die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Klimawandel<br />
Lassen wir <strong>die</strong> Unterschiede zwischen Arm und<br />
Reich innerhalb einer Gesellschaft einmal beiseite<br />
und konzentrieren uns auf das intergesellschaftliche<br />
Gefälle zwischen Arm und Reich.<br />
Offenbar überlagern sich hier zwei Aspekte<br />
menschlicher Evolution: der anthropologische und<br />
der machtgeschichtliche. Zum <strong>ersten</strong> Problem -<br />
komplex hat <strong>die</strong> Kulturanthropologie in den letzten<br />
Jahrzehnten Erhellendes gesagt. Jared Diamond hat<br />
in seinem Buch Arm und Rich. <strong>Die</strong> Schicksale<br />
menschlicher Gesellschaften (deutsch 2004) und in<br />
seinem neuesten Werk Kollaps (deutsch 2005) den<br />
Zusammenhang zwischen naturgegebenen Lebens -<br />
bedingungen und vor- bzw. früh geschicht lichen<br />
Schicksalen der verschiedenen Gruppen und<br />
Gesellschaften durchschaubar gemacht.<br />
Auf eben <strong>die</strong>se – ungleichen – Ausgangsbedin -<br />
gungen hat sich Weltgeschichte gleichsam drauf -<br />
gesetzt. Der Anstoß zur Globalisierung ging von<br />
Europa aus. <strong>Die</strong> Epoche, <strong>die</strong> euphemistisch als<br />
„Zeitalter der Entdeckungen“ bezeichnet wird,<br />
begann in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts<br />
und war durch Eroberung, Missionierung und<br />
Ausbeutung bestimmt. <strong>Die</strong> Folgen <strong>die</strong>ser Über -<br />
wälti gung werden aus der Entwicklung der betrof -<br />
fenen Gesellschaften niemals heraus zurechnen sein.<br />
Wo sie plötzlich hervorbrechen wie im islamis -<br />
tischen Terror heute, stiften sie Verwirrung und<br />
Entsetzen. Es ist im kollektiven Bewusstsein<br />
Europas/Nordamerikas nicht ausreichend präsent,<br />
dass mit dem faktischen Ende der Kolonial -<br />
herrschaft <strong>die</strong> Verstrickung des Abendlandes in <strong>die</strong><br />
Entwicklung der außer europäischen Kulturen<br />
nicht beendet ist.<br />
Auf eine Spätfolge <strong>die</strong>ser Verstrickung haben Ian<br />
Buruma und Avishai Margalit in ihrem Buch<br />
Occidentalism (2004) hingewiesen. Der Titelbegriff<br />
„Okzidentalismus“ steht dabei für Das Ressenti -<br />
ment der kolonial Überwältigten gegen all das, was<br />
ihnen von seiten ihrer Überwältiger zugefügt<br />
worden ist und was sie noch heute in der Ein -<br />
stellung „des Westens“ ihnen gegenüber zu<br />
erkennen meinen. Das bezieht sich nicht nur auf <strong>die</strong><br />
Anwendung militärischer und wirtschaftlicher<br />
Gewalt, sondern auch <strong>die</strong> kulturelle Dominanz.<br />
Dass <strong>die</strong>ses Ressentiment durchaus zwiespältig ist,<br />
sieht man an all dem, was vom Abendland<br />
zustimmend übernommen wurde: Naturwisssen -<br />
schaft, Technologie und vor allem <strong>die</strong> Errungen -<br />
schaften der modernen westlichen Medizin.<br />
Aus der Überwältigung durch „den Westen“, <strong>die</strong><br />
zu einer Entgleisung der eigenen Kultur entwick -<br />
lung führte, leitet sich heute der Anspruch auf<br />
„nachholende Entwicklung“ ab. Global wird <strong>die</strong>ses<br />
Problem dann, wenn es darum geht, wieviel<br />
Nachholung <strong>die</strong>se Gesellschaften sich angesichts<br />
des Klimawandels werden leisten können. Das<br />
Paradebeispiel dafür ist China – auch wenn China<br />
in seinen kulturellen Ausgangsbedingungen nicht<br />
Pieter Brueghel d. Ä., <strong>Die</strong> Heimkehr der Jäger (1565)<br />
benachteiligt und niemals als Ganzes kolonial<br />
geknebelt war. China will und kann „aufholen“, es<br />
hat <strong>die</strong> Menschen und <strong>die</strong> kulturelle Befähigung<br />
dazu, große Teile der Welt mit konkurrenzlos<br />
billigen Produkten zu versorgen. Aber um welchen<br />
Preis? Dass es sich mit seiner restriktiven Sozial -<br />
politik selbst gefährdet, mag Sache der Chinesen<br />
sein. Aber <strong>die</strong> Umweltbelastungen, <strong>die</strong> von Chinas<br />
technologisch rückständiger Industrie produziert<br />
werden, gehen nicht nur den Bürgern Chinas an <strong>die</strong><br />
Atemluft.<br />
Ganz neue Fragen stellen sich uns:<br />
Welche Bilder von der Gleichheit aller Menschen<br />
lassen sich mobilisieren? Welche Konzepte<br />
kultureller Differenz und Gleichwertigkeit sind<br />
bisher entwickelt worden? Welche Begründungen<br />
universaler Menschenrechte sind geeignet,<br />
kulturelle, religiöse Differenzen akzeptabel zu<br />
machen? Welche Rahmenbedingungen eignen sich<br />
für <strong>die</strong> Verhandlung <strong>die</strong>ser allseitigen<br />
Zusammenhänge?<br />
Jeder menschliche Verband handelt in seinem<br />
eigenen Interesse, aber <strong>die</strong> Unterschiede darin, wie<br />
es vertreten wird, sind erheblich. Sie ergeben sich<br />
aus den Erfahrungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Gesellschaften im Umgang mit anderen<br />
Gesellschaften gemacht haben. Der erste Faktor, der<br />
ins Auge fällt, ist der Umfang bzw. <strong>die</strong> Häufigkeit<br />
von Außenkontakten.<br />
Japan zum Beispiel hat auf Grund seiner Inselund<br />
Randlage eine Geschichte relativ kurzer<br />
Episoden intensiver Außenkontakte und langer<br />
Perioden strikter Abgeschlossenheit. So hatte das<br />
Land bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wenig<br />
Anlass, sein eigenes Fremdheitsprofil gegenüber<br />
anderen Kulturen zu reflektieren, sich selbst als eine<br />
Kultur unter anderen zu verstehen und zu<br />
modellieren.<br />
Ähnliches gilt – erstaunlicherweise – für China,<br />
das „Reich der Mitte“. Hier haben ganz andere<br />
Gründe zu einem Selbstverständnis geführt, das<br />
Gedanken darüber, wie man auf andere wirkt,<br />
unnötig und daher unwahrscheinlich gemacht. <strong>Die</strong><br />
Unbefangenheit, ja Naivität, in der auch das<br />
gegenwärtige Regime seine imperialen<br />
Machtansprüche auslebt, sind verblüffend. <strong>Die</strong><br />
27