die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
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ungebremste und nahezu unverhüllte Gewalt -<br />
anwendung gegen Minderheiten (z. B. <strong>die</strong> Falun-<br />
Gong), politischen Dissidenten im Inneren und<br />
benachbarten Kulturen (z. B. Tibet) gegenüber, <strong>die</strong><br />
Zensur des Internet, <strong>die</strong> weltweite Spionage (bis<br />
hinein in <strong>die</strong> Computer der Bundesrepublik und<br />
des amerikanischen Regierungsapparats), <strong>die</strong><br />
Unterstützung von skrupellos gewalttätigen<br />
Regimen (Sudan, Myanmar) aus energiepolitischen<br />
Gründen, das geradezu kindisch wirkende „Belei -<br />
digtsein“, wenn der Dalai Lama wieder einmal<br />
irgendwo in der Welt geehrt wird – all das konter -<br />
kariert den Anspruch, künftig eine, wenn nicht gar<br />
<strong>die</strong> Weltmacht sein zu wollen.<br />
Sicher, da sind <strong>die</strong> Wachstumswerte der<br />
Wirtschaft, an denen besonders westliche Experten<br />
sich berauschen. Aber ist eine „Weltmacht“ denkbar<br />
ohne Werte, <strong>die</strong> auch für andere attraktiv sind, ohne<br />
Programm für ein auch für den Rest der Welt<br />
gedeihliches Zusammenleben? Man vergleiche <strong>die</strong><br />
pax romana, <strong>die</strong> freiheitlichen Ideale Frankreichs,<br />
<strong>die</strong> liberalen und rechtsstaatlichen Prinzipien<br />
Englands. Dass <strong>die</strong>se Programme oft vorwandhaft<br />
eingesetzt wurden, sei eingeräumt. Aber eine<br />
„Weltmacht“, <strong>die</strong> nichts anderes vor sich herträgt<br />
als den Anspruch auf Herrschaft? Immerhin spricht<br />
einiges dafür, dass China das Problem erkannt hat.<br />
So hat es damit begonnen, im Ausland „Konfuzius-<br />
Institute“ zu eröffnen, und sich <strong>die</strong> Ausrichtung<br />
einer Olympiade gesichert. <strong>Die</strong> Sommerspiele 2008<br />
in Peking werden Aufschluss darüber geben, wie<br />
China sich künftig dem Rest der Welt präsentieren<br />
will.<br />
In dem Buch von Buru ma/Margalit wird<br />
auf einen Zusammenhang zwischen praktiziertem<br />
Kolonialismus und der Herausarbeitung universel -<br />
ler Menschenrechte hin gewiesen. Beides geschah<br />
gleichzeitig. Europa handelte imperial und<br />
kritisierte eben <strong>die</strong>s an sich selbst. Es setzte sich<br />
selbst absolut – und lernte dabei, sich selbst zu<br />
relativieren. Eben <strong>die</strong>se These belegt Walter Veit,<br />
ein in Melbourne lehrender Kulturwissenschaftler,<br />
in seiner Arbeit Topik einer besseren Welt (Georg-<br />
Forster-Stu<strong>die</strong>n XI, 2006). Er zitiert darin all <strong>die</strong><br />
Europäer, Missionare, Forschungsreisenden,<br />
Philosophen, <strong>die</strong> sich der Vereinnahmung der<br />
anderen Kulturen durch Europa widersetzt haben:<br />
Las Casas, Joseph Banks, Georg Forster, Diderot,<br />
um nur einige zu nennen. Von Georg-Christoph<br />
Lichtenberg (1742-1799) stammt der Aphorismus:<br />
„Der Amerikaner, den Kolumbus zuerst entdeckte,<br />
machte eine böse Entdeckung.“<br />
Folgt man <strong>die</strong>ser Spur, wird erkennbar, dass <strong>die</strong><br />
Herausarbeitung der Begriffe des „Naturrechts“<br />
(Grotius, Hobbes, Pufendorf, Thomasius, Wolff,<br />
Rousseau, Fichte, Schelling), des säkularen Staates<br />
