Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch
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ject“. 94 Aber in <strong>Savonarola</strong>s Text findet si<strong>ch</strong> keine Spur <strong>die</strong>ser Begründung. Dieses Missver-<br />
ständnis wurde vermutli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> <strong>Bolzano</strong>s Text veranlasst. Dort heißt es nämli<strong>ch</strong>: Man sollte<br />
glauben, daß S[avonarola] re<strong>ch</strong>t habe, <strong>und</strong> zwar besonders darum, weil das Subject eines Satzes<br />
do<strong>ch</strong> nie er selbst seyn kann, so wenig, als ein Theil das Ganze ausma<strong>ch</strong>en kann (79 16-18). Berg<br />
unterstellt ans<strong>ch</strong>einend, <strong>Bolzano</strong> referiere hier <strong>Savonarola</strong>s Begründung der These, dass es si<strong>ch</strong><br />
bei Gebilden wie (") gar ni<strong>ch</strong>t um einen Satz handelt. In Wahrheit spielt <strong>Bolzano</strong> hier den advo-<br />
catus diaboli (Fra Girolamo möge mir <strong>die</strong>sen Ausdruck verzeihen), um sodann zu zeigen, dass<br />
<strong>die</strong>se Begründung si<strong>ch</strong> zu Unre<strong>ch</strong>t auf <strong>die</strong> unbestreitbare Wahrheit<br />
"x "y (x ist ein e<strong>ch</strong>ter Teil von y # x $ y)<br />
beruft. 95 Er erweist <strong>die</strong>se Begründung dur<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en einem Satze als sol-<br />
<strong>ch</strong>em, <strong>und</strong> … der bloßen Vorstellung von ihm als haltlos: Ni<strong>ch</strong>t der Satz selbst, als Satz, sondern<br />
nur <strong>die</strong> Vorstellung von ihm, ma<strong>ch</strong>t <strong>die</strong> Subjectvorstellung in jenem Satze (i.e. in der Proposition<br />
["]) aus. Daß <strong>die</strong>se Unters<strong>ch</strong>eidung gegründet sey, beweiset der Umstand, daß man ni<strong>ch</strong>t etwa<br />
nur hier, sondern überall <strong>die</strong> Sa<strong>ch</strong>e selbst von dem Begriffe derselben unters<strong>ch</strong>eiden muß, will<br />
man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in <strong>die</strong> gröbsten Ungereimtheiten verwickeln (79 27-34). M.a.W. der Subjektbegriff<br />
in ["] wird ausgedrückt dur<strong>ch</strong> den singulären Term ‘<strong>die</strong> Proposition, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser (!) Satz aus-<br />
drückt’, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Begriff ist natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ["], – kein Begriff ist eine Proposition –, sondern<br />
["] fällt unter <strong>die</strong>sen Begriff.– Eine Variante der hier zu Re<strong>ch</strong>t zurückgewiesenen Argumentati-<br />
on findet man in Wittgensteins ‘Tractatus’: „Kein Satz kann etwas über si<strong>ch</strong> selbst aussagen,<br />
weil das Satzzei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> selbst enthalten sein kann, (das ist <strong>die</strong> ganze ‘Theory of ty-<br />
pes’).“ 96 Um etwas über si<strong>ch</strong> selbst auszusagen, muss der Satz si<strong>ch</strong> keineswegs selbst als e<strong>ch</strong>ten<br />
Teil enthalten, – es brau<strong>ch</strong>t bloß eine Bezei<strong>ch</strong>nung s<strong>einer</strong> selbst in ihm vorzukommen.<br />
Zurück zu <strong>Savonarola</strong>s Text. In seinem abs<strong>ch</strong>ließenden Verglei<strong>ch</strong> hebt er auf eine bemer-<br />
kenswerte Eigens<strong>ch</strong>aft man<strong>ch</strong>er Substantiv-Begleiter ab. Man<strong>ch</strong>e Nominalphrasen des Typs ‘ein<br />
q S’, in denen ein qualifizierender Ausdruck ‘q’ vor einem Substantiv ‘S’ steht, sind von der Art,<br />
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94 Berg (1962) 59, wiederholt in (1985) 15.<br />
95 Ganz im Sinne Bergs versi<strong>ch</strong>ert Larry Hickman: „<strong>Savonarola</strong> akzeptierte eine Fassung der ‘restrictio’“-Lösung<br />
des Paradoxons, „<strong>die</strong> behauptet, daß ein Teil <strong>einer</strong> Proposition ni<strong>ch</strong>t für <strong>die</strong> ganze Proposition,<br />
deren Teil sie ist, stehen (supponere pro) darf“ [ders. (1976) 399, 398]. Ans<strong>ch</strong>einend hat der Vf., der<br />
auf <strong>Savonarola</strong>s Compendium logices [sic] verweist, ni<strong>ch</strong>t <strong>die</strong>ses Bu<strong>ch</strong>, sondern nur <strong>die</strong> Anm. zu WL § 19<br />
in der Ausgabe <strong>Bolzano</strong> (1963) 25-27 <strong>und</strong> Berg (1962) gelesen: der Hg. Kambartel verweist nämli<strong>ch</strong> auf<br />
Bergs Interpretation, <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> er führt das Handbu<strong>ch</strong> mit dem Titel der späteren venezianis<strong>ch</strong>en Ausgaben<br />
an (s.u. ANHANG III). Au<strong>ch</strong> Elke Brendel (1992) 27, 42, cf. 217 übernimmt Bergs <strong>Savonarola</strong>-<br />
Deutung. Aber wie wir in § 3.2 sehen werden, stellt sie (wenn i<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t sehe, als erste) eine wesentli<strong>ch</strong>e<br />
Einsi<strong>ch</strong>t <strong>Bolzano</strong>s gebührend heraus.<br />
96 Wittgenstein (1922) 3.332, meine Hervorhebung. Dagegen au<strong>ch</strong> Moore (1962) 313, Martin (1967)<br />
279, Mates (1981) 22. Im Mittelalter s<strong>ch</strong>eint es kaum Anhänger der globalen restrictio, also des Verbots<br />
jegli<strong>ch</strong>en Selbstbezugs gegeben zu haben: vgl. Spade/Read § 2.4.