Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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raussetzung gilt: wenn falsch ist, was er gesagt haben soll, dann ist es wahr. Darin unterscheidet
sich das Dictum, das die Logiker Epimenides zuzuschreiben pflegen, fundamental von dem Satz
(*), der die Quelle der Antinomie der Falschheit ist.
Gilt kraft des Sinnes von ‘falsch’, dass Falsches nicht wahr ist, dann können wir unsere
Deduktion so fortsetzen:
1 (7) W ["x (Kx # Fx)] # ¬W ["x (Kx # Fx)] (6); Sinn von ‘F’
1 (8) ¬W ["x (Kx # Fx)] (7); Consequentia Mirabilis. 162
Nun fällt die Proposition, dass "x (Kx # Fx), also [3], gewiss nicht in die Wahrheitswert-Lücke.
Demnach dürfen wir unter der bislang festgehaltenen Voraussetzung behaupten, dass [3] falsch
ist, und im letzten Schritt können wir uns dann durch Konditionalisierung von dieser Vorausset-
zung unabhängig machen:
1 (9) F ["x (Kx # Fx)]
(10) K ["x (Kx # Fx)] # F ["x (Kx # Fx)] (1), (9); #Einführung. 163
Etwas an diesem Resultat ist paradox, beyond belief. Was auch immer ‘p’ für ein Satz sein
mag, – wenn es falsch ist, dass p, dann ist es nicht der Fall, dass p. Also folgt aus [9] die Negati-
on von [3]. Nun ist die Negation von [3] logisch äquivalent mit der Proposition, dass mindestens
eine durch eine Äußerung eines Kreters ausgedrückte Proposition nicht falsch ist, – in Symbolen:
¬"x (Kx # Fx) $ !x (Kx /!¬Fx). Eine durch eine Einsetzungsinstanz von ‘Kx /!¬Fx’ ausge-
drückte Wahrheit kann nun aber nicht identisch sein mit der einzigen von einem Kreter als wahr
hingestellten Proposition, die wir bislang kennen, m.a.W. sie muss von [3] verschieden sein;
denn von dieser Proposition haben wir ja gezeigt, dass sie falsch ist, wenn Epimenides gesagt
hat, was er gesagt haben soll. Demnach müsste, wenn er die ihm zugeschriebene Äußerung ge-
macht hat, die Falschheit von [3] garantieren, dass es noch mindestens eine andere Äußerung
eines Kreters gibt, deren Gehalt nicht falsch ist. Gewiss gibt es eine solche Äußerung. Aber kann
man diese historische Wahrheit daraus ableiten, dass Epimenides gesagt hat, was er gesagt haben
soll? Zu Recht findet Alonzo Church, dass man sich darüber wundern sollte. Er schreibt in einer
Rezension:
[I]t is said [sc. in Koyré’s paper 164 ] that Epimenides‘ statement is self-destructive, in the sense
that its truth is disproved by the given fact that Epimenides made it. Apparently M. Koyré
is untroubled by a consequence which, though no outright antinomy, might well be classed
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
162
Vgl. oben, Text zu Anm. 85.
163
In der Argumentation (1)-(10) habe ich versucht, Edgar Morschers kritische Überlegungen zu einer
früheren Fassung zu berücksichtigen.
164 Koyré (1946) 347-349, frz. in (1947) 9-11.