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die vermeidbare katastrophe die ersten warnzeichen ... - Die Gazette

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überlegen, reicht aber über München<br />

und den lokalpolitischen Anlass weit<br />

hinaus. Denn <strong>die</strong> Mentalität und <strong>die</strong><br />

Antriebe, denen man da begegnet (und<br />

denen man punktuell redliches Wollen<br />

durchaus zusprechen mag), dürften, wie<br />

auch aus anderen Beispielen zu ersehen,<br />

nicht auf eine bestimmte Stadt Deutschlands<br />

beschränkt sein. Schon bei der<br />

Cau sa Meiser/Entmeiserung ist München<br />

nur Nachahmungstäterin nach<br />

Neu endettelsau und Nürnberg, wobei<br />

de ren Voraussetzungen allerdings je -<br />

weils andere waren.<br />

Bei Ansätzen wie <strong>die</strong>sen handelt es sich<br />

allem Anschein nach um eine sehr spezifische<br />

Form von Geschichtsrevisionismus.<br />

Sie ist insofern interessant, als Entscheidungen<br />

aus der Nachkriegszeit<br />

über deren eigene Vergangenheit, und<br />

da besonders über <strong>die</strong> hochproblematische<br />

NS-Zeit samt Folgen, nun bereits<br />

ihrerseits als historisch betrachtet werden;<br />

als „historisch“ in jenem Sinne, dass<br />

jede Epoche das Recht hat, <strong>die</strong> Ge -<br />

schichte neu zu schreiben. Zu <strong>die</strong>sem<br />

zweifellos legitimen Recht, ohne das Ge -<br />

schichtsschreibung gar nicht existierte,<br />

gibt es freilich auch eine pervertierte<br />

Form, nämlich dass eine Generation<br />

meint, ihre eigenen Widersprüche und<br />

ihre Kritik in <strong>die</strong> dann offenbar noch als<br />

aktuell und akut (und somit als unmittelbar<br />

gefährlich) erlebte Vergangenheit<br />

zurückzuprojizieren und Geschichte<br />

nicht, wie sehr wohl zulässig, neu zu<br />

schreiben, sondern „umzuschreiben“.<br />

Heute Missliebiges wird wegretuschiert.<br />

Das Verfahren, wir wissen es, hat seine<br />

Vorbilder. <strong>Die</strong> rabiateste Ausprägung,<br />

zudem noch in symbolisch ritualisierter<br />

Form, war <strong>die</strong> altrömische damnatio<br />

memoriae: Karthago ihr dann eben nicht<br />

mehr leuchtendes süperbes Beispiel.<br />

Aber auch das 20. Jahrhundert böte dazu<br />

überzeugende Belege.<br />

Bemerkenswert an der Münchner Meiser-Auseinandersetzung<br />

des Sommers<br />

2007 war – und nur wegen der Übertragbarkeit<br />

des Vorgangs greifen wir<br />

noch einmal darauf zurück –, dass sich<br />

der Stadtrat und <strong>die</strong> Öffentlichkeit zwar<br />

<strong>die</strong> Argumente der Würdig- oder Un -<br />

würdigkeit Meisers heftig um <strong>die</strong> Ohren<br />

geschlagen haben (als könnte man damit<br />

seine eigene Entscheidung rechtfertigen),<br />

sie jedoch, abgesehen von einer<br />

kursorischen Erwähnung in der Rede<br />

des Oberbürgermeisters, niemals da -<br />

nach fragten, was ihre Stadt-Vorväter,<br />

den Stadtrat des Jahres 1957 unter SPD-<br />

Oberbürgermeister Thomas Wimmer,<br />

104<br />

denn bewogen habe, den an dem Evangelischen<br />

Landeskirchenamt Bayerns<br />

vor beiführenden Teil der Münchner Ar -<br />

cisstraße nach Hans Meiser zu benennen.<br />

Wie groß war <strong>die</strong> Erschütterung<br />

nach Meisers Ableben 1956 bei Rat und<br />

Bürgern der Stadt München, welchen<br />

Wünschen und Bedürfnissen folgte der<br />

Beschluss?<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der Be-Nennung ist<br />

