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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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<strong>die</strong>ser Propositionen sind wahr, man<strong>ch</strong>e sind fals<strong>ch</strong>. 80 Alle Äußerungen von ‘I<strong>ch</strong> bin heute einen<br />

Tag älter als gestern’ drücken zwar wahre Propositionen aus, aber wenn Spre<strong>ch</strong>er oder Tag der<br />

Äußerung vers<strong>ch</strong>ieden sind, so handelt es si<strong>ch</strong> wegen der Differenz im Sa<strong>ch</strong>bezug um vers<strong>ch</strong>ie-<br />

dene Wahrheiten. Au<strong>ch</strong> von den Sätzen (a), (b) <strong>und</strong> (c) gilt jeweils: es gibt ni<strong>ch</strong>t so etwas wie <strong>die</strong><br />

Proposition, <strong>die</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Äußerungen des Satzes ausdrücken, – wenn sie denn überhaupt<br />

eine Proposition ausdrücken. (Au<strong>ch</strong> selbstbezügli<strong>ch</strong> zu interpretierende Äußerungen von ‘Hoc<br />

est falsum’ drücken vers<strong>ch</strong>iedene Propositionen aus, da sie von vers<strong>ch</strong>iedenen Äußerungen han-<br />

deln. Lassen wir uns ni<strong>ch</strong>t dadur<strong>ch</strong> verwirren, dass <strong>Savonarola</strong> – wie <strong>die</strong> meisten Autoren im<br />

Mittelalter <strong>und</strong> in der Renaissance – unter <strong>einer</strong> propositio gerade keine Proposition, sondern<br />

einen Satz, genauer: ein [mündli<strong>ch</strong>es] Satzvorkommnis versteht. Viele <strong>die</strong>ser Autoren pflegen<br />

Propositionen als enuntiabilia zu bezei<strong>ch</strong>nen.)<br />

Formulierung (a) passt ni<strong>ch</strong>t zu <strong>Bolzano</strong>s Konzeption der Wahrheitswert-Träger. Die For-<br />

mulierungen (b) <strong>und</strong> (c) passen zwar zu ihr, aber sie sind im Kontext <strong>einer</strong> Diskussion der F-<br />

Antinomie au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t optimal. Die Verwendung von ‘Das, was i<strong>ch</strong> jetzt gerade sage / behaupte,<br />

ist fals<strong>ch</strong>’ als Quelle <strong>einer</strong> (wirkli<strong>ch</strong>en oder vermeintli<strong>ch</strong>en) Paradoxie ist einem Einwand im Stil<br />

Moores ausgesetzt: Herr X, dem seine Liebe zu Frau Y abhanden gekommen ist, könnte seine<br />

briefli<strong>ch</strong>e Versi<strong>ch</strong>erung, er liebe sie immer no<strong>ch</strong>, während des S<strong>ch</strong>reibens mündli<strong>ch</strong> mit (b) oder<br />

(c) kommentieren, ohne dass si<strong>ch</strong> dabei au<strong>ch</strong> nur der Ans<strong>ch</strong>ein <strong>einer</strong> Paradoxie einstellen würde.<br />

Außerdem bringen (b) <strong>und</strong> (c) mit dem personalen <strong>und</strong> dem temporalen Indikator Begriffe ins<br />

Spiel, <strong>die</strong> ni<strong>ch</strong>t nötig sind, um <strong>Savonarola</strong>s F-Satz so umzuformulieren, dass ni<strong>ch</strong>t mehr etwas<br />

Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es als Anwärter auf einen Wahrheitswert ers<strong>ch</strong>eint. Die folgende Formulierung leistet<br />

das mit geringerem Aufwand, ohne Moores Einwand zu provozieren: 81<br />

(") Die Proposition, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser (!) Satz ausdrückt, ist fals<strong>ch</strong>.<br />

Hier ist <strong>die</strong> Anzahl der indexikalis<strong>ch</strong>en Elemente genau wie bei <strong>Savonarola</strong> auf Eins reduziert,<br />

auf eine (reflexiv gebrau<strong>ch</strong>te) demonstrative Kennzei<strong>ch</strong>nung. Diesen Ausdruck bitte i<strong>ch</strong> als Be-<br />

zei<strong>ch</strong>nung des einen Satzes in specie zu verstehen, von dem der Leser gerade ein s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>es<br />

Vorkommnis zu Gesi<strong>ch</strong>t bekommen hat. Auf <strong>die</strong>se Weise verwende i<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Phrase ‘<strong>die</strong>ser (!)<br />

Satz’ überall in <strong>die</strong>sem Aufsatz. In der von mir inten<strong>die</strong>rten Lesart drücken also alle Äußerungen<br />

von (") <strong>die</strong>selbe Proposition aus. Bis auf weiteres werde i<strong>ch</strong> nun <strong>die</strong> Formulierung (") als<br />

‘propositionalistis<strong>ch</strong>es’ Gegenstück zu <strong>Savonarola</strong>s ‘Dieser (!) Satz ist fals<strong>ch</strong>’ behandeln.<br />

In <strong>Savonarola</strong>s Augen ist eine reflexiv zu verstehende Äußerung von ‘Hoc est falsum’ (ge-<br />

nau wie eine Äußerung von ‘omnis propositio est falsa’ in <strong>einer</strong> mögli<strong>ch</strong>en Welt, in der es keine<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

80 Vgl. WL I 113, II 77-78.<br />

81 Dieser Formulierung findet man au<strong>ch</strong> in Moore (1962) 292, 314.

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