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die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette

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Stellen Sie sich vor, Sie gehörten einem<br />

Stadt- oder Gemeinderat an. Vor Ihnen<br />

liegt der Lebenslauf eines vielfach ver<strong>die</strong>nten,<br />

wenngleich nicht unumstrittenen<br />

Mannes. Der Lebenslauf – Sie sind<br />

ein aufgeklärter Genosse Ihrer Zeit und<br />

gehören darum dem gemäßigt fortschrittlichen,<br />

das heißt nach allgemeiner<br />

Auffassung dem einzig vernünftig-diskutablen<br />

Flügel Ihres Rates an – ist nicht<br />

alltäglich, in manchem vielleicht sogar<br />

merkwürdig, ja anstößig.<br />

- Der zu Ehrende, 1957 verstorben,<br />

war ein Kirchenmann, jahrzehntelang<br />

evangelischer Landesbischof in Bayern,<br />

der erste übrigens mit solcher Bezeichnung<br />

in seinem Amt.<br />

- Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus,<br />

für ihn wie für viele seiner Generation<br />

<strong>die</strong> größte Ge wissensprüfung seines<br />

Lebens, war zu mindest zwiespältig. <strong>Die</strong><br />

Archivare Ihrer Stadtverwaltung (ich<br />

spreche Sie noch immer als Ratsmitglied<br />

an) berichten eilfertig von höchst<br />

anfechtbaren antisemitischen Äußerungen<br />

aus einer Zeit, als der Kandidat noch<br />

gar nicht Bischof seiner Landeskirche<br />

war und wir uns noch mitten in der Weimarer<br />

Republik befinden.<br />

- Sein Verhalten in Hitlers Diktatur,<br />

der Staatsmacht gegenüber, war ambivalent:<br />

verständnisvoll, ja hilfreich, sogar<br />

lebensrettend im Privaten, leisetreterisch<br />

und mit den Wölfen heulend in<br />

mancher öffentlichen Äußerung; aber<br />

dann auch wieder seltsam zäh.<br />

- In der Nachkriegszeit, als er neben<br />

dem katholischen „Amtsbruder“ Kardinal<br />

Michael von Faulhaber eine der<br />

wenigen übrig gebliebenen ethischen<br />

Instanzen in einer moralischen Ruinenlandschaft<br />

war, übte er in manchen sogar<br />

belegbaren Fällen allzu rasch politisches<br />

Vergeben und Vergessen, und vor allem<br />

– er reihte sich sofort ein in <strong>die</strong> antikommunistische<br />

Abwehrfront, in der er so<br />

weit ging, dass er noch lange nach 1945<br />

Sozialdemokraten und Kommunisten<br />

gleichsetzte; und gegen eine Abspaltung<br />

der bayerischen Protestanten von der<br />

CSU vor allem deshalb war, weil seiner<br />

Meinung nach dadurch automatisch <strong>die</strong><br />

SPD zur stärksten Partei in Bayern zu<br />

werden drohte.<br />

MARGINALIE<br />

Eine Petitesse und mehr als das<br />

Revisionismus hoch zwei<br />

Würden Sie einem solchen Manne mit<br />

Ihrer Stadtratsstimme zur Ehre der<br />

Umbenennung einer Straße auf seinen<br />

Namen verhelfen wollen? Würden Sie so<br />

weit gehen, einen Teil der altehrwürdigen,<br />

wenngleich auch selbst mit leicht<br />

anrüchiger Vergangenheit behafteten<br />

Arcisstraße zu München <strong>die</strong>sem Mann<br />

zu Ehren auf den Namen Meiserstraße<br />

umzutaufen?<br />

Selbstverständlich würden Sie das<br />

nicht tun.<br />

Und dabei hätten Sie voll und ganz<br />

Recht.<br />

Nur: das ist gar nicht das Problem.<br />

<strong>Die</strong>se Aufgabe hätten Sie niemals zu<br />

erfüllen gehabt.<br />

Ihre Aufgabe jetzt, im Jahr 2007, war<br />

<strong>die</strong> genau entgegengesetzte: Sie sollten<br />

eine Be-Nennung, <strong>die</strong> aus dem Kenntnis-<br />

und Bewusstseinsstand des Jahres<br />

1957 mit all den Idiosynkrasien und<br />

blinden Flecken von damals vorgenommen<br />

worden war, rückgängig machen –<br />

durch den höchst seltenen politischen<br />

Akt der Ent-Nennung einer öffentlichen<br />

Straße. Und zwar desselben Stücks, das<br />

vierzig Jahre zuvor <strong>die</strong>sen Namen nicht<br />