als Ergebnis eines „gesellschaftlichen Vertrags“<br />
(Wilhelm von Occam, Marsilius von Padua,<br />
Thema<br />
Hobbes, Kant, Fichte), der „individuellen Freiheits -<br />
rechte“ (Kant, Schelling), aus zwei Traditions -<br />
strängen heraus erfolgte: der Binnengeschichte<br />
Europas und seiner selbstkritischen Verarbeitung<br />
der Begegnung mit anderen Kulturen. Eben <strong>die</strong>se<br />
Begriffe konnten von Freiheitskämpfern wie<br />
Mahatma Ghandi und Nelson Mandela, <strong>die</strong> beide<br />
Kulturen kannten, ihre eigene und <strong>die</strong> europäische,<br />
gegen Europa selbst ins Feld geführt werden.<br />
Begriffe wie „Terre des Hommes“, Organisationen<br />
wie „Cap Anamur“, „Médecins sans frontières“,<br />
„Ärzte für <strong>die</strong> Dritte Welt“ und politische<br />
Gruppierungen wie Attac gehen auf <strong>die</strong>selbe<br />
Tradition zurück.<br />
Das anthropologisch-ethische Postulat, dass <strong>die</strong><br />
Menschen sich untereinander – sei es in der<br />
gemeinsamen Gotteskindschaft, sei es in der<br />
Teilhabe an menschlicher Vernunft – als<br />
gleichwertig anerkennen müssten, hat in der<br />
Philosophie der Gegenwart eine pragmatische<br />
Wende genommen: hin zur Be schreibung eines<br />
angemessenen zwischenmenschlichen Handelns.<br />
Sie ergab sich aus der Sprech akttheorie, deren<br />
Entwicklung vor allem mit den Namen John L.<br />
Austin und John Searle verbunden ist. Ihre Anwen -<br />
dung auf eine allgemeine Theorie des kommuni -<br />
kativen Handelns (1980) hat Jürgen Ha bermas<br />
vollzogen. Für den komplexen Zusammenhang der<br />
Verhandlung des Klimawandels lassen sich daraus<br />
wenigstens zwei Fragestellungen übernehmen: (1)<br />
Worauf lässt sich der Konsens darüber gründen, in<br />
welchem Rahmen <strong>die</strong> Verhandlungen stattfinden<br />
sollen, und (2) welche Funktion kommt der global<br />
gewordenen Öffentlichkeit dabei zu?<br />
(1) Soweit ich sehe, gibt es einen weitgehenden<br />
Konsens darüber, dass nur <strong>die</strong> Vereinten Nationen<br />
den Verhandlungsrahmen abgeben können. Er<br />
gründet sich auf <strong>die</strong> seit 1945 erprobte<br />
Integrationskaft der UN und <strong>die</strong> rational<br />
unabweisliche Einsicht, dass alle Nationen und<br />
Gesellschaften vom Klimawandel betroffen sein<br />
werden. Wie wichtig <strong>die</strong>se Rahmengebung ist, lässt<br />
sich an den Widerständen dagegen ablesen. So<br />
haben <strong>die</strong> USA im Vorfeld der Versammlung aller<br />
Regierungschefs im September 2007, in der von<br />
172 Mitgliedern eine Fortsetzung des Kyoto-<br />
Prozesses beschlossen wurde, eine Konkurrrenz -<br />
versammlung etabliert, in der <strong>die</strong> Reduzierung des<br />
CO 2 -Ausstoßes von den größten Schadstoff -<br />
emittenten verhandelt werden soll – auf der Basis<br />
völliger Freiwilligkeit, in exklusiver Runde, dem<br />
Druck der Weltmeinung entzogen. <strong>Die</strong>se Taktik ist<br />
nur allzu gut verständlich. Da alle Staaten, alle<br />
Länder, Regionen, Kommunen, ja <strong>die</strong> allermeisten<br />
Privathaushalte von den Veränderungen betroffen<br />
sind, werden extrem multilaterale Verhandlungen<br />
zu führen sein und der Druck der globalen<br />
Mehrheit auf <strong>die</strong> einzige Weltmacht könnte extrem<br />
groß werden.