zumindest bis zu einem gewissen Grade<br />

<strong>die</strong> Geschichte einer Groteske, fast spiegelgleich<br />

dem jetzigen Ausgang. Forderungen,<br />

eine Straße nach Bischof Meiser<br />

zu benennen, wurden relativ bald nach<br />

Meisers Tod laut. <strong>Die</strong> Stadtverwaltung<br />

gedachte zunächst, in einem zentrumsfernen,<br />

eher wenig angesehenen Neubaugebiet<br />

eine Straße nach dem protestantischen<br />

Kirchenmann zu benennen.<br />

Ergebnis: Proteste, wie heute noch in<br />

den alten Zeitungen nachzulesen. Dann<br />

ein Antrag der Bayernpartei, <strong>die</strong> sich<br />

damals schon in heftigem Abwehrkampf<br />

gegen <strong>die</strong> CSU befand und ihr das<br />

Monopol auf <strong>die</strong> Verteidigung des wahren<br />

Bayerntums noch glaubte streitig<br />

machen zu können. Eine wichtige<br />

Straße in der Stadt, eine „erste Adresse“<br />

zudem, sollte in Meiserstraße umbenannt<br />

werden, ein Teil der Briennerstraße<br />

westlich der Propyläen. <strong>Die</strong> darin<br />

arglose Bayernpartei hatte<br />

nicht damit gerechnet,<br />

dass Anwohner mit solchen<br />

aufgezwungenen<br />

Adressänderungen im mer<br />

unzufrieden sind, und sich<br />

vor allem <strong>die</strong> Macht der<br />

hochmögenden Isar-<br />

Amper-Werke, des pro -<br />

minentesten Anliegers,<br />

nicht vor Augen geführt.<br />

<strong>Die</strong> Stadtchronik, auch <strong>die</strong><br />

Archivalien, sind über den<br />

weiteren Verlauf relativ<br />

schweigsam, immerhin so<br />

viel steht fest: Wenige Wo -<br />

chen später gab es einen<br />

gemeinsamen Antrag von<br />

fünf Rathausfraktionen,<br />

an der Spitze SPD und<br />

CSU, den südlichen Teil<br />

der Arcisstraße, gewissermaßen<br />

da, wo Meiser aus<br />

seinem Amtszimmer im<br />

Landeskirchenamt auf <strong>die</strong><br />

Straße hatte blicken können,<br />

im Meiserstraße um -<br />

zubenennen. Treuherzig<br />

führt <strong>die</strong> Beschlussvorlage<br />

noch an, dass es in <strong>die</strong>sem<br />

Hans Prähofer, Wie es war, 2005, Heimatbund Mühldorf<br />

Teil der Arcisstraße keine anderen Anlieger<br />

als den Staat und <strong>die</strong> Evangelische<br />

Kirche selbst gebe und somit nicht mit<br />

Anwohnerprotesten (sprich: wie an der<br />

Briennerstraße) ge rechnet werden<br />

müsse. Der Beschluss wurde während<br />

einer Marathonsitzung mit 60 (!) Tagesordnungspunkten<br />

ge fasst, im Protokoll<br />

<strong>die</strong>ser Sitzung ist keinerlei Wortmeldung<br />

wiedergegeben, nur <strong>die</strong> Tatsache<br />

selbst. Dem darauffolgenden Zeitungsbericht<br />

ist zumindest indirekt zu entnehmen,<br />

dass es im Plenum nicht einmal<br />

eine Diskussion zu <strong>die</strong>sem Punkt gegeben<br />

hat.<br />

So viel wortlose Ab- und Übereinstimmung,<br />

oder <strong>die</strong>s alles so selbstverständlich?<br />

Eine mögliche Antwort darauf führt<br />

uns allmählich wieder an den von uns<br />

beobachteten Geschichtsrevisionismus,<br />

<strong>die</strong>smal aber eines solchen vom Jahrgang<br />

1957. Den wahren Grund für <strong>die</strong>ses<br />

wortlose Einverständnis könnte man<br />

nämlich finden, wenn man sich <strong>die</strong> politische<br />

Konstellation <strong>die</strong>ser Zeit in Nachkriegsdeutschland<br />

und besonders im<br />

Nachkriegsmünchen ansieht. Nicht von<br />

ungefähr wurde <strong>die</strong> Vita Meisers damals<br />

verschiedentlich mit der überragenden<br />

Bedeutung seines gewissermaßen „Kollegen“<br />

vom anderen Gesangsbuch, des<br />

Kann man <strong>die</strong> Vergangenheit verschönern,<br />

wie man einen Luftschutzbunker sprengt?

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