einfach deshalb bekommen hatte, weil<br />

eine Straße eben einen Namen braucht,<br />

sondern ausdrücklich in dem gesteigerten<br />

politischen Lebensgefühl, dass eine<br />

Stadt und deren Gesellschaft damit eine<br />

Person ehren wollten, in deren öffentlicher<br />

Schuld sie sich glaubten. So geschehen<br />

und vollzogen von der rot-grünen<br />

Mehrheit des Stadtrats der Landeshauptstadt<br />

München mit förmlichem<br />

Beschluss vom 18. Juli 2007.<br />

Aus der kurzen Münchner Meiserstra -<br />

ße, ehemals Teil der Arcisstraße, sollte an<br />

<strong>die</strong>sem Julitag 2007 etwas anderes werden.<br />

Was, das ist in <strong>die</strong>sem Rechtsakt<br />

noch nicht enthalten und soll künftigem<br />

Bedenken überlassen bleiben. So dass<br />

man im derzeitigen politisch-rechtlichen<br />

Zu stand zwar nicht mit akzeptiertem<br />

Terminus, jedoch zur besseren<br />

Kennzeichnung bis auf weiteres von der<br />

Ent mei serung einer Münchner Straße<br />

reden darf.<br />

Das Echo auf <strong>die</strong>se Stadtratsentscheidung<br />

war in der Münchner Öffentlichkeit,<br />

bei der lokalen Presse und bei den<br />

üblichen verdächtigen Leserbriefschreibern<br />

vor allem von einem gekennzeichnet:<br />

Man fragte sich überwiegend, ob<br />

aus heutiger historischer Sicht der evangelische<br />

Landesbischof Hans Meiser<br />

<strong>die</strong>se Ab-Erkennung ver<strong>die</strong>nt habe, man<br />

tauschte durchaus kontrovers Argumente<br />

aus, ob er in solchem Ausmaße<br />

An ti semit gewesen und ob ein Mann seiner<br />

Stellung, der nach dem Polenfeldzug<br />

Dankgebete für den Erfolg der deutschen<br />

Waffen habe sprechen lassen,<br />

noch tragbar sei. Man sammelte auf beiden<br />

Seiten, bei Befürwortern wie Gegnern<br />

des Antrags, Belege aus der Vita<br />

Hans Meisers, Belege, <strong>die</strong> ihn je nachdem<br />

be- oder entlasten sollten.<br />

Gewiss: mit einer großen reservatio<br />

men talis wies Münchens Oberbürgermeister<br />

Christian Ude in seiner bemerkenswerte<br />

Rede vor dem Stadtrat darauf<br />

hin, dass man <strong>die</strong> Bedingungen des Jahres<br />

1957, als unter dem sozialdemokratischen<br />

Oberbürgermeister Thomas<br />

Wim mer <strong>die</strong> Stadt München den Na -<br />

men Meiserstraße beschloss, sehr wohl<br />

berücksichtigen müsse. Und dennoch<br />

verlief <strong>die</strong> gesamte Diskussion de facto<br />

so, als hätte Münchens Stadtrat jetzt,<br />

2007, ganz neu zu entscheiden, ob es<br />

von nun an eine Meiserstraße geben solle<br />

oder nicht. Genau das war das Verfahren<br />

oder, wenn man will, der innere Mechanismus<br />

der Diskussion. Verkürzt ausgedrückt,<br />

ging es immer darum, ob Meiser<br />

durch seine Taten oder Unterlassungen<br />

<strong>die</strong>se Ehrung nun ver<strong>die</strong>nt oder verwirkt<br />

habe. Hauptargument dabei war Meisers<br />

Antisemitismus, und für ein gelassenes<br />

Abwägen des zeitgenössischen Um -<br />

felds und der Bedeutungsnuancen ist<br />

<strong>die</strong>ses Thema auch heute in der deutschen<br />

Öffentlichkeit (aus mancherlei<br />

gu ten Gründen) noch viel zu heikel. Da -<br />

zu kam, dass den Beschlussakten eine<br />

formal zwar Neutralität betonende, in -<br />

haltlich jedoch unmissverständliche<br />

Presseerklärung der Präsidentin der Israelitischen<br />

Kultusgemeinde für München<br />

und Oberbayern beilag. Welche<br />

Wir kung eine solche Verlautbarung von<br />

solcher Seite hat, auch wenn ihr in dem<br />

Verfahren keinerlei juristische Funktion<br />

zukommt, braucht wohl nicht betont zu<br />

werden.<br />

<strong>Die</strong> Frage bleibt: Ist <strong>die</strong> „Ent-Nennung“<br />

einer Straße kommunalpolitische<br />

Petitesse, Lokalposse – oder was? Das zu<br />

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