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Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch

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der Form ‘x steht ni<strong>ch</strong>t in der Relation R zu demjenigen Gegenstand, zu dem x in R steht’ kann<br />

man ni<strong>ch</strong>ts Wahres sagen, <strong>und</strong> wenn man Zweiwertigkeit annimmt, ergibt si<strong>ch</strong> daraus, dass mit<br />

B(c) (entweder gar keine oder) eine fals<strong>ch</strong>e Proposition ausgedrückt wird. <strong>Bolzano</strong>s Äquivalenz-<br />

These ist aber leider nur eine trockene Versi<strong>ch</strong>erung. Offenk<strong>und</strong>ig fals<strong>ch</strong> wäre <strong>die</strong> These, es<br />

handele si<strong>ch</strong> jeweils um <strong>die</strong>selbe Proposition; denn Äußerungen von B(c) drücken begriffli<strong>ch</strong><br />

komplexere Propositionen aus als Äußerungen von (c). Mindestens ebenso abwegig wäre <strong>die</strong><br />

Identitätsthese bei B(c) <strong>und</strong> ("): während vers<strong>ch</strong>iedene Äußerungen von B(c) vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Propositionen ausdrücken, drücken vers<strong>ch</strong>iedene Äußerungen von (") <strong>die</strong>selbe Proposition<br />

aus. 111 (I<strong>ch</strong> erinnere daran, dass i<strong>ch</strong> <strong>die</strong> Phrase ‘<strong>die</strong>ser (!) Satz’ als Bezei<strong>ch</strong>nung des einen Sat-<br />

zes in specie verstanden wissen mö<strong>ch</strong>te, in dem sie auftritt.) Eine in mehrfa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t verfehl-<br />

te Kritik an <strong>Bolzano</strong>s kritikwürdiger Äquivalenz-These hat der Phänomenologe Hans Lipps vor-<br />

gebra<strong>ch</strong>t: „Diese Glei<strong>ch</strong>setzung ist … verkehrt. Denn ‘i<strong>ch</strong> lüge’ meint do<strong>ch</strong> wohl ‘was i<strong>ch</strong> be-<br />

haupte, ist ni<strong>ch</strong>t so wie behauptet’.“ 112 Erstens ist eine Äquivalenzthese keine Glei<strong>ch</strong>setzung.<br />

Zweitens hätte <strong>Bolzano</strong> <strong>die</strong> Voraussetzung Lipps, dass ‘Was i<strong>ch</strong> so eben behaupte, ist fals<strong>ch</strong>’<br />

dasselbe wie der von ihm substituierte Satz ‘I<strong>ch</strong> lüge’ bedeutet, zu Re<strong>ch</strong>t bestritten. Und drittens<br />

heißt ‘x lügt’ ganz gewiss ni<strong>ch</strong>t soviel wie ‘was x behauptet, ist ni<strong>ch</strong>t so wie behauptet’, denn<br />

sonst wäre ja jede fals<strong>ch</strong>e Behauptung eine Lüge.<br />

mit (c) <strong>und</strong><br />

<strong>Bolzano</strong> unterstellt <strong>Savonarola</strong> <strong>die</strong> Ansi<strong>ch</strong>t, dass <strong>die</strong> Propositionen, <strong>die</strong> im selben Kontext<br />

(d) Was i<strong>ch</strong> so eben behaupte, ist wahr<br />

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111 Au<strong>ch</strong> etli<strong>ch</strong>e mittelalterli<strong>ch</strong>e Autoren haben (mit sehr vers<strong>ch</strong>iedenen Argumenten) <strong>die</strong> These vertreten,<br />

dass mit F-Sätzen Fals<strong>ch</strong>es gesagt wird (vgl. Spade/Read §§ 3-4), bspw. um 1350 Jean Buridan<br />

[Sophisma Nr. 11, in: Buridan (1977) 143-145, (1982) 86-91] <strong>und</strong> etwa 50 Jahre später Paolo Veneto.<br />

Dessen Argument für das Fals<strong>ch</strong>heitsverdikt, der fünfzehnte der von ihm erörterten Lösungsvors<strong>ch</strong>läge,<br />

wird in Bo<strong>ch</strong>e!ski 291-292 formal rekonstruiert. In (kritis<strong>ch</strong>er) Anknüpfung daran versu<strong>ch</strong>t Mors<strong>ch</strong>er<br />

(1989), für <strong>Bolzano</strong>s Andeutungen in der <strong>Savonarola</strong>-Anmerkung Entspre<strong>ch</strong>endes zu leisten. Da <strong>Bolzano</strong>s<br />

Äquivalenzthese au<strong>ch</strong> bei <strong>die</strong>ser aufwendigen Rekonstruktion eine trockene Versi<strong>ch</strong>erung bleibt <strong>und</strong><br />

da i<strong>ch</strong> eine ‘direkte’ Analyse des WL-Textes ergiebiger finde, habe i<strong>ch</strong> auf eine Diskussion <strong>die</strong>ses Aufsatzes<br />

verzi<strong>ch</strong>tet. Zur Kritik an Bo<strong>ch</strong>e#skis Rekonstruktion vgl. au<strong>ch</strong> Brendel (1992) 32-37. In seinem<br />

Kommentar zur Logik des Petrus Hispanus befürwortete Luthers Widersa<strong>ch</strong>er Johann Eck das Fals<strong>ch</strong>heitsverdikt<br />

(Augsburg 1516): vgl. Rüstow 116; Ashworth (1972) 45. Im 20. Jh. vertraten Tarskis Doktorvater<br />

Stanis%aw Le&niewski (1913), hier: 77-82 [vgl. Betti (2004)] <strong>und</strong> Eugene Mills (1998) <strong>die</strong>se Auffassung.<br />

[Mills’ Argument für das Fals<strong>ch</strong>heitsverdikt setzt eingestandenermaßen voraus, dass mit einem<br />

Satz der Form ‘Dass p, ist wahr’ stets <strong>die</strong>selbe Proposition ausgedrückt wird wie mit dem eingebetteten<br />

Satz allein. Mit <strong>die</strong>ser (Frege’s<strong>ch</strong>en) Identitätsthese habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> in (2003) 34-52, 229-230, 450-452<br />

u. in (2010) 410-423 kritis<strong>ch</strong> auseinandergesetzt.]<br />

112 Lipps (1923) 336. (Auf <strong>Bolzano</strong> dürfte ihn sein Göttinger Lehrer Husserl aufmerksam gema<strong>ch</strong>t<br />

haben: vgl. Künne (1997) 347-359.)

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