Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch
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tiv gespro<strong>ch</strong>en) nur von si<strong>ch</strong> handelt – <strong>und</strong> dass er in Welten, in denen er ni<strong>ch</strong>t so einsam ist,<br />
immerhin au<strong>ch</strong> von si<strong>ch</strong> handelt. <strong>Savonarola</strong>s zweites Exempel spri<strong>ch</strong>t für <strong>die</strong> Annahme, dass er<br />
mit ‘propositio’ sinnli<strong>ch</strong> wahrnehmbare Vorkommnisse von Sätzen, token-sentences meint. Dass<br />
er primär an mündli<strong>ch</strong>e Vorkommnisse denkt, wird glei<strong>ch</strong> zu Anfang des Handbu<strong>ch</strong>s klar: „Ar-<br />
gumente bestehen aus Sätzen, Sätze aus einfa<strong>ch</strong>en Wörtern (propositiones ex simplicibus vocibus<br />
componuntur)“, <strong>und</strong> ein Wort (vox) ist eine bestimmte Art von Geräus<strong>ch</strong> (sonus), also als etwas<br />
Hörbares. 78 Wenn man das, woraus ein Satz besteht, hören kann, dann muss au<strong>ch</strong> der ganze Satz<br />
akustis<strong>ch</strong> wahrnehmbar sein. Vers<strong>ch</strong>iedene reflexiv zu verstehende Äußerungen des Satzes ‘Hoc<br />
est falsum’ handeln von vers<strong>ch</strong>iedenen Äußerungen.<br />
<strong>Bolzano</strong> gibt <strong>Savonarola</strong>s selbstbezügli<strong>ch</strong>en 3-Wort-Satz erst mit (a), dann mit (b) <strong>und</strong><br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> mehrfa<strong>ch</strong> mit (c) wieder: 79<br />
(a) Die Rede, <strong>die</strong> i<strong>ch</strong> so eben führe, ist fals<strong>ch</strong><br />
(b) Was i<strong>ch</strong> jetzt sage, ist fals<strong>ch</strong><br />
(c) Was i<strong>ch</strong> so eben [oder: jetzt eben] behaupte, ist fals<strong>ch</strong>.<br />
Diese Formulierungen sind nahe Verwandte des Vaters aller F-Sätze, ‘36KF!"E$(&?1 / ego menti-<br />
or’. In (b) <strong>und</strong> (c) will <strong>Bolzano</strong> das einleitende ‘was’ im Sinne von ‘das, was’ verstanden wissen<br />
(80 9-10); vor dem Prädikat ‘ist fals<strong>ch</strong>’ steht also wie in (a) ein komplexer singulärer Term – <strong>und</strong><br />
keine komprimierte Quantorenphrase (‘alles, was …’). Mit <strong>einer</strong> Äußerung von (a) s<strong>ch</strong>reibt man<br />
<strong>die</strong>ser Äußerung Fals<strong>ch</strong>heit zu, mit Äußerungen von (b) <strong>und</strong> (c) klassifiziert man ihren Gehalt,<br />
das Gesagte / Behauptete als fals<strong>ch</strong>, <strong>und</strong> wenn man (c) äußert, attestiert man der Äußerung aus-<br />
drückli<strong>ch</strong> einen bestimmten illokutionären Modus. Die Formulierung (a) kommt <strong>Savonarola</strong> am<br />
meisten entgegen, während <strong>die</strong> Formulierungen (b) <strong>und</strong> (c) besser zu dem Paragraphen passen,<br />
zu dem <strong>die</strong> Anmerkung gehört. In WL § 19 soll der Leser erfahren, was der Verfasser unter ei-<br />
nem Satze an si<strong>ch</strong> verstehe (76). I<strong>ch</strong> nenne <strong>Bolzano</strong>s Sätze an si<strong>ch</strong> ‘Propositionen’ <strong>und</strong> reserviere<br />
das Wort ‘Satz’ für spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gebilde, <strong>die</strong> Propositionen ausdrücken können. (Dabei ist ‘Satz’<br />
immer eine Abkürzung für ‘Aussagesatz’.) Für <strong>Bolzano</strong> (wie für Frege) sind <strong>die</strong> primären Wahr-<br />
heitswert-Träger keine mündli<strong>ch</strong>en oder s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Satz-Vorkommnisse alias token-sentences,<br />
au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Sätze in specie alias type-sentences, sondern Propositionen. Vers<strong>ch</strong>iedene Äußerun-<br />
gen des deuts<strong>ch</strong>en Satzes ‘Sieben ist eine Primzahl’ drücken ein <strong>und</strong> <strong>die</strong>selbe Proposition aus.<br />
Ein Satz wie ‘I<strong>ch</strong> habe jetzt Kopfweh’ drückt im M<strong>und</strong>e von Person x zur Zeit t eine andere<br />
Proposition aus als zu <strong>einer</strong> anderen Zeit <strong>und</strong>/oder im M<strong>und</strong>e <strong>einer</strong> anderen Person, – man<strong>ch</strong>e<br />
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78 Logica 4-5.<br />
79 (a) 793-4, (b) 79 21-2, (c) 79 38, 80 7.16. Seitenzahlen ohne Bandnummer beziehen si<strong>ch</strong> fortan immer auf<br />
den ersten Band der WL.