Notwendigkeitsoperators gestri<strong>ch</strong>en<br />

sind, ni<strong>ch</strong>t formal s<strong>ch</strong>lüssig ist.

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