Bolzano vs. Savonarola und die Geschichte einer ... - Philosophie.ch
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haben, wenn er si<strong>ch</strong> <strong>und</strong> allen seinen (männli<strong>ch</strong>en) Landsleuten <strong>die</strong>ses s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Zeugnis aus-<br />
stellt; denn au<strong>ch</strong> ein notoris<strong>ch</strong>er Lügner sagt ja gelegentli<strong>ch</strong> etwas Wahres. Und dass sein Zeuge<br />
genau das in s<strong>einer</strong> Äußerung tut, versi<strong>ch</strong>ert der Briefs<strong>ch</strong>reiber. Daran ist ni<strong>ch</strong>ts paradox. 190 Hie-<br />
ronymus hat den Text besser verstanden als <strong>die</strong> Logiker des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts: 191<br />
[Der Kreter Epimenides hat insofern etwas Wahres gesagt,] als er das den Kretern angeborene<br />
Laster der Verlogenheit (ingenitum Cretensium vitium … mendacii) darstellte. Von den<br />
Kretern gilt ja deshalb, weil sie verlogen sind, ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>, dass sie niemals etwas Wahres<br />
gesagt haben (qui quia fallaces sunt, non statim et verum non aliquando dixerunt).<br />
Wie wir auf den ersten Seiten <strong>die</strong>ses Aufsatzes sahen, hat <strong>Bolzano</strong> in WL III § 377 mit dem<br />
Hinweis auf <strong>die</strong> Differenz zwis<strong>ch</strong>en den Begriffen lügen <strong>und</strong> ein Lügner sein ein Argument als<br />
Trugs<strong>ch</strong>luss entlarvt. Mit der Antinomie der Fals<strong>ch</strong>heit hatte <strong>die</strong>ses Argument ni<strong>ch</strong>ts zu tun. Just<br />
das gilt au<strong>ch</strong>, wie wir in <strong>die</strong>sem Paragraphen gesehen haben, von der Bes<strong>ch</strong>impfung der (männ-<br />
li<strong>ch</strong>en) Kreter dur<strong>ch</strong> ihren Landsmann <strong>und</strong> den unbekannten Verfasser des ‘Briefs an Titus’. Als<br />
Legende hat si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> herausgestellt, dass in <strong>die</strong>sem Brief, von seinem Verfasser unbemerkt, das<br />
sogenannte Paradox des Epimenides auftritt. *)<br />
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190 In seinem ebenso erhellenden wie witzigen Aufsatz geht Anderson, der den ‘Brief an Titus’ im<br />
Original <strong>und</strong> mehreren (in <strong>die</strong>sem Punkt korrekten) Übersetzungen zu Wort kommen lässt, von ‘are liars’<br />
zu ‘lie’ über <strong>und</strong> dann von ‘lie’ zu ‘utter a falsehood’, als handle es si<strong>ch</strong> in beiden Fällen bloß um stilistis<strong>ch</strong>e<br />
Varianten [Anderson (1970) 2-3]. Und Kripke lässt den Autor des ‘Briefs an Titus’ <strong>und</strong> seinen kretis<strong>ch</strong>en<br />
Gewährsmann von <strong>einer</strong> Gesamtheit von „Cretan utterances“ reden, wo <strong>die</strong>se vom Charakter der<br />
Kreter spre<strong>ch</strong>en, <strong>und</strong> er behauptet von der F-Antinomie: „as is well known, [it] arises in a New Testament<br />
context“ [Kripke (1975) 690 / repr. 53]. Das Verbum in „well known“ ist faktiv, do<strong>ch</strong> <strong>die</strong> These über das<br />
NT, so populär sie au<strong>ch</strong> in Philosophen-Kreisen sein mag, ist fals<strong>ch</strong>. (Diese historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>e Marginalie<br />
lässt natürli<strong>ch</strong> alles, was auf den ersten Absatz in Kripkes Aufsatz folgt, vollkommen unberührt.)<br />
191 Hieronymus, Comm. I: 723-726.<br />
*) Für kritis<strong>ch</strong>e Hinweise zu vers<strong>ch</strong>iedenen Teilen <strong>die</strong>ses Aufsatzes danke i<strong>ch</strong> Benjamin S<strong>ch</strong>nieder,<br />
Hermann Weidemann <strong>und</strong> insbesondere Edgar Mors<strong>ch</strong>er.